Media-Art, Theaterkritik, 15.03.2020, Georg Papagiannakis
Der Begriff „Politische Oper“ ist ein Neologismus, der sich nach der Oper des minimalistischen Komponisten John Adams und der Librettistin Alice Goodman „Nixon in China“ (1987) über das historische Nixon-Mao-Treffens 1972 in Peking zu etablieren begann. Mit der Verwendung eines politischen Zeitdokumentes ebnete das Künstlerduo der Oper, die globales Zeitgeschehen thematisiert und damit auf eine denkende und politisch besorgte Öffentlichkeit trifft, den Weg. Die Fortsetzung der Oper ist "The Death of Klinghoffer" (1991), basierend auf dem tragischen Vorfall der Entführung der "Achille Lauro" im Jahr 1985.
Die Oper als Genre war schon immer eine Mischung intensiver emotionaler Zustände, und ihre Anhänger dienten und dienen mit frommer Andacht einem Ritual, das sich eher emotionalen und extrovertiert als inhaltlich orientiert. Allerdings kann niemand bestreiten, dass gelegentlich politische Aspekte oder gar mutige politische Positionen in die Libretti vieler berühmter Werke einfliessen, wie beispielsweise in Beethovens „Fidelio“, der die Überzeugungen der Aufklärung widerspiegelt, oder in „Boris Godunow“ von Mussorgski, wo der glühende Glaube an demokratische Werte zum Ausdruck kommt, oder in „I Lombardi alla prima crociata“ von Verdi, das von patriotischen Gefühlen und beseelter Hoffnung auf Befreiung von imperialen Fesseln überquillt.
Heute hat sich der anfangs sperrige Begriff der „Politischen Oper“ zu einem Musiktheatergenre gewandelt, das die Kunst des Melodrams mit politischer und sozialer Reflexion verbindet und auf Themen zurückgreift, die aus gelebten Erfahrungen des modernen Menschen und historischen Traumata stammen, die ein gemeinsames Gefühl vibrieren lassen. Beispiele sind Werke wie „Between Worlds“ von Tansy Davies und „Heart of Soldier“ von Christopher Theofanidis, die sich auf die Ereignisse des 11. September beziehen.
Periklis Liakakis verwendet in der Oper „Chodorkowski“, die auf der Alternative Stage des SNFCC präsentiert wurde, den umstrittenen Begriff unvoreingenommen, ohne Anführungszeichen und Sternchen. Seine Oper ist ein Verweis auf die turbulente Zeit der Perestroika und der postsowjetischen Zeit, in der ein unerbittlicher Krieg zwischen den Vertretern der politischen Elite, vertreten durch Wladimir Putin, und den Oligarchen der aufstrebenden Wirtschaftsklasse, angeführt von Mikhail Borissowitsch Chodorkowski, stattfindet, zeichnet die Geschichte auf zwei sich überschneidenden Ebenen nach: sowohl aus der Sicht der Protagonisten der Macht als auch aus derjenigen der Basis. Kristine Tornquists Libretto ist eine ausgewogene und langsam brennende Reflexion über die Wirkung aller Arten von Alchemie der Mächtigen auf das Leben und Vermögen der Völker.
Die Musik von Periklis Liakakis ist nicht ideologisch motiviert, unterwirft sich keiner Tradition, sondern behauptet einen ästhetischen Selbstwert als energisches und dramatisches Werkzeug. Ohne sich der horizontalen Linearität leichter Formen zu unterwerfen, interagiert der Komponist mit strukturierten und beschreibenden durchdachten musikalischen Konstruktionen, die einen kritischen, sarkastischen und leicht parodistischen Tonfall haben, der manchmal an Kurt Weill erinnert. Seine dichten und kompakten Harmonien verdichten und verallgemeinern wie eine Metonymie das musikalische Klima: man hat das Gefühl eines chaotischen Zustands, der Unbewaffnetheit menschlichen Handelns. Einmal steht die Musik für das Streben nach Macht, einmal für das Überleben, für die Dissoziation zwischen der bescheidenen Welt der Humanität und der Solidarität und für die Überschreitung menschlicher Grenzen.
Die musikalische Leitung von Jury Everhartz zeichnete plausibel die Nervosität und allgemeine Verwirrung der historischen Umstände sowie deren Eskalationen und Dekompressionen nach und machte das Orchester zum Echo des Bühnengeschehens, während der Regieansatz (Kristine Tornquist) die Oper von allen sonst üblichen Extravaganzen befreien konnte. So blieb auch Raum, die Musik zu hören, das Verhältnis von Sprache und Musik war sehr ausgewogen.