Oper in Wien - 25. August 2011, Dominik Troger
„alf laila wa laila“ – Erster Abend – „Schicksal“
Die Geschichten von „1001 Nacht“ stehen im Mittelpunkt eines Musiktheaterfestivals, das vom 25. August bis zum 9. September in der ehemaligen Expedithalle der Wiener Ankerbrotfabrik über die Bühne geht. Schon die erste Nacht machte neugierig auf die zweite ... und die dritte .... und die ...
Die Geschichten aus Tausendundeinernacht sind das „Opus Summum“ der orientalischen Unterhaltungsliteratur. Eine unüberschaubare Überlieferungsgeschichte – schon aus vorislamischen Quellen angeregt – berichtet vom (Über-)Leben der Privatheit in einer von feudaler Willkür, aber auch von Sinnlichkeit und Güterreichtum geprägten Gesellschaft.
Bereits der Einführungsvortrag des deutschen Philosophen Burghart Schmidt ließ erkennen, dass es bei „alf laila wa laila“ um mehr geht, als Komponisten mit spannenden Stoffen für eine Serie an Kurzopern zu versorgen. Mit den Geschichten aus Tausendundeinernacht lässt sich vielmehr eine Welt entdecken, die mindestens so verworren und verschachtelt ist wie unser heutiges Leben, das zwischen weltweiten Wirtschaftsbeziehungen und der Suche nach dem persönlichem Glück pendelnd, sich nach Freude und Sinnerfüllung, Luxus und Liebe sehnt.
Der „böse Sultan“ wurde in unserer heutigen Gesellschaft zum Glück demokratisiert und viele Zaubereien – man denke nur an den „Fliegenden Teppich“ – haben sich mit technischer Hilfe sogar erfüllt, aber die Grundparameter des menschlichen Daseins haben sich schwerlich verändert.
Vielleicht lassen sich einige dieser Parameter mit so einfachen Begriffen wie „Schicksal“, „Hoffnung“ und „Glück“ umschreiben? Und dann hätte man schon drei Oberbegriffe gefunden, die einen soliden Rahmen für eine so komplexe Stoffsammlung abgegeben wie es hier der Fall ist.
Das Festival-Team um Kristine Tornquist wählte diesen Weg und lud elf Komponisten ein, Geschichten zu vertonen, die sich unter diesen drei Begriffen zusammenfassen lassen. Daraus sind in der Praxis drei Opernabende geworden, an denen das Publikum die Welt von „1001 Nacht“ unter diesen drei Kategorien kennenlernen kann. Der erste Abend war dem „Schicksal“ gewidmet.
Das menschliche Schicksal ist oft unergründlich, so heißt es. Manchmal kann man ihm ein Schnippchen schlagen: zum Beispiel durch die Einwirkung höherer Mächte oder durch List. Man kann versuchen, es in Weisheit zu akzeptieren oder man wird zu seinem Spielball. Diesen vier „Verhaltensweisen“ spürten die Kammeropern „Die Träume“, „Die Toten“, „Attars Tod“ und „Der Apfel aus Basra“ nach.
Als verbindende Elemente fungierten eine kleine Orchesterbesetzung und die Regie von Kristine Tornquist, die auch für die Transformation der erzählerischen Vorlagen in Libretti gesorgt hat. Die Größe der Halle in ihrer kahlen Nacktheit wurde durch die Tornquist'schen „Taschenspielertricks“ (szenische Überraschungen mit einfachsten Mitteln) und exzellenter Raumaufteilung gefüllt. Trotz der bekannt mageren finanziellen Ausstattung freier Opernkompanien gelang es mit dosierter, wohlberechneter „Aktion“ die Spannung am Leben zu erhalten, den Charakter des Stücks bzw. der Figuren einzufangen und räumlich „aufzulösen“. Die raffiniert ausgewählten Requisiten und gestalteten Kostüme (Markus Kuscher) erwiesen sich dabei meist von überraschender Zweckmäßigkeit.
Zwei Beispiele: Ein Apfel, der mit der Bedeutungsschwere seiner schicksalshaften Auswirkung auf die Handlung von Szene zu Szene größer wird („Der Apfel aus Basra“). Als Zuseher erkennt man das nicht gleich. Erst bei der zweiten oder dritten Volumenzunahme stellt sich der Überraschungseffekt ein und verdeutlicht einem wie hier ein Stück Obst Menschenschicksale regiert. Oder dass ein zylinderartiger Hut, hoch und repräsentativ, der einem weisen Dichter alle Geistesgröße verleiht, heruntergeklappt bis zum Hals einen Geköpften mimen kann.
Solche Regie ist von erfrischender Prägnanz, und lässt einen gerne vergessen, was mit mehr Geld vielleicht noch möglich gewesen wäre. Wenn man die grafisch aufwendig gestalteten Eintrittskarten als Maßstab nimmt, hätte man im Dekorativen die Halle in einen ganz besonderen Rahmen orientalisch-europäischer Begegnungskultur verwandeln können und den Festivalcharakter noch vertiefen. Übrigens: Dass die Halle über keine Klimaanlage verfügt, muss erwähnt werden. Aber das ist „Kismet“, wenn die Außentemperaturen tagsüber auf 30 Grad und mehr klettern ...
Doch nun zu den Kurzopern, die jeweils rund eine halbe Stunde dauerten – nur „Attars Tod“ war etwas kürzer. Nach der dritten Oper gabs eine Pause von rund 15 Minuten. Der Opernteil endete gegen 23 Uhr – dann war noch ein Programm persischer Livemusik mit Amirkasra Zandian / Hessam Habibi angesetzt.
Der Opernreigen begann mit „Die Träume“ vom Komponisten Paul Koutnik. Koutnik wird im Programmheft mit der Aussage zitiert, dass er eine unterhaltsame Oper schreiben wollte. „Die Träume“ entpuppte sich als sympathisches Einstiegswerk in dieses Festival. Es ließ eine eingängige, mit viel Orientalismen versetzte Musik hören, die sich von den „avantgardistischeren“ Kompositionen der anderen drei Komponisten deutlich abhob. Auch die einfache Handlung, in der ein armer Mann aus Bagdad sein Glück findet, in dem er einen „Abstecher“ nach Kairo macht und ein paar Prügel von der Polizei einfängt, hatte den Reiz eines Vorworts, das lenkend auf die eigentliche Thematik hinführt – und sie fürs erste einmal auch gleich zu beantworten scheint. „Gott allein ist allwissend“, weiß der zu Reichtum gelangte Arme.
Der Wechsel zu „Die Toten“ (Komponist Robert M Wildling) war etwas abrupt, dafür sorgte schon die bedrohliche, streichervibrierende Einleitung, zu diesem Stück, in dem listenreich das eigene Schicksal in eine neue Bahn gelenkt wird. Abul Hasan und seine Frau sind pleite und können sich ihr Luxusleben nicht mehr leisten. Sie täuschen ihren Tod vor und es gelingt ihnen, den Kalifen und sein Frau an der Nase herumzuführen. Am Schluss weiß niemand, wer jetzt wirklich gestorben ist – und „niemand“ ist auch die beruhigende Antwort. Wildling hat den subversiven Anarchismus solch eines Lebensentwurfs, der die Schwächen anderer zum eigenen Vorteil ausnützt, mit einer flotten Musik unterlegt, die genauso in den Gewässern der Tradition fischt wie Abu Hasan nach dem Gold des Kalifen – etwas unverschämt und berechnend (etwa in der expressiven Totenklage von Hasans Gemahlin Nushat), von Walzer bis Rock zu einem vorwärtstreibenden, etwas grob gestreiften „Klangteppich“ geknüpft.
Weisheiten „zwischen den Zeilen“ suchte Willi Spuller mit „Attars Tod“. Das Schicksal des berühmten, aber jetzt versklavten Dichters, der sich absurder Weise nicht freikaufen lässt, weil er damit – könnte man sagen – ein letztes philosophisches Exempel statuieren möchte – sorgte für Besinnlichkeit. Attars Herr, der Mongole, der mit solcher Weisheit nichts anfangen kann, schlägt seinem Sklaven den Kopf ab, nach dem dieser ihm zwei Verkaufschancen „versaut“ hat. Das kurze Stück ist um die zentrale „Ansprache“ Attars aufgebaut, die letzen Verse eines Mystikers. Während Wildling auf eingängige Orientalismen verzichtet hatte, tauchten sie hier wieder auf, hin und wieder von einem Pizzicato im Kontrabass „gestört“.
„Der Apfel aus Basra“ wurde von Matthias Kranebitter mit viel Glissando „herausgeputzt“, auf dass er seine verhängnisvolle Wirkung ausüben könne. Die Oper erzählt von einem Kaufmann, der seiner kranken Frau einen Wunsch erfüllt: er bringt ihr einen Apfel aus Basra mit. Dieses begehrliche Obst gerät aber durch den Sohn des Kaufmanns, der ihn heimlich als Spielzeug benützt, auf „Abwege“. Als ihn der Kaufmann zufällig in den Händen eines Sklaven wiederfindet, der behauptet, ihn von seiner Geliebten erhalten zu haben, sieht der Kaufmann rot. Er ersticht seine Frau. Über den Sklaven ist der Apfel inzwischen in das Haus des Wesirs gelangt, der über den Kaufmann und seine Mordtat richten soll. Der Wesir erkennt die Zusammenhänge, seine Tochter futtert den Apfel auf – und der Sklave wird zur „Ehren der Rechtsprechung“ geköpft.
Kranebitter gab seiner Musik – gemäß der komplexen, etwas verschachtelten Handlung – mehr Raum, führte mit einer längeren, vertanzten Orchestereinleitung in die Geschichte ein. Auch die Reise des Kaufmanns war ihm einige Takte wert. Kurze Rezitative förderten die Textverständlichkeit. Manchmal sprühte die Üppigkeit eines von Gewürzen und Speisegerüchen, von kostbarem Geschmeide durchwirkten Basars auf, wie ein ferner Anklang an orientalische Phantasien des 19. Jahrhunderts. Kranebitters Ziel war es, so steht es im Programm, eine ironische Haltung einzubringen, die das Pathos ein wenig unterminiert. In den Szenen mit der kranken Frau, ihrem schwebenden, fast keusch zu nennenden Gesang, mischten sich Leid und eine ironische Distanz zu einem einprägsamen akustischen Erlebnis.
Und die Sängerinnen und Sänger? Einzelne herauszugreifen wäre nach dieser Hitzeschlacht schon fast ein Akt der Willkür. Und außerdem folgen noch zwei Abende.
Allerdings wage ich schon nach diesem ersten die Prognose: Versäumen sollte man nicht, was hier in Favoriten abgeht. Der starke Schlussapplaus von rund 200 Besuchern sei mein Zeuge. Bis zum 9. September werden vier Durchgänge zu je drei Abenden gespielt: vom „Schicksal“ über die „Hoffnung“ bis zum „Glück“!