Opernwelt - 11. November 2011, Gerhard Persché
Neue Räume, neue Klangwelten
Es ging in der Vorlesung nicht um Oper. Dennoch eignete der Aktion von drei Studentinnen der Uni Frankfurt, die im April 1969 vor Theodor W. Adorno provokativ ihre Brüste entblössten, etwas definitiv Opernhaftes. Dabei hatte der Philosoph das Genre längst für tot erklärt, sei es doch "das Paradigma einer Form, die unentwegt konsumiert wird, obwohl sie nicht nur ihre geistige Aktualität verlor, sondern mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht mehr adäquat verstanden werden kann..."
Freilich gibt es immer Unentwegte, die Oper zumindest als Untote begreifen, ihr immer wieder frisches Blut zuführen und ihre Aktualität zur Diskussion stellen - zum Beispiel in der Wiener Musiktheaterszene. Walter Kobéra, engagierter Leiter der Neuen Oper Wien, gehört dazu wie Kristine Tornquist mit ihrem sirene Operntheater. (...)
Beide Truppen arbeiten ohne eigene Häuser, sie suchen mit neuen Klangwelten auch adäquate neue Räume und Spielstätten zu erschliessen. Im Laufe der Jahre haben sich freilich Vorlieben entwickelt, zu denen das Semperdepot - die von Richard Wagners Dresdner Gefährten entworfene Kulissenlagerhalle hinter dem Theater an der Wien - ebenso gehört wie die riesige ehemalige Expedithalle der Ankerbrotfabrik in Wien-Favoriten. Beide Schauplätze wurden auch diesmal intensiv genutzt.
In der Expedithalle hat das sirene Operntheater im August und Anfang September unter dem Titel "alf laila wa laila" einen Teppich aus 1001 Nacht ausgebreitet, gewebt aus elf neuen Kurzopern (unter anderem von René Clemencic und Kurt Schwertsik), Kristine Tornquist setzte sie subtil in Szene.
Zur Uraufführung von Wolfram Wagners Kammeroper "Türkenkind" (nach Irène Montjoyes Roman "Maria Theresias Türkenkind") wechselte sirene dann stimmig ins Schlosstheater Schönbrunn. Das Werk erzählt von Anna Maria, einer Sklavin, die als 14jährige vom Orden der Trinitarier in Konstantinopel freigekauft wurde, 1745 nach Wien kam und von Kaiserin Maria Theresia adoptiert wurde. Zum Libretto von Kristine Tornquist konfektionierte Wolfram Wagner eine die Handlung spritzig und mit viel Atmosphäre illustrierende Partitur, die sich in mehreren Schichten zwischen Entertainment und Dramatik ausbreitet und dank der häufig eingesetzten orientalischen Kurzhalslaute, dem Oud, auch nach dem Nahen Osten duftet. Die 70minütige Kammeroper, ein Ein-Personen-Stück, widersetzt sich der üblichen linearen Erzählweise und schildert Anna Marias Schicksal in punktuellen Rückblenden vom Lebensende bis zur Kindheit. Nina Plangg (Edelmann) bewältigt in Tornquists aufs Wesentliche reduzierter, fantasievoller Inszenierung die Rückwandlung von der alten Frau zum kleinen Mädchen atemberaubend.