China Girls - kinematographische Proben von Martin Reinhart und Johann Lurf
Der Titel der Sammlung und ihrer Inhalte mag in die Irre führen. Jede Suchmaschine im Internet mißversteht und verwechselt nur allzuschnell jeden Wunsch, mehr über dieses Sammelgebiet zu erfahren. Die Sammlung scheint sich herkömmlichen technischen Erfassungsmöglichkeiten regelrecht zu entziehen. Und doch befinden sich mittlerweile hunderte „China Girls“ in der Sammlung der beiden Wiener Filmexperimentatoren. Die „chinesischen Mädchen“ finden sich am Beginn oder auch Ende jedes Filmstreifens. Gezeigt wird eine Frau, meist in einer bunt gemusterten Bluse, die an chinesische Ornamente und Farben erinnern mag, daher auch der Name für diese Rolle, die in jedem Farbfilm besetzt werden muß.
Die Kleider waren nie zufällig oder gar nach modischen Kriterien gewählt. Ihre Buntheit folgte einem ganz anderen Zweck. Die so angezogenen Darstellerinnen treten nur für die Mitarbeiter des Labors auf, in dem die Filme entwickelt werden, und sie sind nur für die Vorführer zu sehen, die schließlich einen Film in den Kinoprojektor einlegen. Ihre Anwesenheit sollte es denjenigen, die das Zelluloid zum Film ausbelichten und denjenigen, die jede Projektion justieren, erleichtern, ihre Gerätschaften und Maschinerien auf die richtigen Farbwerte hin auszurichten.
Filmfarben lassen sich nicht nach einem vorgegebenen Zahlenwert einstellen, es muß am menschlichen Sinneseindruck Maß genommen werden. Keine Farbnorm kann an einen Film angelegt werden, erst die individuelle Wahrnehmung der Frau am Filmbeginn führt auch zur richtigen Farbeinstellung bei der Belichtung des Films im Labor. Dafür gibt es ein eigenes Filmprogramm, das nur sieht, wer den Film auch in die Hand nimmt.
Wenn die „China Girls“ auftreten, hält der Film gleichsam still, wird aus der Illusion kinematographischer Bewegung ein stehendes Bild. Die vielen verschiedenen geheimnisvollen Frauen-Porträts gehen gleichsam über den Film hinaus und bleiben hinter ihm zurück.
Die beiden Sammler betreiben „expanded cinema“, beschäftigen sich mit der Materialität und Beschaffenheit eines Films, nehmen den Film zur Hand. Jedem Film, der die sammlerische Aufmerksamkeit von Martin Reinhart und Johann Lurf erregt, fehlt letztlich ein Porträt des jeweiligen „China Girls“, die immer mehrfach dargestellt sind.
Wer „China Girls“ sammelt, mag von einem scheinbaren Widerspruch fasziniert sein: Filme, die von Millionen Menschen gesehen werden, als Werke zu erleben, das sich zwar auf einem Weltmarkt behaupten und doch in dieser Vollständigkeit nur von ganz wenigen Menschen betrachtet werden können. Die Filmtechniker und Vorführer werden zu einem geheimen Publikum, das immer sein eigenes und exklusives Programm sieht.
In diesen Bildern, die uns von den „China Girls“ bleiben, mag sich die Erinnerung an die dargestellten Frauen längst verloren haben. Was uns aber in dieser Sammlung in aller Frische entgegentritt, ist die Utopie des Films, für jede einzelne Betrachterin, jeden Betrachter zu einem höchstpersönlichen Werk werden zu können.