Der Neue Merker - Udo Pacolt, 09. September 2011
Opernfestival „alf laila wa laila“ des sirene Operntheaters: 11 Komponisten vertonten 1001 Nacht
Das Wiener sirene Operntheater veranstaltete vom 25. August bis 9. September 2011 in der ehemaligen Expedithalle der Ankerbrotfabrik ein Opernfestival, bei dem Werke von elf Komponisten zum Thema „1001 Nacht“ (arabisch alf laila wa laila) zur Uraufführung kamen. Die Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“ haben seit jeher die Phantasie von Malern, Dichtern und Komponisten angeregt und durch ihre Werke die europäische Kultur bereichert.
Scheherazade gilt als Prototyp der Erzählerin, musste sie doch ihre Geschichten aus Tausendundeiner Nacht erfinden, um Nacht für Nacht ihr Leben zu retten. Um sich für die Untreue seiner Gattin zu rächen, beschloss der König von Samarkand jeden Abend eine andere Frau zu heiraten und sie am Morgen nach der Hochzeitsnacht zu töten. Doch Scheherazade, die kluge Tochter des Wesirs, hält den König durch fesselnde Erzählungen von seinem Vorhaben ab und ändert schließlich seinen Sinn.
Eingeleitet wurde jeder Abend in der Expedithalle, die zur Zeit ihrer Errichtung im Jahr 1898 als größte stützenlose Halle Europas galt, mit einer Schau von bildenden Künstlern, die unter dem Titel „neu:orientierung“ lief, und einem Vortrag unter dem Titel „rede:freiheit“. Beeindruckend der riesige Wandteppich von Roman Scheidl mit Motiven aus 1001 Nacht, faszinierend die Uhren-Kunstwerke des in Višegrad geborenen und in Zürich lebenden Künstlers Miki Eleta. Am 8. September sprach Irène Montjoye über die heilige Sinnlichkeit, wobei sie auch mit vielen erotischen Zitaten aus dem Alten Testament aufwartete.
Den Beginn des musikalischen Teils des Abends, der unter dem Motto „Hoffnung“ stand, machte die Kurzoper „Chalifa und die Affen“ von Kurt Schwertsik. Ihre Handlung, die nach der Kalkuttaer Ausgabe in der 831. Nacht von Scheherazade erzählt wird: Der glücklose Fischer Chalifa fischt einen Affen aus den Wellen und erfährt, dass es der für ihn bestimmte Unglücksaffe ist. Als der Fischer ihn mit seinem Ruder erschlagen will, beschwört ihn dieser, noch einmal das Netz auszuwerfen – es würde ihm Glück bringen. Tatsächlich ist der Glücksaffe des reichen Juden im Netz, der ihm einen weiteren guten Fang verspricht. Nun fischt Chalifa einen großen Fisch. Der Glücksaffe rät ihm, den Fisch nicht zu verkaufen, sondern ihn für ein Wort zu verschenken. Als Chalifa den Fisch dem reichen Juden für das Wort „mein Affe gegen deinen“ schenkt, hält ihn dieser für verrückt. Er geht auf den Handel ein, womit das Glück des reichen Juden auf den Fischer übergeht.
Erwin Belakowitsch stattete den Fischer Chalifa mit seiner lyrischen Baritonstimme aus, den reichen Juden gab der Tenor Richard Klein. Der Unglücksaffe wurde vom Tenor Raimund Klebel dargestellt, der Glücksaffe von der Mezzosopranistin Cathrin Chytil, deren wandlungsvolle Stimme bis ins Alt reicht.
Gratulation zur Leistung von Kristine Tornquist, die nicht nur alle Libretti verfasste, sondern auch mit einfachen Mitteln eine einfallsreiche Inszenierung ablieferte. Das Orchester „PHACE CONTEMPORARY MUSIC“ unter der einfühlsamen Leitung von François-Pierre Descamps, der alle Werke an diesem Abend dirigierte, brachte die melodische Partitur des Komponisten wirkungsvoll zur Geltung.
„Burka Baazi“ von Akos Banlaky entpuppte sich als Opernpantomime, in der sieben völlig verschleierte Darsteller zur Monotonie neigenden Musik eine humorvolle Parodie auf die Ganzkörperverschleierung im Nahen Osten boten.
Als drittes Werk wurde die Kurzoper „Yunan und Duban“ von Lukas Haselböck gezeigt. Ihr Inhalt: Nach langer Zeit findet sich endlich ein Arzt, der den an Aussatz leidenden König Yunan heilen kann. Der reich belohnte Arzt Duban ist jedoch dem eifersüchtigen Wesir ein Dorn im Auge. Er spinnt eine Intrige, die mit der Hinrichtung des Arztes endet. Doch der Arzt lässt nicht nur seinen abgetrennten Kopf weitersprechen, sondern vermacht dem König noch ein großes Buch, das sein geheimes Wissen enthalten soll. Gierig blättern der König und der Wesir darin, womit sie sich der Rache des Arztes ausliefern. Denn das unbeschriebene Buch ist mit dessen stärkstem Gift benetzt.
Den aussätzigen König Yunan spielte der Bassbariton Rupert Bergmann mit leidender Miene und die Halle mühelos füllender Stimme, ausgezeichnet auch die Darstellung des Arztes durch den amerikanischen Bariton John Sweeney. Den hinterhältigen Wesir spielte der Tenor Richard Klein. Exzellent wiederum die Einfälle der Regisseurin Kristine Tornquist – jeweils gut unterstützt von Jakob Scheid (Bühne), Markus Kuscher (Kostüme), Katharina Gräser (Maske) sowie Edgar Aichinger (Licht) – und das Orchester, das nach der Pause mit dem vierten Werk besonders gefordert wurde.
„Harun und Dschafar“ des Altmeisters René Clemencic lieferte dem Publikum eine von Symbolen ausgefüllte expressive Klangwelt, die begeisterte. Dazu ein Zitat des Komponisten aus dem hervorragend gestalteten Programmheft, das auch sämtliche Libretti der Opern beinhaltet: „Ich versuche in meinen Werken Klänge und Klagkomplexe als akustische Zeichen und Chiffren für innere Erlebnisse und Erfahrungen einzusetzen. Klang und Klanggeste sollen als solche in ihrer ursprünglichen Magie wirken. Es geht mir weniger um die Herstellung eines Opus, Artefactes im üblichen Sinne, sondern mehr um das Enthüllen einer gewissen verborgenen Semantik des Klanglichen.“
Der Inhalt der Oper in Kurzfassung: Als Harun ar-Raschid zum Kalifen ernannt wird, wählt er seinen engen Freund Dschafar al-Barmaki zum Wesir. Die beiden sind lange unzertrennlich und Dschafar vergisst die goldene Regel, die ihm sein Vater beigebracht hat: Vertraue nie dem Mächtigen, fürchte ihn vielmehr! Harun möchte mit ihm und seiner eifersüchtig bewachten Lieblingsschwester Abbasa gemeinsam feiern. Damit das nicht gegen die Sitten verstößt, verheiratet er die beiden, verbietet ihnen aber, die Ehe zu vollziehen. Doch Abbasa und Harun gehen heimlich eine Liaison ein. Zugleich spinnt Haruns Hauptfrau Subaida eine Intrige gegen die mächtig gewordene Familie des Wesirs. Sie kostet Dschafar das Leben, Harun lässt ihn köpfen.
Aus der starken Ensembleleistung ragten besonders der Tenor Dan Chamandy als Harun durch seine lyrische Stimme und der Bariton Andreas Jankowitsch in der Rolle des Wesirs durch seine schauspielerische Leistung heraus. Ebenso stimmlich wie darstellerisch exzellent die beiden Sopranistinnen Lisa Rombach als begehrenswerte Abbasa und Solmaaz Adeli als intrigante Subaida. Rollendeckend auch der Bass Jens Waldig als Scharfrichter des Kalifen und John Sweeney als Dschafars Vater. Köstlich in ihren komischen Rollen Rupert Bergmann und Erwin Belakowitsch.
Gratulation dem Operntheater sirene zu diesem mehr als 14-tägigen Festival, das vom Publikum begeistert aufgenommen wurde. Am Schluss dieses langen Abends (um 23 Uhr gab es noch den Programmpunkt „fern:weh“ mit Grup Safran!) feierten die Zuschauerinnen und Zuschauer alle Aktiven mit minutenlangem Applaus und etlichen Bravorufen (Vorstellung: 08.09.2011).