Der Standard, 3. November 2004, Petra Nachbaur (pdf)
Vertonte Millimeterkrisen - "7 Operellen" in Innsbruck uraufgeführt
Ein seltenes, seltsames, aber nettes Projekt, das einigen Dichtern und Komponisten wie Kurt Schwertsik im Sinne des Musiktheaters zu tun gab: Lauter "Millimeterkatastrophen" wurden vom sirene Operntheater bestellt, ganze sieben Stück Musiktheater zu fünfzehn Minuten also.
Abgeholt worden sind sie vom vorallerheilig gestimmten Publikum des Tiroler Landestheaters, für das es bei dieser Uraufführung reichlich Bluff und Buffa, Budenzauber und Bagatelldelikt, viel Spaß auf Kosten fiaskogeschüttelter Existenzen gab.
Lose verbunden ist das siebenteilige Musiktheaterstück von Figurenkonstellation plus Plüschherz und Plastikrosen. Die wie Schießstandtrophäen weitergewurstelt werden - von einem Mini-Malheur zum andern. Und während die Darsteller im ersten Durchgang noch Operngesichter reißen und klar an und in ihren Rollen kleben, werden diese bald getauscht und ziemlich durchlässig.
Schon die zahlreichen Librettisten genehmigten sich was: Warum soll der plangetreu unterzubringende "Dieb" nicht Napoleon sein, wie bei Wolfgang Bauer, weshalb die "Zwergin" nicht von Tippse zu Beagle sich wandeln, wenn Friederike Mayröcker es unbedingt so will?
Andere Bonusrollen erwirkt Kristine Tornquists Regie: Bei Hermes Phettberg und Komponist Gilbert Handler mimt "Voltaire" den Petrus, der als himmlisch pervertierter Troubleshooter beinharte Bibelstellen rezitiert. Und die Pein lamentierender Erdenwürmer durch Ziehen der Klospülung kommentiert. Papierschnipsel fallen, net amol ignoriert, neben die in Not und Notdurft gleich gestellten Menschen im Setzkasten, Bausatz Jammertal. Stark in ihrer Zurückgenommenheit ist Gilbert Handlers Musikalisierung des Monologs von Hermes Phettberg als statisch intonierte Klage.
Ähnliche Dichte wird bei Friederike Mayröcker und Komponist Wolfram Wagner erfahrbar, wo Text mit Musik die Begegnung zwischen "lebend" und "verstorben" schafft, zwischen "Johann" und "Johanna", welche ihrem ebenerdig diktierenden Dichter aus dem Jenseits Kaffee nachschenkt.
Bewegend ist die fragile Zusammenführung im Erinnern, samt einer Rast in der Aida. Welche, nicht Konditorei, sondern große Oper, ganz Pointe ist im wirbligen Teil von Wolfgang Bauer und Komponist Jury Everhartz, wo die Regie sich am weitesten vorwagt, alle Rollen annulliert und lieber als Charaktere gespielte, probende MusikerInnen sieht.
Das Bühnenbild von Walter Vogelweider ist ein riesiges Petit Four, als Himmel tauglich wie als Kuckucksuhr, als Babyklappe oder Krematorium, verlängert in seiner Glasur Julia Libisellers Kostüme. Nach letztendlich knapp mehr als sieben Viertelstunden müssen sich über dreißig Beteiligte die fünfzehn Minuten Ruhm nach Warhol teilen. Auch das ist irgendwie ein Kataströphchen.