Online Merker, 29.02.2020, Ingo Starz
Wie man Zeitgeschichte interessant und unterhaltsam auf die Buehne bringen kann, zeigt in Athen derzeit das sirene Operntheater aus Wien. Es zeigt als Koproduktion mit der griechischen Nationaloper die Oper „Chodorkowski“ von Periklis Liakakis im kleinen Haus, auf der Alternativen Bühne. Das Werk hatte seine Uraufführung bereits am 20. November 2015 in Wien und erwies sich dort als überaus erfolgreich. In Athen erlebt man die Wiener Inszenierung mit dem eingeflogenen Sängerensemble und dem hiesigen Musikensemble Anax. Der Komponist hat sein Werk mit den Athener Musikern für die griechische Erstaufführung einstudiert.
Die Oper „Chodorkowski“ erzählt die Geschichte, man könnte sagen den Aufstieg und Fall von Michail Chodorkowski, einem früheren russischen Oligarchen. Sie skizziert die reale Karriere eines Mannes, der vom einfachen Diplomchemiker und Funktionär durch die Übernahme des Ölkonzerns Yukos zu einem der reichsten Männer des Landes wird. Wie sehr politische Verstrickungen und Korruption seine Karriere in der Post-Perestroikazeit bestimmen und fördern, wird in dem Libretto von Kristine Tornquist detailreich geschildert. Chodorkowski, der zusammen mit Wladimir Putin zum Kreis um Boris Jelzin gehört und verschiedene Parteien grosszügig finanziert, gerät schliesslich in die Fänge der Politik. Putin, der die Bedeutung der Kontrolle über die Wirtschaft erkennt, nutzt während seiner ersten Präsidentschaft die Gelegenheit, den Industrieboss wegen Steuerhinterziehung zu inhaftieren. Die Oper erzählt so von zwei Führerfiguren, den Rivalen Putin und Chodorkowski, vom Machtkampf zwischen Politik und Wirtschaft. Und sie zeigt in der Schlussszene im Gefängnis einen nachdenklichen Chodorkowski, der über eine andere Gesellschaft nachdenkt.
Kristine Tornquist setzt das Werk aktionsreich in Szene. Mit wenigen Versatzstücken werden die unterschiedlichen Stationen und Orte des Geschehens markiert. Als szenischer Rahmen fungieren der Kaffeetisch von Chodorkowskis Mutter und das Sofa der einfachen Bürger Iwan und Natascha.
„Chodorkowski“ ist eben nicht nur eine Art Königsdrama, sondern auch ein Lehrstück, das auf die Verhältnisse oben und unten blickt. Die Oper tut dies mit einer Abfolge kurzer, prägnanter Szenen, die sich auf die äussere Handlung, auf wesentliche Entscheidungsmomente konzentriert. Es gibt eine gleichsam mythische Figur, Fortuna, die als eine Art Nummerngirl daherkommt, welches mittels Schildern die Personen bezeichnet und teils in das Geschehen miteinbezogen ist resp. eingreift. Das Werk steht in der Tradition des politischen Musiktheaters, wie man es seit den 1920er Jahren kennt. Die Musik von Periklis Liakakis versteht es, die richtigen Akzente zu setzen, sei es mit Schlagwerk und Bläsern für den politischen Kampf oder mit einer choralartigen Melodie, welche Leiden und Gleichmut des russischen Volkes charakterisiert. Das Resultat ist ein präzise gearbeitetes Werk, das zum Nachdenken anregt und dabei auch unterhaltsam ist.
Das grosse Sängerensemble leistet sehr gute Arbeit. Clemens Kölbl als Chodorkowski und Alexander Mayr als Putin stehen im Zentrum, wenngleich sie stimmlich weniger farbenreich als manche Kollegen agieren. Sébastien Soulès als Iwan, Steven Scheschareg als Igor und Gernot Heinrich als Leonid Newslin stechen rein vokal mehr hervor. Zum Erfolg der Produktion tragen aber auch alle weiteren Beteiligten bei: Ingrid Habermann als Mutter Chodorkowski, Lisa Rombach als Natascha, Elsa Giannoulidou als TV-Reporterin, Tehmine Schaeffer als Kate, Matthias Haid als Pitchugin, Martin Mairinger als Petuchow (ein starker Auftritt!), Richard Klein als Abramowitsch, Dieter Kschwendt-Michel als Matteo Tiziani und Baerbel Strehlau als Fortuna. Am Pult des dreizehnkoepfigen Orchesters steht Jury Everhartz. Musiker und Dirigent bringen Liakakis‘ Musik gekonnt und mit grossem Elan zum Erklingen.
Das Publikum spendet anhaltenden Applaus. Ein paar Bravo-Rufe gelten dem Komponisten.