Oper in Wien - 05. November 2011, Dominik Troger
Boris Godunow, Herzog Blaubart und Papageno in einer Stunde? Die Rollenwünsche eines Bassbaritons machen es möglich. Rupert Bergmann schlüpfte an diesem Abend in alle Kostüme – war der Abend ihm doch ganz allein gewidmet.
Der Bassbariton Rupert Bergmann ist seit vielen Jahren eine fixe Größe, wenn es um zeitgenössische Oper geht. Er hat in vielen Uraufführungen mitgewirkt und er hat – wie er selbst sagt – immer großes Interesse daran, an der „Erstschöpfung“ einer Bühnenfigur beteiligt zu sein.
Ausgehend von einem kleinen Musiktheaterstück, das die Komponistin Karmella Tsepkolenko für Bergmann geschrieben hat („Heute Abend Boris Godunow“, 2009 in Odessa uraufgeführt), entwickelte der Sänger die Idee, dieser Mini-Mono-Oper weitere folgen zu lassen. So ergänzte sich der „Boris“ mit „Blaubarts“ und „Papagenono. Eine Ausflucht“. Das Instrumentarium war für alle drei Werke vorgegeben: Klavier, Violine, Violoncello, Klarinette, Schlagzeug.
Die Aufführung war ursprünglich für die „Hölle“ im Souterrain des Theaters an der Wien geplant. Ein Wasserrohrbruch vereitelte diese Absicht – und man wich an die Wiener Kammeroper aus. Diese war bei der Uraufführung recht gut besucht, und ließ die Besucherinnern und Besucher hoffen, dass die Kammeroper auch weiterhin als Spielort erhalten bleibt.
Die Grundidee von „Vogel Herzog Idiot“ ist jene Selbstreflexion über das Theater – und hier im Besonderen über die Oper – die das Ich des Sängers „aufs Korn“ nimmt: der mit seinen menschlichen Schwächen davon träumt, für das Publikum und für sich eine ideale (Opern-)Welt zu schaffen. Und die großen Rollen – Boris, Papageno, u.s.w. sind die Vehikel, mit denen er sich aufschwingt zu „Größe“ und „Bedeutung“ und zum „Publikumsverzauberer“.
Aber was bleibt von diesem Traum, hat man als Sänger die Lebensmitte erreicht? Wird man zu einem Verwandten dritten Grades von Thomas Bernhards „Minetti“, und vertreibt sich die Zeit mit nutzlosem Warten auf das nächste Engagement – oder durchschaut man die Fiktion des Bühnentraums und macht sich auf und davon?
Und überhaupt – ein wenig Selbstironie kann nie schaden, scheint sich Rupert Bergmann gedacht zu haben – denn das erste Stück des Abends („Heute Abend Boris Godunow“) zögerte nicht, diese vom Protagonisten in reichlichem Maße einzufordern. Während die Lautsprecherdurchsagen: „Herr Bergmann bitte dringend in die Maske“ zunehmend drängender werden, träumt sich hier ein Sänger in der Garderobe eines kleinen Opernhauses vom Boris über den Schuisky zum Narren. Nein, Rupert Bergmann mutierte nicht zum Tenor, aber der Wahnsinn hatte natürlich Methode und zog an einem vorbei wie ein Kaleidoskop kurzer aufblitzender Rollenportraits. Es war nur konsequent, dass sich der Sänger schlussendlich aus dem Staub machte, dass er in Erkenntnis seiner subversiven Narrenweisheit beschloss („Aber die höchste Kunst ist, Nein zu sagen“), auf die Vorstellung zu pfeifen und sich zu Hause ein Henderl ins Backrohr zu schieben.
Karmella Tsepkolenko hat das Stück mit einer stark rezitativischen Komponente in Musik gesetzt, man konnte fast jedes Wort verstehen. Von überraschendem Effekt war die kurze Sequenz von Boris Wahnsinn, die trotz der stark eingeschränkten Instrumentation einige Takte lang „große Oper“ bot. Kristine Tornquist, von der das Libretto stammt, sorgte als Regisseurin dafür, dass sich Bergmann mittels mehrerer ablegbarer Kostümschichten vom Boris zum Narren entkleidete. Gespielt wurde vor dem roten Bühnenvorhang der Kammeroper. Das Geschehen lief zwischen einem Schminktischchen und einer Leiter ab. Bergmann ging dann durch den Zuschauerraum ab.
Nach diesem pragmatischen, fast kabarettartigen Beginn, „drohte“ Herzog Blaubart den Damen im Publikum. Allerdings hatte sich der Komponist Samu Gryllus mit einem Libretto des ungarischen Schriftstellers Zoltán Andreás Bán liiert – und die Blaubart-Geschichte in die Geschichte einer Geburt umgedeutet. Zudem hat der stark sprachkritische Einschlag des Librettos („Ich schleppe mich in den Ketten der Sprache“) die Sinnfindung im Rahmen einer Opernaufführung nicht gerade erleichtert. Gryllus löste stellenweise die Sprache in Vokale und Zischlaute auf, die dann schon fürs Wort standen, erfand eine Sprachmelodie, die am Beginn und am Schluss das Stück stark avantgardistisch auflud.
Bergmann stand in einem großen Kunstkopf auf der Bühne mit aufklappbaren Sinnesorganen. Er sang durch Ohren, Augen, Mund, streckte den Arm aus der Nase oder seinen Kopf aus dem Rachen. Die szenische Umsetzung war gelungen, man konnte sich Blaubart in seiner Burg und in sich selbst eingesperrt denken, in seiner „Seele“ eingezwängt, aus der er sich schließlich „gebiert“. Das Stück passte stilistisch und inhaltlich zwar überhaupt nicht zum vorangegangenen, wirkte in sich aber sehr geschlossen als spannend verkomponierte „Philosophie“.
Das dritte Stück, der „Papagenono“, tendierte wieder stark in die Richtung des „Boris“, hatte aber den gravierenden Nachteil, dass das vom österreichischen Schriftsteller Franzobel in einer Art „Wienerisch“ verfasste Libretto von der Komponistin Johanna Doderer in seiner Sprachmelodie zu wenig deutlich nachempfunden wurde. Doderers Musik stand gleichsam daneben oder über dem Textsinn und begleitete zu üppig – was sich auf die Verständlichkeit schlug. Dafür ist mir das kurze Intermezzo, während Bergmann in das mehrteilige Papagenokostüm schlüpfte, als leuchtkräftiges Stück Musik in Erinnerung geblieben, von den fünf Musikern unter der Leitung von Anna Sushon schwungvoll zu Gehör gebracht. In diesen Augenblicken eröffneten sich symphonische Dimensionen, die allerdings den Rahmen dieser Minioper sprengten.
Hätte man das Libretto nicht dankenswerter Weise im Programmheft nachlesen können, ich würde jetzt noch darüber rätseln, warum Papageno so „Depri“ ist: Der Vogelhandel wurde verboten! Das hat ihm die Existenzgrundlage entzogen. Putzmann Bergmann „fegte“ zwar durch Parterrereihen und sehnte sich nach seiner Existenz als Papageno zurück, aber erst, als er für das Finale seinen blauen Arbeitskittel mit einem Federkostüm tauschte, um eine tröstende „Opernphantasie“ auszuleben, herrschte die notwendige Ausgewogenheit zwischen Text, Szene und Musik.
Als Verbindungsglied zwischen den Opern wurde ein großer Braunbär auf die Bühne geschickt. Der Kostümbär lockerte auf, zudem konnte man ihn als Teil dieser Phantasiewelt des Theaters begreifen, nach der „Vogel Herzog Idiot“ von Sehnsucht erfüllt ist. Im Rahmen der heterogenen Stückfolge war er aber mehr Kompromiss als überzeugende Lösung, obwohl er beim Publikum gut ankam. Der Abend dauerte eine Stunde – die Länge der Mini-Opern betrug jeweils rund 20 Minuten. Es gab viel Schlussapplaus.
Fazit: Eine Hommage für Rupert Bergmann, die sich nicht in allen Teilen zu einem „großen Ganzen“ rundet.