Radio Österreich 1, 14. Mai 1998, Stefan Nicolini
Spätbarockes Mysterienspiel in moderner Fassung
Zur Eröffnung der Jesuitenkriche in Wien lebt in der kommenden Woche ein verschollenes barockes Mysteriendrama wieder auf. Der "Bestseller" aus dem 17. Jahrhundert um den Sohn des Artus macht damit - wie vor Jahrhunderten - einen Kirchenraum zur Bühne. Ein Segelschiff wird den Altar schmücken.
Jahrzehnte stand das Buch in der Pfarrbibliothek der Gemeinde Laas im Südtiroler Vinschgau unbeachtet im Regal, bis vor zwei Jahren Toni Bernhart, selbst Theaterautor und Germanist, die Bedeutung und den Wert der Handschrift erkannte.
Es handelt sich um ein Jesuitendrama, das von der Bretagne den Weg über Frankreich in den süddeutschen Raum gefunden hat und im 17. Jahrhundert als Lesedrama und Theaterspektakel in den Bestsellerlisten ganz oben stand.
Im fernen 1791 wurde das spätbarocke Mysterienspiel "Hierländä: durch falschheit zu feir verdamte unschuld" in der Dorfkirche von Laas gleich achtmal hintereinander gespielt. Vorrangiges Ziel war die religiöse Erbauung des einfachen Kirchenvolkes. Diesem wurde überdeutlich vor Augen geführt, wohin untugendhaftes Verhalten führte. Theater diente dem kirchenpolitischen Botschaftstransport, er - verpackt in barocken Pomp - ganz in der Tradition des Jesuitendramas stand.
Schauplatz der Geschichte ist Rennes in der Bretagne. Wir schreiben das Jahr 1550. Hirlanda wird von ihrem Mann König Artus, der in den Krieg zieht, schwanger zurückgelassen. Da fällt sie einem Komplott seines Bruders Gerald zum Opfer. Der englische König liegt im Sterben, kann nur durch das Baden im Blute eines ungetauften, adeligen Kindes und durch das Essen des noch warmen und zitternden Herzens gerettet werden. Lucifer erfährt davon, findet Hirlanda, entführt das Kind. In letzter Sekunde jedoch wird es von einem Abt gerettet und aufgezogen.
Artus glaubt sich von Hirlanda hintergangen und verurteilt sie zum Tode. Durch ein Gottesurteil jedoch taucht der junge Sohn auf und befreit Hirlanda im Kampf. Die Bösen werden entlarvt und von den Teufeln geholt. König Artus übergibt seinem Sohn die Königswürde und zieht mit der unschuldigen Hirlanda in die Wüste, um Busse zu tun.
Die Handschrift wird ab dem 14. Mai in der Wiener Universitätskirche auf einem marmornen Sockel ruhen. An dem Tag wird das religiöse Spiel als moderne Barockoper uraufgeführt. Anlass ist die Wiedereröffnung der Jesuitenkirche nach der umfangreichen Restaurierung.
Regisseurin Kristine Tornquist sieht in der Frage nach Gut und Böse die heutige Lesart begründet: Barock sind die Handschrift, also der Text und der Kirchenraum, in dem die Aufführung stattfindet. Doch allen anderen Faktoren des Spektakels werden laut Tornquist modern sein.
Die reine Lesezeit des Originaltextes beträgt über vier Stunden. Die Strichfassung musste um die Hälfte gekürzt werden. Dabei versuchte Tornquist, die Atmosphäre des Stücks zu erhalten und nur auf redundante Teile zu verzichten.
Wie damals in Laas so soll auch bei dieser Aufführung der gesamte Kirchenraum zur Bühne werden. Die einzelnen Figuren werden im Raum verteilt. Ihnen werden bestimmte Schauplätze zugewiesen. Die Figuren sind keine differenzierten Charaktere, sondern stehen ohne innere Entwicklung für bestimmte Geisteshaltungen bzw. für moralische Haltungen. Es gibt die Guten und die Bösen, uns sie bleiben, was sie von Anfang an waren.
Im Presbyterium wird ein hölzernes Segelschiff mit einem neun Meter hohen Mast aufgebaut. Hier findet die weltliche Haupthandlung statt. Oberhalb des Altares befindet sich der Himmel. Christus und die Seele schweben im Presbyterium vor dem Hochaltar. Die Hölle mit Lucifer und den vier Teufeln hingegen befindet sich diametral entgegengesetzt am Kircheneingang.
Alles untersteht einer bestimmten Hierarchie und Gesetzmässigkeit, die der moralischen Bedeutung des Ganzen unterliegt und dem geschlossenen Wertesystem des Mittelalters entspricht. So folgt die Dramaturgie von Schauplätzen der Tradition des mittelalterlichen Mysterientheaters und andererseits aber auch einer Idee der modernen Simultanbühne. Auch die Kostüme entsprechen diesem Gesamtkonzept. Es werden schlichte, skulptural angelegte Kleider sein, die mit assoziativen Symbolen und Hinweisen bemalt werden.
Burgschauspieler wie Ute Springer und Lutz Blochberger werden zu sehen sein. Herbert Adamec schlüpft in die Rolle des Lucifer. Dorothea Plaim wird die Hofdame Fredegundis verkörpern. Für die Lichtregie zeichnet Philipp Harnoncourt verantwortlich. In der Pause wird Peter Kubelka am der Kirche vorgelagerten Platz eine dem Anlass entsprechende Suppe kochen. Speisen und Getränke kommen aus Südtirol und sollen ebenso dem historischen Ambiente entsprechen. Am Ende wird köstlicher Marillen-Schnaps den Durst löschen.
Jury Everhartz, musikalischer Leiter und Komponist der Musikpassagen, nutzt die besonderen akustischen Verhältnisse der Kirche geschickt aus. Durch die kleinen Seitenkapellen werden Teile der Schallwellen durch ovale Laternen auf diffuse Weise von oben her zurückgeworfen, so dass für kurze Zeit ein gleichmässig stehender Klang entsteht, der ein Echo verhindert. Dadurch erhalten die gesprochenen Wörter eine besondere Resonanz.
Alle himmlischen Figuren wir der Engel, Kristus oder die Seele sind musikalisch angelegt. Die originale Notation der Handschrift ist jedoch verloren gegangen. Deshalb hat der aus Berlin stammende und in Wien wohnhafte Musiker und Komponist die einzelnen Musikteile neu komponiert. Dabei ist ihm schnell klar geworden, dass die Musik nur eine Funktion im Gesamtkonzept der theatralischen Sprache erfüllt.
Die musikalischen Personen sind ausser Hirlanda selbst, die nur an ausgewählten Stellen a capella singt, Vertreter des Himmels; dementsprechend ist auch der Charakter der Musik angelegt. Engelserscheinungen werden durch einen Tenor angeführt, der von einem Wiener Horn begleitet wird. Marienauftritte (Sopran) finden mit obligater Bassflöte statt. Hirlanda hingegen singt Alt und ist unbegleitet. Kristus und die Seele führen einen gesungenen Dialog, der von je einem achtstimmigen Vokal- und Streicherensemble umgeben wird.
Das Böse, die Teufelsauftritte werden von einem Percussion-Ensemble verkörpert. Verstärkt durch unruhige Rhythmen erinnern sie an die Bedrohlichkeit und Gefahr, die von ihnen ausgeht. Diese Musik bildet den Kontrapunkt zu den Himmelstönen, die aus dem Presbyterium erklingen. Die Instrumente sind so auf die Seitenaltäre, Balkone und Nebenräume verteilt, dass die gesamte Kirche in einer Architektonik des Klanges erfahrbar wird.
Natürlich ist die Musik wesentlicher Bestandteil der theatralischen Aktion, doch führt sie in dieser Aufführung kein Eigendasein. Sie ist nur dort, wo sie für die theatralische Umsetzung gebraucht wird. Ihr Wesen bleibt eine reine Funktion dessen, was im Kontext der Bühne passiert: minimalistisch, harmonisch, den theatralischen Duktus unterstreichend.