Falter 41/13, 09.10.2013, Marie-Therese Rudolph
Jedes Jahr werden die World Music Days in einem der Mitgliedsländer der International Society für Contemporary Music veranstaltet.
Gegründet wurde diese mittlerweile weltweit agierende Institution 1922 in Salzburg, Protagonisten der ersten Stunde waren Anton Webern, Arthur Honegger, Béla Bartók, Paul Hindemith, Maurice Ravel, Arnold Schönberg und Igor Strawinski.
Richard Strauss übernahm den Vorsitz des Gründungskomitees. Die bis heute gültigen Statuten bestimmten die Förderung zeitgenössischer Musik, ohne Rücksicht auf ästhetische Anschauungen, Nationalität, Rasse, Religion, politische Einstellung.
Nachdem diese Richtlinien bei den NS-Machthabern auf Widerstand stießen, musste die Organisation zwischen 1938 und 45 aufgelöst werden.
2013 wird das prominente Festival von zwei benachbarten Staaten veranstaltet, die auf eine gemeinsame und später eine – durch unterschiedliche politische Systeme – getrennte Geschichte zurückblicken können: Slowakei und Österreich.
Als Motto, das genau dieses Verbindende und Trennende ins Zentrum rückt, wählte man „Gates“ – im Sinne von „Brücken zwischen Ländern, ihrer Geschichte und Gegenwart, zwischen den Künstlern und dem Publikum, zwischen der jugendlichen Welt der musikalischen Lehre und den Professionisten, zwischen dem Bekannten und dem Vergessenen“. Beginnend mit Konzerten in Košice und Bratislava, gehen die diesjährigen World Music Days in Wien ins Finale.
Als Teil von Wien Modern wurden kleine Musiktheaterstücke in Auftrag gegeben – jeweils vier zur Durchführung an die beiden freien Wiener Operngruppen sirene Operntheater und progetto semiserio vergeben. Auch hier steht „Gates“ als verbindende Klammer über den Stücken, wurde im Auftrag jedoch nicht näher definiert.
Kristine Tornquist und Jury Everhartz, künstlerisches Leitungsteam des sirene Operntheaters, versuchten, für sich und die zu beauftragenden Librettisten eine konkretere Auffassung von „Gates“ zu erarbeiten. Sie kamen über „Tor“ und „Tür“ zu den dadurch eintretenden „Gästen“ – das Wort ist gleichzeitig auch ein Anagramm des Festivalmottos, also „Gates / Gäste!“.
Suchte die IGNM Österreich bereits die Komponisten Fernando Riederer, Bernhard Lang, Mirela Ivicevic und Jaime Wolfson aus, lag es nun an Tornquist und Everhartz, die passenden Librettisten zu finden.
Für den Komponisten Bernhard Lang stand von Anfang an fest, dass er selbst die berühmte Schlussszene mit dem steinernen Gast aus Mozarts „Don Giovanni“ als Ausgangsmaterial verwenden wollte. Für „The Stoned Guest“, Nr. 24 in Langs Monadologie, generierte er aus einer „Ausgangszelle“, basierend auf einem „Stück Mozart-Partitur“, das gesamte musikalische Material.
Radek Knapp lieferte für Mirela Ivicevic eine Geschichte von Überraschungsgästen, deren Gastgeschenke nicht ohne Folgen für den Besuchten bleiben: „Karussell“. Für die Komponistin war es das erste Mal, dass sie erst zu einer bereits fertiggestellten Vorlage die Musik schrieb. Es fiel ihr aber nicht allzu schwer, da sie schnell realisierte, dass sie mit dem Autor „die Lust teilte, sich auf die sozialen – in diesem Fall von den Medien pathologisch erzwingenden, konsumfreudigen – Konformitäten und auf deren Auswirkung auf die Lebensqualität des Individuums Schlaglichter zu werfen“.
Antonio Fian, Zeitungslesern durch seine Dramolette im „Standard“ bekannt, verband mit „Gäste“ mehr die ungebetenen, unsichtbaren, nämlich die, die mit Hilfe von Überwachungssystemen an unserem Leben teilhaben können. Jaime Wolfson, selbst als Dirigent und Pianist Gründungsmitglied des Ensembles Platypus, das die vier Operellen des sirene Operntheater interpretiert, baut seine Musik-Collage auf „Groteske und Ironie“ auf.
Und noch ein weiteres Team hat sich – etwas skurrilen – heimlichen Gästen gewidmet: Brigitta Falkner schrieb eine Geschichte über einen Bücherskorpion und Bücherläuse, deren Schlachten nur durch ein Mikroskop gesehen werden können.
Alle vier neuen Mini-Opern verbindet die Regisseurin Kristine Tornquist zu einem Ganzen und hat dafür kurze Intermezzi konzipiert. Die etwa einminütigen Assoziationen stellt sie großteils pantomimisch dar, zwar als „überbrückende“ Verbindungselemente eingesetzt, jedoch auch als eigenständige Beiträge geltend.
Für das sirene Operntheater ist es nicht das erste Mal, dass es sich der kleinen Form widmet. Zuletzt entstanden am Theater an der Wien „Vogel, Herz, Idiot“, drei Mini-Mono-Opern im Jahr 2011. Neben Abwechslung und Tempo im dramaturgischen Ablauf, sieht Tornquist noch viele weitere Vorteile in der kurzen Form: „Immer im Zwiespalt zwischen riskantem Experiment und der hohen Kunst der Reduktion verfügt die Form der Miniatur doch über dramaturgische Regeln und Möglichkeiten, die denen der großen Form so gegenüberstehen wie ein wendiges Segelschiff einem Ozeanriesen.“ (...)
„Gates“ bringt acht neue Kurzopern hervor, die dem Publikum Einblicke und Höreindrücke in unterschiedliche Kosmen geben werden. Die Expertin für die kleine Form, Kristine Tornquist, macht Lust auf das Abenteuer „Miniatur“: „Sie muss nichts beweisen, sie behauptet und schlägt eine Richtung ein, noch ohne ein Ziel anzupeilen. Sie ist der Ort für das Experiment, für die Überraschung und für den Salto aus dem Stand …“