mica magazin - 27.12.2012 Interview mit Gernot Schedlberger. Heinz Rögl
Interview mit Gernot Schedlberger
Der 1976 geborene Komponist ist immer eigene Wege gegangen. Seine neue Kammeroper „MarieLuise“, eine Produktion des sirene Operntheaters, hat zu Silvester im Palais Kabelwerk Premiere und ist dort bis 9.Jänner sechs Mal zu erleben. Das Libretto stammt von Kristine Tornquist, mit der Schedlberger bereits zusammengearbeitet hat. 2009 brachte er mit ihr seine Oper „Der Heinrich aus der Hölle“ in dem legendären Uraufführungszyklus in der Ankerbrotfabrik „Nachts“ (eine Kammeropernserie nach “Nachts unter der steinernen Brücke” von Leo Perutz) zur Uraufführung. Grund genug, Gernot Schedlberger nicht nur über die neue Oper zu befragen. Die Fragen beantwortete er Heinz Rögl.
Worum geht es in der neuen Oper?
MarieLuise sind siamesische Zwillinge, sie teilen sich zwei Beine und zweieinhalb Arme, aber sonst ist jede von ihnen eine eigenständige Persönlichkeit. Sie engagieren sich politisch in einer Partei, doch in der Politik finden sie statt Kooperation vor allem Konkurrenz und werden mit den Mechanismen der Macht konfrontiert – von der Kampfabstimmung bis zur Intrige. Als Luise zulässt, dass sie gegen Marie ausgespielt wird, geht Marie in Opposition. Die friedliche Koexistenz ist unmöglich geworden, die Trennung von MarieLuise in Marie und Luise steht auf dem Plan.
Herr Schedlberger, wie haben Sie denn auf den ersten Vorschlag von Kristine Tornquist reagiert, eine Geschichte über siamesische Zwillinge zu einer Oper zu machen?
Ich konnte mir zunächst gar nicht vorstellen, wie ein Stück mit siamesischen Zwillingen auf einer Bühne funktionieren soll. Und wie soll das für die Sängerinnen zu schaffen sein, wenn sie die ganze Zeit über auf der Bühne sein müssen? Aber natürlich hat mich das auch gereizt. Es gibt, soviel ich weiß, nur eine Oper, die in Deutschland war, die mit diesem Thema zu tun hatte. Das war aber keine Oper im traditionellen Sinn, sondern ein ganz anderer Zugang zum Musiktheater, eher ein Gesamtkunstwerk. Ich konnte auch Etliches, wie ich es mir wünschte, von Kristine umgesetzt bekommen.
Es geht in diesem Stück also nicht nur um Zwillinge, sondern eigentlich um Politik, um Parteienhader, Intrige, Stimmen zählen, Opposition?
Das ist das Spannende an der Geschichte. Das Libretto setzt sich sehr kritisch mit politischem Engagement auseinander, zeigt Mechanismen der Politik und der Macht auf. Der Idealismus kommt sehr schnell unter die Räder dieser Machtmechanismen.
In einer Szenenprobe in der aufgelassenen Wäscherei auf der Baumgartner Höhe sieht man die Zwillinge hinter einem Bretterverschlag agieren, damit die Fiktion von gemeinsamen Armen und Beinen aufrechterhalten werden kann. Das davor sind Ärzte in weißen Kitteln?
In der Ärzteszene setzt Tornquists Libretto sich kritisch damit auseinander, was man tun darf und wie weit die moralische Ethik der Ärzte gehen darf. Darf man Leben so beeinflussen, dass man bei einer Trennung von siamesischen Zwillingen auch den Tod in Kauf nimmt? Es ist ihr gut gelungen, mehrere Handlungsstränge in diesen Text hineinzubekommen. Das Stück hat mehrere Ebenen, wobei dieses ‚siamesische’ Thema nicht so dominant sein sollte. Die Ärzte agieren zuvor auch als Politiker. Das Personal der Inszenierung kenne ich teils schon vom „Heinrich aus der Hölle“. Die haben ein bewährtes und schon erprobtes Potential in der Darstellung.
War bei Ihnen die Beschäftigung mit dem Musiktheater immer schon da?
Die zieht sich bei mir von Beginn an sehr konsequent durch, das hat schon in der Studienzeit begonnen. Bei meinem ersten Versuch war ich zweiundzwanzig, ich war noch Student bei Kurt Schwertsik. Da hat sich ein interner Opernwettbewerb ergeben, der auf der Universität für Studenten und Absolventen der jüngeren Vergangenheit ausgeschrieben worden ist. Das war eine Zusammenarbeit mehrerer Institute und wurde in Penzing auf der Studiobühne aufgeführt. Geplant waren 45-minütige Einakter, die Sujets wurden vollkommen frei gestellt, es musste nur rechtlich frei sein, weil das sonst nicht hätte bezahlt werden können, dafür war kein Budget da. Ich habe den Alfred Jarry (den Autor von „Ubu Roi“) genommen, weil ich etwas Absurdes wollte – aber ganz frei bearbeitet. Auch gemischt und verbunden mit dem Hohen Lied der Liebe aus dem Alten Testament. Geblieben ist am Ende nur der verrückte König, aber das ist ja häufig und nahe liegend, und einige Textfloskeln aus dem „Ubu“, die aber als Collage montiert waren, dass eine ganz neue Handlung herausgekommen ist. Das war eigentlich meine erste Kammeroper. Es folgten in den kommenden Jahren noch drei andere. Eine wurde im Schlosstheater, eine weitere wieder in der Studiobühne aufgeführt. Das war 1999, 2001 und 2002, das ist relativ flott gegangen. Nach einer längeren Pause kam dann 2009 der „Heinrich“, die erste Oper, die von mir auf Auftrag geschrieben worden ist.
Mit dem Vokalen sind Sie ja außerdem neben ihrer Tätigkeit auf der Musikuni auch beruflich beschäftigt. Sie sind Korrepetitor beim Singverein der Musikfreunde. Kommt das aus Ihrer musikalischen Ausbildung?
Ich habe mit vier Jahren auf der Geige angefangen, das Klavierspielen habe ich mir aus Idealismus dann selber beigebracht, das dann so dominant geworden ist, dass ich in der Jugend fast mehr Klavier gespielt und geübt habe als Geige. Orgel habe ich auch noch dazu genommen. Ich wollte Allrounder sein. Geiger wollte ich nie werden. Mit 18 bin ich nach Wien gekommen, natürlich um Komponieren zu studieren, aber dann habe ich auch noch Dirigieren dazu genommen und war zwei Jahre bei Leopold Hager. Komposition hatte ich bei Eröd und Schwertsik.
Schwertsik ist ja eine interessante Figur, als gewesener Darmstädter ist er wieder zum „Tonalen“ zurückgekehrt, wobei er erkannt hatte, dass tonales Komponieren heutzutage ziemlich schwer sei. Hat das für Sie, der von ihm unterrichtet wurde, eine Rolle gespielt?
Ich habe damals selbst den etwas überheblichen Standpunkt eingenommen, dass zeitgenössische Musik selber daran schuld ist, wenn sie ignoriert wird. Das war sehr provokant, wenn einer das zur Aufnahme-Jury gesagt hat. Diether de la Motte hat mich dafür erzürnt „auseinandergenommen“. Aber im Nachhinein wurde mir klar, dass das vielleicht Eröd und Schwertsik eher gefallen hat. Ich hatte ja nicht nur den Standpunkt gehabt, sondern auch schon Kompositionen mitgebracht, also zumindest schon etwas gemacht. Als Student machte ich durchaus auch Experimente in eine Richtung, die Schwertsik weniger gefallen hat.
Wie fühlten Sie sich denn da in der so genannten „Avantgarde“-Szene? In der Wien Modern-Szene sind Sie zum Beispiel kaum aufgeführt worden.
Überhaupt nicht, wobei ich mich aber auch nicht darum bemüht habe, ich mag nicht Klinken putzen. Vielleicht passt da meine Musik auch nicht unbedingt dazu. Es stimmt, dass ich einen Traditionsbezug habe. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich unbedingt in diese Richtung gehen muss, wie das andere taten in meiner Studienzeit, wie Staud oder Resch.
Was ist dann Ihr Traditionsbezug?
Durch das Dirigierstudium habe ich immer sehr viel korrepetiert. So hab ich eben versucht, beim Komponieren eine eigene Richtung einzuschlagen. Das spielen tonale Elemente, auch konservativere Ansichten, eine Rolle. Ob das jetzt Collage ist, oder etwas anderes. Um jeden Preis etwas Modernes, Neues war mir nicht wichtig, da spielt auch Schwertsik eine Rolle.
Ihre Stilbeschreibung in der mica-Datenbank lautet so: „’Das Komponieren nach einem System ist das Eingeständnis der Impotenz’ (Edgar Varèse), in diesem Sinne ist jedes meiner Stücke ein neuer Versuch einer schlüssigen künstlerischen Aussage - ohne vorherige Festlegungen. Auch kann Stil in meinen Augen niemals ein künstlerisches Qualitätskriterium sein“. Stimmt das für Sie heute noch?
Das stimmt, natürlich unter Anführungszeichen, irgendwo immer noch. Zumindest was Kompositionssysteme betrifft. Aus meiner Sicht haben selbst Komponisten wie Schönberg solche Systeme nur als Versuch verwendet. Stücke von Schönberg im strengen System sind ja ganz wenige und er hat sich davon auch später wieder losgelöst.
Wurden Sie zu einer Art Einzelgänger, als Sie versuchten, einen eigenen Weg zu gehen?
Schon in gewisser Weise, weil es ja Strukturen im Musikbetrieb gibt, wo man leichter hineinkommt, wenn man mitspielt. Aber ich habe mich immer ganz wohl gefühlt und habe beruflich auch mein zweites Standbein. Und es gibt seit 2003 das Unterrichten an der Uni. Ich muss also nicht mitspielen. Es ist auch nicht so schlimm, wenn ich einige Zeit keine Aufträge habe.
Was genau machen Sie beim Singverein?
Ich bin Korrepetitor, der begleitet die Proben am Klavier. Seit einiger Zeit auch Solistenproben. Überall wo Stimmen dabei sind. Es ist sehr interessant, auch berühmten Dirigenten über die Schulter schauen zu können. Von der Probenarbeit habe ich immer profitiert.
Beziehen Sie sich auch in Kompositionen gelegentlich auf Tradition? Etwa in einer "Übermalung" eines Haydn-Themas für das Klaviertrio Eisenstadt?
Das mit der „Übermalung“ ist eine Art Serie. Es gibt auch eine Übermalung für Saxophonquartett, die in einem „Cercle“-Konzert aufgeführt wurde.
Das war im Off-Theater in der Kirchengasse. Mit Lukas Haselböck gemeinsam machen Sie ja diese cercle-Konzerte?
Die haben wir 2009 gegründet. Seit 2010 gibt es die Konzerte, wir bemühen uns um die Gelder, machen die Programmgestaltung.
Heute gibt es ja vielfältigere Szenen als vor 20 Jahren, nicht nur Wien Modern oder Klangforum – auch andere Ensembles (Lux, Freisitzer) und Festivals. Wie geht es mit der Neuen Musik weiter? Wie kann man sich bewegen?
Es gibt eine Krise der derzeitigen Musikszene, und zwar überhaupt: Der klassische Bereich wird immer musealer. Es muss sich aktuelle Musik ins Bestehende eingliedern, wenn das weiter gehen soll. Es geht auch darum, wie das Gewesene am Leben bleiben soll. Natürlich müssen bestimmte neue Stücke auf den Programmen stehen, sonst wird das Publikum sich nie damit auseinandersetzen. Verschiedene Welten, Publika: Es sind nicht sehr viele, die sowohl als auch in den Musikverein und zu Wien Modern oder Klangforum Wien gehen. Immer noch zwei Welten, die weit auseinanderklaffen.
Und auf der Uni?
Ich sitze ja bei Aufnahmeprüfungen. Es ist erstaunlich, wie viele heute vor allem Medienkomposition machen wollen und die Werke des 20. Jahrhunderts oder ältere nicht kennen. Vor 20 Jahren war es anders. Leute, die zu Film oder Fernsehen wollten, waren eine Minderheit. Heute ist erstaunlich, wie wenig die darüber wissen, wenn man ihnen Partituren von Ligeti, Berio oder meinetwegen Minimal Music hinlegt, damit sie das stilistisch einordnen. Die wissen teilweise nicht einmal die Namen, wenn man sie nach einem postserialistischen Komponisten fragt.
Auch die Musikausbildung in Grundschule und Gymnasium ist da dran schuld?
Zum Beispiel die Gesangspraxis. Die Jungen, die zu Johannes Prinz in den Singverein kommen, singen oft so auf Jazz, schleifen Töne an…
Noch einmal kurz zu MarieLuise. Kristine Tornquist fragte ich, wie Ihre Musik ist. Sie blödelte: „Nachgerade wagnerianisch“. Sie instrumentieren die Musik relativ voll aus? Gibt es vokale Soli, einzelne Szenen?
Ja. Was sie augenzwinkernd da gemeint hat, ist, dass das schon auch auf Traditionen aufbaut. Es ist der Versuch Musiktheater zu machen, das in gewisser Weise traditionalistisch ist. Da gibt es Instrumentalstücke, da gibt es Gesangsstücke, Sie meinte wohl Szenen, Soli, Zwischenspiele. Aber auch das Libretto ist traditionell gebaut, ein „Handlungslibretto“, es geht von vorne bis hinten durch, es wird etwas erzählt. Das wollte ich auch nicht brechen.
Die Zwillinge sind die Hauptfiguren, Sie haben auch eine dunkle Grundfarbe gewählt, indem etwa die hohen Streichinstrumente ausgespart sind. Und die anderen? Sind das nur Stichwortgeber oder auch Handelnde, Typen?
Diese führenden Politiker, die vorkommen und in Doppelrollen auch Ärzte spielen, sind schon auch ganz eigene Typen, die eine dominante Rolle einnehmen. Wirklich kleinere Rollen sind nur – außer den Zwillingen – die anderen hohen Rollen, ein Countertenor und eine Sopranistin als die zwei Reporter.