Ö1 Kulturjournal, 20.11.2015, Sebastian Fleischer (Sendung) (mp3)
Russischer Machtkampf als Oper
Der frühere Oligarch Michail Chodorkowski, einst mächtiger Unternehmer und dann wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt, gilt vielen als tragischer Held der jüngsten Geschichte Russlands. Ihm widmet das sirene Operntheater seine neueste Opernproduktion. Uraufführung ist heute im ehemaligen Wiener Semperdepot.
Mit Entsetzen reagieren die einen auf den Zerfall der Sowjetunion am Beginn der 1990er Jahre, mit Euphorie die anderen. Während ein KGB-Beamter namens Wladimir Putin, dessen Posten gerade gestürmt wird, verzweifelt um Verstärkung ansucht, wittert ein junger Mann mit Schnauzbart und altmodischer Metallrahmen-Brille die große Chance der neuen Freiheit: Michail Chodorkowski gehörte zu jenen, die im Zuge der Wende marode Staatsunternehmen kauften, sanierten und zu Imperien aufbauten.
Dramatische Gesangslinien, Chor- und Orchestersequenzen bestimmen diese musikalische Erzählung vom Schicksal Michail Chodorkowskis. Diese Dramatik sei zum einen der Musiktradition Russlands geschuldet, sagt der in Athen geborene Komponist Periklis Liakakis, zum anderen aber freilich auch der Geschichte, die da erzählt wird.
Als sich Chodorkowski zum politischen Reformer aufschwang, räumte ihn Präsident Wladimir Putin aus dem Weg: An dieser Auffassung lässt auch Kristine Tornquist keinen Zweifel. Die Leiterin des sirene-Operntheaters hat ein dichtes Libretto verfasst, das den Aufstieg und Fall des Oligarchen schildert. Bilder des friedlich lächelnden Chodorkowski hinter den Gefängnisgittern hätten sie beeindruckt, so Tornquist.
Als Chodorkowski Ende 2013 überraschend begnadigt und aus der Haft entlassen wurde, hatte Kristine Tornquist hat das Libretto bereits fertiggeschrieben. Für die Oper hatte sie sowieso ein offenes Ende vorgesehen. Auf der offiziellen Homepage des in der Schweiz lebenden Ex-Oligarchen findet sich sogar ein Hinweis auf die Opernpremiere; dennoch plagt Tornquist ein schlechtes Gewissen. "Ich war sicher, dass es nicht lebend rauskommt, sonst hätte ich auch kein Stück über ihn geschrieben", sagt die Autorin.
Dem schwierigen Stoff setzt Kristine Tornquist in der Säulenhalle des ehemaligen Semperdepots eine humorvolle Inszenierung entgegen, in der vieles gleichzeitig passiert. Putins Vorgänger Boris Jelzin erscheint da etwa in Form einer Matrjoschka mit Weinglas in der Hand, die zu gegebener Zeit umkippt; Putin selbst ist ein Halbstarker mit ziemlich hoher Stimmlage, und ein Ehepaar in Tracht repräsentiert das einfache Volk. Wenn demokratische Spielregeln keine Rolle mehr spielen, so könnte die Botschaft lauten, wird es im Machtspiel zwischen Geld und Politik immer nur Verlierer geben.