Eine Realität, die uns alle betrifft
Hannes Löschel im Gespräch mit Christian Heindl
CH: Wann hast du den Auftrag zu „Nemesis“ erhalten und in welchem Zeitraum entstand die Partitur?
HL: Den Auftrag für Nemesis erhalten hab ich im Frühjahr 2015, die Partitur entstand nach einigen Vorarbeiten hauptsächlich zwischen März und Juli 2016.
CH: Was hat dich besonders an diesem Stoff fasziniert und gab es angesichts des Inhalts eventuell auch emotionale oder gedankliche Hürden für dich?
HL: Das Krankenhaus nicht nur als - sehr beliebtes - Sujet diverser TV Serien sondern als Zentrum einer Operntrilogie war schon sehr reizvoll. Ein peripherer atmosphärischer Hintergrund an Grundstimmung ist inspiriert von der TV Serie „The Kingdom“ von Lars von Trier, die in den 80er Jahren gelaufen ist. Düster, geheimnisumworben, manchmal „futuristisch". Ich selbst hab mit 19 mal ein Jahr Medizin studiert und parallel dazu an der Psychiatrischen Anstalt Steinhof mit Oligophrenie-Patienten und anschliessend auf einer Internen (ehem. Elisabethspital) praktiziert. Ich schätze : ein Zufall, aber : mit dem Ambiente kann ich viel anfangen...
CH: Das Thema von Nemesis ist eine Auseinandersetzung mit den Grenzen von Leben und Tod im medizinischen Bereich. Ist in der Oper auch ein aufklärender Ansatz enthalten?
HL: Der sehr körperlichen, sinnlichen Komponente der alltäglichen Krankenhausarbeit wird hier zentral eine metaphysisch-religiöse und geistig-natürliche gegenübergestellt. Aufklärerisches gerät in Konflikt mit subjektiven Moralvorstellungen, Religion, Psychologie...
CH: Wie realistisch oder wie weit hergeholt siehst du die Story deiner Oper in Vergleich zu einer aktuellen Situation?
HL: Im Zentrum von Nemesis steht Primar Jessing, der - einer klassisch durchaus verbreiteten Konvention folgend - den Fortschritt der Medizin stark an die Entwicklung der Technik rückt. Sein dramaturgisches „Gegenüber“ ist ein Komapatient, ein „Untoter“, der ins Leben zurückgeholt werden soll. Der Primar führt wortreich aus vor einer Schar ihm an den Lippen Hängender, verweist - ganz seinem bildungsreichen Ideal verpflichtet - auf die Helden der griechischen Mythologie, wirft Moral ins Spiel, doziert. Der Komapatient singt ganze zwei Mal in der Oper. Technischer Fortschrittsglaube, durchaus humanen Werten verschrieben, gerät auf den Prüfstand und unterliegt letztlich. Das Versuchsobjekt verweigert sich der Versuchsreihe, die zu ihrem Besten besten geschaffen wird. Idealismus, der die Gesetzmässigkeiten des freien Willens außer Kraft setzt, scheitert. Natürliche Grenze oder Grenze der Natur, ein Widerstand bis zur letzten Konsequenz. Diese Schnittstelle scheint mir ein sehr reales Thema in der Medizin, das sich direkt in unseren Alltag fortsetzt.
CH: Wie gestaltete sich die dramaturgische Zusammenarbeit mit der Librettistin der drei Hospital-Opern, Kristine Tornquist – Kalter Krieg oder New Deal?
HL: Die Zusammenarbeit mit der Librettistin war vor allem anfangs - von Verteilung der Libretti auf uns Komponisten bis zum Beginn der Arbeit an der Musik - und in der Endphase durchaus intensiv und spannend!
CH: Nemesis ist Deine erste Oper. Stimmt das? Hast du den Eindruck, dass die Erfahrungen, die du aus deinen früheren Bühnenmusiken gesammelt hast, bei der nunmehrigen Arbeit hilfreich waren?
HL: Nemesis ist meine erste Oper. Die Oper als Sujet hat andere Gesetze als Filmmusik, Musik-Tanz-Produktionen oder Theatermusik. Die Komposition definiert von Anfang bis zum Ende die Zeit und strukturiert damit das Bühnengeschehen. Insofern konnte ich Erfahrungen im Einsatz und Umgang mit Stimmen und Stimmungen mitbringen, die Erfahrung der dramaturgischen Zeitkonzeption war neu und überaus spannend und lehrreich.
CH: Vermag ein solcher Stoff heute das Publikum zu schockieren, ist ein solcher Effekt allenfalls sogar gewünscht?
HL: In gewisser Weise könnte man „erstaunt“ darüber sein, wie Oper, diese „alte“ Form, eine Alltagssituation, oder einen beruflichen Dialog zu überhöhen vermag. Das kann hysterisch, witzig oder artifiziell anmuten. Durch diese dramaturgische „Lupe“ scheinen jedenfalls Momente in die Lage zu kommen, speziell zu berühren und Bewusstsein schaffen. Ein Stilmittel, das vor allem im Umgang mit Stoffen der Gegenwart seinen besonderen Reiz hat! Der „Plot" schafft es solcherart, im einen oder anderen Moment unnatürlich nahe an den Betrachter und Zuhörer heranzutreten.
CH: Unterstützt Deine Musik die schockierende Seite oder gibt es darin eher eine gegensätzliche, „versöhnliche“ Komponente?
HL: Musik und Text folgen einem dramaturgischen Strang, der an einigen Stellen von Choreinschüben unterbrochen/irritiert wird. Eine Anlehnung an die griechische Tragödie und kleines dialektisches Moment zwischen Handelnden und Aussensicht.
CH: Erwartet uns eine illustrierende Musik oder siehst du deine Arbeit auf einer abstrakten Ebene?
HL: Die Musik geht meist mit dem Text mit (großteils syllabisch, Silbe für Silbe). An manchen Stellen lässt die Musik den Text aber auch links liegen, komponiert sich an ihm vorbei und verfolgt ihr eigenes emotionales Konzept. Bruchstellen, die möglicherweise irritieren, aber eben auch in der Lage sind, Wahrnehmung zu vertiefen. Stimmungen, Atmosphären werden musikalisch übernommen, dehnen sich manchmal über den Handlungsstrang hinweg aus, bieten innere Orientierung an. Konkrete Illustrationen ähnlich einem Soundtrack sind keine enthalten. Wohl aber eine Klangmaschine. Ein wundersames Objekt aus dem wunderbaren Maschinenfuhrpark Paul Skrepeks, der mit seinen Objets trouvés immer wieder neue Schnittstellen und Spielräume zwischen Mensch und Maschine findet. Hier ist es die Maschine, die den Patienten am Leben erhält, durch ihr Abschalten seinem Leben auf die Sprünge hilft und auf die letztlich doch wieder zurückgegriffen wird. Sie steht auf der Bühne als Orchestrion der Lebenserhaltung. Ein Herzkasper nahe dem Herzkasperl. Ein Lebensspender, selbst stets mit einem Fuß am Abgrund... Begleitend und solierend gleichermaßen. Im Betriebsmodus der verlängerte Arm des Orchesters auf der Bühne weist sie - nicht zuletzt durch ihre Transparenz und Fragilität - auf das zerbrechliche Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, Natur und Technik.
CH: Auch für das Libretto, aber speziell für die Musik gesprochen: Ist der Ansatz todernst oder gibt es Raum für Ironie, eventuell sogar Humor?
HL: Nemesis handelt im Rahmen der Hospital-Trilogie den dunklen, düsteren Aspekt des Krankenhauses ab. Der Anlass ist also todernst. Zumindest in diesem Kapitel. Gerade deshalb ist Platz für Humor und Ironie. Wenn auch leise. Therapie und Religion erfahren ein solches Moment (einige Melismen beim Priester, „Lagerfeuergitarre" bei der Therapeutin). Eine Desavouierung dieser beiden Weltsichten ist damit jedoch nicht beabsichtigt. Der Zugang der anderen Protagonisten zur permanenten Nähe der Schnittstelle zwischen Leben und Tod reicht von persönlicher Betroffenheit über Routine, Gleichgültigkeit bis zu Ironie und Zynismus (Wettbüro).
CH: In allen drei Hospital“-Stücken spielt das Metaphysische eine mehr oder minder starke Rolle. Wie wird diese nicht zuletzt dem Publikum verdeutlicht, ist der Zugang ein leichter oder bedarf es doch der begleitenden Zusatzinformation, um diese verfolgen zu können?
HL: Das Spezifische des Krankenhaus bleibt stets transparent: manchmal aufflackerndes Fachvokabel, berufsspezifische Verhaltensformen sowie die manchmal unvermittelt eruptiv hervorbrechenden Ausformungen der sinnlich-drängenden Körperlichkeit, in die dieser Berufsalltag gebettet ist. Das Metaphysische tritt in Nemesis spätestens in der zentralen Szene gegen Ende der Oper als Herzstück ganz nah und unmittelbar ans Publikum. Ein ohne nach tieferen Vorkenntnissen verlangender allgemein zugänglicher Moment.
CH: Gibt es so etwas wie eine „Moral von der Geschichte“, ein allgemeingültiges Fazit, das über das Thema im engeren Sinn hinausgeht?
Eine „Moral“ im klassischen Sinn sehe ich nicht. Vielmehr eine - hoffentlich möglichst erfahrbare - Erkenntnis des Umstands, wie eng Vernunft und Emotion, Mensch und Maschine und die Konsequenzen aus deren Umfeldern beieinander liegen. Im Alltag mitentscheidend für Lebensqualität, individuelle wie soziale Kompetenzen entscheidet dies im Krankenhaus eben auch über Leben und Tod.