Die Größte im Kleinformat - 7 Operellen
Zumindest einmal pro Saison versucht das Tiroler Landestheater die Uraufführung einer modernen Oper zu verwirklichen. Am 31. Oktober 2004 sind es sogar sieben musiktheatralische Werke, die erstmals über die Bühne gehen: Mit »7 Operellen. millimeterkrisen und miniaturkatastrophen«, einer Koproduktion mit dem sirene Operntheater Wien, zollt man der kleinen Form Respekt.
Wer im vergangenen Sommer die Wagner-Aufführungen bei den Tiroler Festspielen Erl oder jene der Barockopern bei den Innsbrucker Festwochen besucht hat, weiß, was große Oper bedeutet: nicht nur wunderbare Musik, prunkvolle Ausstattung und ein mehr oder weniger umfangreicher Orchesterapparat, sondern auch die Möglichkeit, komplexe Geschichten und Figuren detailreich zu entwickeln, im Text ebenso wie in der Musik. Doch vier Stunden Arien und Rezitative sind nicht jedermanns Sache, und die große Form fällt, was Wendigkeit, Komprimierung und oft auch Witz betrifft, gegen die literarische und musikalische Miniatur oft genug zurück. Oder, wie es Kristine Tornquist im Zusammenhang mit den »7 Operellen« ausdrückt: Die Kunstform der Miniatur verfügt »über dramaturgische Regeln und Möglichkeiten, die denen der Großen Form so gegenüberstehen wie ein wendiges Segelschiff einem Ozeanriesen«.
Die in Wien lebende Regisseurin, Autorin und Gründerin des sirene Operntheaters ist eine Liebhaberin der kleinen Form. In ihren Anfängen am Theater inszenierte sie Dramolette österreichischer Autoren, »immer fünf, sechs Stücke an einem Abend«. Mit den »Operellen« versucht sie nun, dieses Prinzip erstmals auf die »größte Kunstform, die es überhaupt gibt«, die Oper, anzuwenden. Gemeinsam mit dem Komponisten Jury Everhartz wählte sie sieben Autoren aus, die Erfahrung mit der kleinen Form haben, darunter Wolfgang Bauer, der seinen Ruhm als Theaterschriftsteller u.a. mit »Mikrodramen« begründete, Hermes Phettberg, der sich in seinem »Predigtdienst« in der Wiener Stadtzeitung »Falter« seit Jahren als Kolumnist kurzfasst, und Friederike Mayröcker, deren größere Werke zuerst oft im Kleinen Gestalt annehmen. Die fertigen Texte wurden sieben Komponisten, darunter Kurt Schwertsik, Wolfram Wagner und Christof Dienz, zur Auswahl vorgelegt, die jeweils eine der »millimeterkrisen« vertonten.
Die Vorgaben für die 14 Künstler waren möglichst reduziert. Denn anstatt sich an Themen und Inhalten zu orientieren, sollten die Autoren bestimmte Figuren einsetzen: Johann, Johanna, der Zwerg/ die Zwergin, der Dieb/ die Diebin und Voltaire. Die Komponisten konnten auf diese jeweils die Stimmen Sopran, Alt, Tenor, Bass sowie eine Sprechrolle verteilen, das Instrumentarium beschränkt sich auf Violine, Kontrabass, Klarinette, Saxophon, Posaune, Trompete, Akkordeon und Schlagwerk. Das etwas seltsam anmutende Personal wird vertrauter, wenn man die symbolische Bedeutung der einzelnen Figuren in Betracht zieht: Johann und Johanna sind das Liebespaar schlechthin, der Zwerg ist eine Figur, der etwas fehlt, die immer benachteiligt ist, der Dieb steht für Handlung und Voltaire vertritt die Historie - somit sind alle wesentlichen Parameter für die Entwicklung eines Opernlibrettos gegeben: (Vor)Geschichte, Liebe, Sehnsucht und Veränderung.
Die jeweiligen Interpretationen dieser Vorgaben fielen denkbar verschieden voneinander aus. »Schock«, verfasst von den FM4-Moderatoren Hosea Ratschiller und Lukas Tagwerker, ist die komprimierte Version von Oper, zutiefst dramatisch und voller Pathos, und gerade deshalb für die ironisierende, rhythmische Vertonung durch Akos Banlaky bestens geeignet. Hermes Phettbergs »Klage über die alltäglichen Schwierigkeiten des Lebens« (Tornquist) fand in Gilbert Handlers minimalistischer Musik, in der es kaum Bewegung gibt, seine Entsprechung, während Jury Everhartz, der sich intensiv mit Alter Musik auseinandersetzt, Wolfgang Bauers skurrilen Text mit Musik versah, die Bezüge zu Elementen der mittelalterlichen und Renaissancemusik hat. »Früher verstand man unter Avantgardemusik nur einen ganz bestimmten Stil.«, erläutert Dirigent Dorian Keilhack, der im Tiroler Landestheater schon mehrere (Ur-)Aufführungen moderner Musiktheaterproduktionen geleitet hat. »Es musste sehr schräg klingen. Aber in der heutigen Zeit ist das eigentlich nicht mehr der Fall, die Neue Musik beinhaltet viel mehr.« Die frühere Sprache der Neuen Musik sei vielen anderen Sprachen gewichen, in denen man auch wieder sehr ins Tonale zurückkehren kann. Von den sieben Komponisten der »Operellen« schreibt für Keilhack der aus Tirol stammende Christof Dienz »am modernsten, eben auch experimentell. Der Trompeter muss z.B. auf sein Mundstück klopfen, die Geige muss mit dem Bogen durch die Luft peitschen etc. Das sind Geräusche, die eine zusätzliche Klangebene schaffen.«
Dass Dienz´ Herangehensweise an Oper eine völlig andere ist als jene von Planyavsky, Schwertsik oder Handler, liegt im Interesse der Initiatoren, wählten sie doch die Komponisten auch nach dem Gesichtspunkt der stilistischen Vielfalt aus. Durch die Inszenierung, durch das den Einzelteilen übergeordnete Konzept, entsteht trotzdem nicht der Eindruck unvereinbarer künstlerischer Positionen. Kristine Tornquist hat »jeder Figur eine Art inneres und äußeres Suchen gegeben, das in jedem Stück durchgespielt wird. Z.B. will der Zwerg immer sein Herz verschenken, und Johann will immer Johanna erobern, die aber immer sehr widerständig ist - bis zum letzten Stück, in dem sie zusammenkommen. (...) Wir setzen die Opern voneinander ab, aber es gibt einen kurzen Übergangsmoment. Dadurch hat jede Musik ihren Raum und ihre Stimmung, aber in der Reihenfolge ergibt sich eine gute dramatische Entwicklung.« Für solche Ergebnisse ist selbstverständlich auch die Zusammenarbeit von Regie und musikalischer Leitung mit den Autoren und Komponisten wichtig, deren Interesse im Falle der »Operellen« sehr groß ist. Fast alle kommen auch zur Premiere nach Innsbruck und dürfen sich dort vermutlich über einen herzlichen Empfang freuen.
Denn von allen Häusern, die in Österreich Oper machen und mit denen Tornquist auf der Suche nach Kooperationspartnern für ihr Projekt Kontakt aufgenommen hat, trat man ihr »am Tiroler Landestheater am offensten« entgegen. Geht man von den Erfolgen vergangener Uraufführungen aus, dann wird es das Tiroler Publikum seinem Landestheater gleich tun und für die »Operellen« im Wortsinne offene Ohren haben.