Abul Hasan - Virtuose des Glücks
Die Helden von 1001 Nacht unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von den Helden der westlichen Kultur. Ihr Umgang mit dem Glück ist ein völlig anderer.
Ein bekanntes Beispiel ist Abul Hasan, ein Schelm, dessen Leistungen Betrug, Faulheit und Witz sind. Er wird reich, aber nicht, weil er seinen Reichtum mühsam verdient, sondern, indem er ihn geschenkt bekommt oder durch Trickbetrug ergaunert. Seine Tricks und Spitzfindigkeiten sind Zeichen eines besonderen Virtuosentums: Abul Hasan ist ein Meister des Schmarotzens, des In-den-Tag-Hineinlebens, ein Meister, Chancen zu erkennen und im rechten Zeitpunkt danach zu greifen.
Die Chance ist ein Begriff aus der Welt der Spiele – ein mittelalterliches Würfelspiel. Auch das Wort Hazard, das heute einen noch riskanteren Umgang mit dem Glück beschreibt, lässt sich auf das Spiel zurückführen, nämlich auf den arabischen Spielwürfel, den az-zahr.
Der Würfel bringt mit seinen Augen völlig blind Glück oder Unglück. Er ist ein Symbol des blinden und ungerechten Schicksals. Aber unter Spielern gilt ganz gewiss: man kann „gut“ würfeln, man kann – ob mit Betrug, suggestivem Talent oder mit trickreichen Spielregeln – aus Zufall Glück machen.
In einer Geschichte aus 1001 Nacht heisst es: Verlange nicht vom Schicksal gerecht zu sein, das Schicksal wurde nicht dazu erfunden, gerecht zu sein. Diese Erkenntnis dient dem Unglücklichen zum Trost: er kann nichts für sein Unglück. Und sie dient dem Glücklichen zu moralischen Rechtfertigung. Im Koran wird mit al-Qadah Allahs Vorauswissen der Zukunft beschrieben und mit al-Qadar die Erfüllung dieses Vorauswissens.
Bereits 50000 Jahre vor der Erschaffung der Erde schrieb Allah die ganze Weltgeschichte auf, die seither gemäss dem Plan abläuft. Sinnlos, sich dagegen zu wehren, sinnlos auch, sich dagegen anzustrengen. Einerseits zementiert diese Haltung bestehende Ungerechtigkeiten, andererseits kommt aus diesem tief verinnerlichten Bewusstsein eines ungerechten Schicksals auch die berühmte Freigiebigkeit in den arabischen Ländern: Almosen und Geschenke sind eine Selbstverständlichkeit, denn Armut ist hier nichts Selbstverschuldetes, keine Unart und Schwäche wie im westlichen Kulturkreis.
Abul Hasan ist ein begnadeter Almosenempfänger. Seinen (vorübergehenden) Reichtum verdankt er den Geschenken des Kalifen. Aber diese Geschenke fallen ihm nicht ganz zufällig in den Schoss, er gewinnt sie mit seinem Talent zum Glück.
So ist Abul Hasan auch das sympathische und lebendige Gegenstück zu einer anderen berühmten Glücksfigur aus der amerikanischen Mythologie – dem Tellerwäscher, der Millionär wurde. Im Gegensatz zu dessen protestantischen Fleiss, mit dem er den Zufällen das Glück abkämpft, steht Abu Hasan ganz im Dienst des Schicksals. Abu Hasan geniesst und ist faul, wenn es ihm gut geht. Er lädt Freunde ein und feiert, isst und trinkt, spielt und liegt auf seinem Diwan und ist zufrieden. Erst wenn er alles verprasst hat, streckt er seine Hand aus, um wieder nach einer Chance zu greifen, wo sie sich bietet.
Denn im Gegensatz zum amerikanischen Millionär versteht er es, einfach nur glücklich zu sein.