newtimes.ru, 28.11.2015, Olga Marchic
In Wien fand die Uraufführung der Chodorkowski-Oper statt, eine musikalische Reflexion über den epochalen Konflikts zwischen Geld und Macht.
Diese ungewöhnliche Aufführung, die Drama, Humor, Musik und Gesang kombiniert, ist eine sowohl ernste als auch tragikomische Geschichte über einen Mann, dessen Schicksal weltweit Schlagzeilen machte. Protagonist ist Mikhail Chodorkowski (Clemens Kölbl), ein junger Glücksritter, der nach dem Zusammenbruch der UdSSR sein Kapital im Bank- und Ölgeschäft verdiente und dann wegen seiner Vorstellung von Russlands weiterer Entwicklung im Gefängnis landete. Ort und Zeit der Handlung ist Russland vom Ende der 1980er Jahre bis zur Entlassung von Chodorkowski aus der Haft.
Bekannte Charaktere treten auf - Pitschugin, Newslin, Abramowitsch, Setschin. In der Ouvertüre stehen sich zwei Chöre gegenüber: „Freiheit!“ – singt der eine Chor, „Sicherheit!“ rufen die anderen. Sicherheit ist das Motto des pensionierten KGB-Offiziers Wladimir Putin (Alexander Mayr). Während die Hauptfigur Russland zum „größten Wirtschaftskonzern“ der Welt machen will, will die andere die Idee der Sowjetunion in die Neuzeit retten. Aus diesem Machtkampf zwischen zwei ehrgeizigen Männern wird Putin als Sieger hervorgehen.
Auch klassische „kleine Leute“ kommen im Stück vor – ein junges Ehepaar, Natascha und Iwan, deren unstetes Leben mit Hoffnungen auf das Beste in den Perestroika-Jahren einen Kontrapunkt zum zunächst erfolgreichen Schicksal des Protagonisten setzt. Auch wenn die beiden nicht begreifen können, welcher der drei Charaktere (Chodorkowski, Newslin, Abramowitsch) jetzt wen hereingelegt hat, und nur verstehen, dass Abramowitsch rechtzeitig begriffen hat, dass er kein Opfer sein will, beschäftigt das Schicksal des jungen Ehepaares alle und zwingt zur Empathie. Es ist zum Lachen, wie Natascha in einer der Schlussszenen nach Iwans Verhaftung ein Foto von Putin macht und zu ihm sagt: "Zur Strafe stehst du jetzt hier und schaust dir das alles an!" Dann reißt sie ihre Bluse herunter, fällt aufs Sofa und weint bitterlich.
Die österreichische Dramatikerin und Regisseurin Kristine Tornquist, Intendantin des Wiener sirene Operntheaters, wählte die Chodorkowski-Geschichte aus. „Ich habe angefangen, Texte über Chodorkowski zu lesen, über seinen Prozess, dann Bücher und Briefe, die er selbst geschrieben hat.“, sagt Kristine Tornquist Newtimes. „Solche Menschen sieht man in der modernen Welt selten, zum größten Teil sind wir es nicht gewohnt, aus unseren Fehlern zu lernen. Ich war mir fast sicher, dass er nicht lebend aus dem Gefängnis kommen würde, sonst hätte ich nicht angefangen, über die Inszenierung nachzudenken.“ Laut Tornquist wurde das Drehbuch 2013 mit offenem Ende fertiggestellt. Ende des Jahres wurde Chodorkowski dann unerwartet begnadigt: „Deshalb möchte ich mich sogar bei ihm entschuldigen, weil ich teilweise in seine Privatsphäre eingedrungen bin, ohne ihn zu fragen.“
Die Musik für die Aufführung wurde vom griechischen Komponisten Periklis Liakakis geschrieben. Er dirigierte auch alle November-Vorstellungen in Wien. Das Orchester befindet sich in den abgedunkelten Tiefen des Saals und wird von einem dunkelroten Licht beleuchtet – dadurch erzeugt die zurückhaltende, intensive Musik eine noch gespenstischere und bedrohlichere musikalische Untermalung. „Als ich die Partitur geschrieben habe,“, erklärt Liakakis im Gespräch mit Newtimes, sah ich immer mehr Parallelen zwischen dieser Geschichte in Russland und der aktuellen Situation in meiner Heimat Griechenland. Ich denke, ähnliche Situationen zwischen Macht, Geld und Staat gibt es in sehr vielen Ländern der Welt.“
Die Oper wird in einem Saal mit Eisensäulen zum Leben erweckt, der stilistisch an eine alte Industriehalle mit Anklängen an die Ära des Klassizismus erinnert. Das imposante Gebäude im Zentrum Wiens, im Volksmund Semperdepot genannt, benannt nach Gottfried Semper, einem der Architekten, der es gebaut hat, ist ein ehemaliges Depot für Bühnendekorationen der kaiserlichen Theater. Eine hervorragende Kulisse für eine dramatische und zugleich komische Handlung: Boris Jelzin tritt in Form einer hölzernen Matroschka-Puppe mit einem Glas Wein in der Hand auf die Bühne. Putin, gespielt von Alexander Mayr, gibt sich ziemlich frech, und das hohe Timbre seiner Stimme bricht periodisch ins Falsett um. In allen Szenen erscheint Lady Fortuna (Bärbel Strehlau) in einem goldenen Kleid, sie wechselt von einer Figur zur anderen, auch zu Chodorkowski.