Anaclase, 17.11.2017, Bertrand Bolognesi, Deutsche Übersetzung: Dagmar Schmuckerschlag
Die Reise, ein Schauspiel von Helga Utz (pdf)
Eine Reise durch ein verlassenes Haus
Jean Barraqué / Musique de scène (Welturaufführung)
Wien Modern spielt im dreißigsten Jahr seines Bestehens an sechsundzwanzig verschiedenen Orten der österreichischen Bundes-hauptstadt. Eine Reise, das Festival ebenso wie ein besonderes Projekt, das mit diesem Titel überschrieben ist. Das Plakat kündigt die Welturaufführung der Musique de scène von Jean Barraqué an. Mit Studenten der Universität der Angewandten Künste Wien verspricht Helga Utz eine fantastische Reise durch ein verlassenes Haus. Obwohl der musikalische und theatralische Beginn für 20 Uhr angesetzt ist, gehen wir mit dem Publikum schon eine Stunde früher in das besagte Haus hinein. Es handelt sich um ein Jahrhunderte altes Gebäude im Stil der Sezessionsarchitektur, streng und schlicht, ein ehemaliges, heute stillgelegtes Postamt. Das Mondschein, genannt nach der angrenzenden Mondscheingasse, ist heute ein Raum für Kultur, man betritt ihn von der Zollergasse 31 aus, im Bezirk Neubau.
Das Konzept ist vielversprechend: 12 Räume werden bespielt, verteilt auf das erste und das vierte Stockwerk des Postamtes. Dabei wird vor allem die fragmentarische Musique de scène von Jean Barraqué gespielt und in Szene gesetzt, während die Zuschauer nach Belieben zwischen den Installationen, Filmen und Theaterperformances flanieren können.
Zum Beginn der Reise trinken wir ein Glas an der Bar Modern in der leeren Schalterhalle im ersten Stock und gelangen kurz danach zu den ganz verschieden dimensionierten Räumen 5 bis 11. Jetzt kommt der Moment, um aufmerksam den beim Empfang aufgelegten Plan zu lesen und ein umfangreiches Eventmenu zu studieren, das neugierig macht. Um 20 Uhr beginnt die Musique de scène mit der Episode Das Zimmer. Es spielt das ensemble sirene. Das Publikum sitzt in Form eines L um eine kleine Szene, wo man die merkwürdige Begegnung eines Hotelchefs mit seinen Gästen erlebt, die zu ihm kommen, während er total erschöpft ist. Der Schriftsteller Jean Thibaudeau (1933–2013), der bei den Éditions de minuit ab den Sechziger Jahren veröffentlichte, war damals von den brillanten Kuriositäten Ionescos und den etwas weniger seltsamen, dunklen Verrücktheiten Becketts beeinflusst.
Viele Jahre lang arbeitete Jean Barraqué (1928-1973) – vgl. unsere Kritik der Publikation von Paul Griffith – an der Vertonung des Romans La Mort de Virgil von Hermann Broch (Der Tod des Vergil von 1945, die französische Übersetzung erschien im Jahr 1955). Ein Projekt, das er nicht zu Ende führen konnte. Dabei bringt der dramaturgisch begabte Komponist frischen Wind in die absurden Szenen. Zu mehreren kurzen Stücken von Thibaudeau (Miniaturen von 1958) schrieb er einige musikalische Interventionen.
François-Pierre Descamps interpretiert den vorhandenen Notentext am Pult des Orchesters, der im Bärenreiter Verlag Kassel erschienen ist. Er erinnert in seiner seriellen Dichte an die Arbeiten von Karlheiz Stockhausen und Edgar Varèse.
Die Gäste des besten Hotels der Stadt treffen auf einen Empfangschef mit unproportionierten, ja monströsen Händen (Benjamin-Lew Klon). Während die Ehefrau (Ewa Konstanciak) mit ihm herumtollt, köpft ihr Mann (Krzysztof Leszczynski) eine Flasche Champagner. Plötzlich eine Aggression in polnischer Sprache, mitten im kalten Krieg der Figuren. Überraschenderweise antwortet der Empfangschef auf Polnisch! Die Doppelagenten treffen sich wieder und feiern. Nach dieser etwa eine Viertelstunde dauernden Performance geht die Reise weiter, zum nächsten Konzert des Abends, der sich auf gefühlte zehn Stunden verlängert oder sich bis zum Beginn des nächsten Tages erstreckt. Eine hübsche Dame in Rot lädt mich hinter einen Paravent und setzt mich vor ein Gitter und einen schwarzen Vorhang. „Haben Sie ein starkes Herz?“ Ich stimme zu. Sie leitet mich in ein finsteres Zimmer, in dem ein kleines Spitalsbett steht. Ein maskiertes Geschöpf gibt mir ein Zeichen, mich zu nähern. Ich trete näher, amüsiert, es ist ein wenig verspielt. Der ägyptische Gott Anubis (Feroz Yozufi) bittet mich, mich hinzulegen. Mit einem Taschenspielertrick zieht er aus meiner Brust ein Herz aus Papier, das er auf eine große Waage am Fußende des Bettes legt. Das Messgerät schwingt, während eine Lichtguillotine sich schwindelerregend über meine Linke senkt. Nach Abschluss der Bewertung entlässt mich der Schakalgott lebend in die Freiheit. Ich verabschiede mich mit einem kleinen Wink.
Nach dem sanften Totengericht haben wir nun Appetit auf die anderen Genüsse dieses reichhaltigen Zaubergartens. Ein Hauch von verschwörerischem Komplizentum ist in den Blicken der anderen Besucher zu sehen, die sich in den Gängen des verlassenen Hauses begegnen. Man trinkt hier und raucht dort, am liebsten unter einem Plakat mit der Aufschrift Nichtraucher. Aber auch die Enttäuschungen beginnen. Ich begebe mich in den Raum 9, in dem ...und wenn es ein Wolf ist gezeigt wird. Niemand, kein Schauspieler. An der Tür ein Schild mit der Aufschrift Kein Eingang. Ich ersteige den vierten Stock und finde eine Installation mit dem Titel Grundlos. Eine Gruppe von Kameramännern bittet mich, wieder zu gehen, trotzdem ich zur angegebenen Zeit erscheine. Das fröhliche Gefühl, das bis jetzt den Abend dominierte, wird durch einige Verbote, Absenzen und Sackgassen getrübt, die das Umherschlendern behindern. Das Versprechen wird nicht gehalten, außer dem Tod ist alles unwahr, eine Metapher der Unvollständigkeit, in der Barraqué sein Werk hinterlassen hat. Sehr chic! Es sei denn ein simples Organisationsproblem wäre dafür verantwortlich...
Anaclase, 17.11.2017, Bertrand Bolognesi
Die Reise, spectacle d’Helga Utz
voyage fantastique dans une maison abandonnée
Jean Barraqué | Musique de scène (création mondiale)
De même que Wien Modern décline sa trentième édition dans vingt-six lieux différents de la capitale autrichienne, la soirée Die Reise s’annonce, ainsi que l’indique son nom, comme un itinéraire hasardeux dans un édifice réinvesti pour l’occasion. L’affiche annonce « création mondiale de Musique de scène de Jean Barraqué ». Avec les étudiants de l’Université des Arts appliqués de Vienne, Helga Utz propose un « voyage fantastique dans une maison abandonnée ». Alors que le premier rendez-vous musico-théâtral est annoncé pour 20h, avec le public nous pénétrons ladite maison près d’une heure auparavant. Il s’agit d’un immeuble centenaire, d’architecture Secession strict et sobre, ancien bureau et administration postale désaffecté.
Mondschein, situé au numéro 31 de la Zollergasse, dans le quartier branché de Neubau, est aujourd’hui réinvesti en espace culturel. Le concept est prometteur : onze pièces, réparties au premier étage et au quatrième, accueilleront des concerts où seront joués et mis en scène les fragments du projet de Barraqué, concerts entre lesquels le spectateur pourra déambuler à la faveur d’installations, de films, d’interventions théâtrales.
Pour commencer, nous prenons un verre au Bar Modern, vaste hall du premier niveau, à partir duquel l’on accèdera plus tard aux pièces 5 à 11, de diverses dimensions. C’est le moment de lire attentivement le plan fourni à l’accueil, de faire connaissance avec un menu aléatoire de happening qui met l’eau à la bouche. À 20h, Musique de scène avec l’épisode La chambre. Avec l’ensemble Sirene derrière une assemblée installée en L autour d’une petite scène, l’on apprécie la rencontre étrange du réceptionniste d’un hôtel avec d’improbables clients qui le viennent solliciter dans son grand épuisement. L’écrivain Jean Thibaudeau (1933-2013), publié aux Éditions de minuit à partir des années soixante, était alors tout imprégné des brillantissimes bizarreries d’Ionesco et des non moins étranges folies noires de Beckett.
Depuis quatre ans, Barraqué (1928-1973) [lire notre critique de l’ouvrage de Paul Griffiths] tente de réaliser une œuvre à partir de La mort de Virgile d’Hermann Broch (Der Tod des Vergil, 1945 ; traduction française en 1955), projet qu’il ne peut mener à terme. La veine absurde du jeune dramaturge semble apporter un peu d’air dans ces circonstances particulières. À partir de plusieurs pièces brèves de Thibaudeau (miniatures de 1958), il compose une trame musicale pour des scènes à jouer. À la tête du groupe instrumental précédemment cité, François-Pierre Descamps livre une interprétation drue des pages disponibles, aujourd’hui éditées par Bärenreiter, où se décèle le souvenir de Varèse et l’influence de Stockhausen, dans une manière sérielle vigoureuse.
Les clients du meilleur hôtel de la ville sympathisent avec le réceptionniste aux mains disproportionnées, monstrueuses même (Benjamin-Lew Klon). Tandis que l’épouse (Ewa Konstanciak) batifole avec lui, le mari (Krzysztof Leszczy?ski) sabre le champagne. Soudain, une agression en langue russe nous plonge en pleine guerre froide. Surprise : le réceptionniste répond en russe ! Les agents doubles se retrouvent et font la fête.
Après ce quart d’heure de bonne tenue, le parcourt aléatoire peut commencer, en attendant le prochain concert de la soirée qui, selon la façon de la vivre, peut se conclure vers dix heures ou se prolonger à la frontière du jour suivant. Une jolie dame en rouge m’invite derrière un paravent et me place devant une grille et un rideau de velours noir. « Vous avez le cœur bien accroché ?... ». J’acquiesce. Elle m’engage dans une pièce sombre où je distingue un petit lit d’hôpital, rudimentaire. Une créature masquée me fait signe d’approcher. Je fonce, amusé et moi-même un brin joueur. Anubis (Feroz Yozufi) est là qui m’invite à m’allonger. Par un tour de passe-passe, il extrait de ma poitrine un cœur de papier qu’il pose sur une grande balance, au pied du lit. L’instrument de mesure oscille, tandis qu’une lumière-guillotine descend vertigineusement sur ma gauche. L’évaluation terminée, le Chacal me libère – encore vivant, tiens. Je lui fais bye bye d’un petit geste.
Après ce doux Totengericht (Arrêt de mort), nous voilà en appétit pour affronter les délices de ce jardin. Un vent de complicité habite les regards des uns et des autres, croisés dans les couloirs de la maison abandonnée. Ça picole par-ci, ça fume par-là, de préférence sous l’inscription Nichtraucher… Mais les déceptions commencent. Je me rends à l’animation Und wenn es ein Wolf ist… à la pièce 9 : personne, pas de comédien, la porte arbore un définitif kein Eingang. Grimpant au quatrième niveau pour y découvrir l’installation Grundlos, une équipe de cameramen me prie de dégager, bien que la brochure-programme précise cet horaire pour s’y rendre. Et ainsi de suite. Le sentiment enjoué qui dynamisait jusqu’à présent la soirée est peu à peu terni par les interdits, les absences, les culs-de-sac qui entravent la déambulation. En fait, rien de ce que promis n’a vraiment lieu. À part la mort, tout est faux. Faut-il entrevoir là une métaphore de l’inachèvement dans lequel Barraqué laissa son œuvre ? Très chic ! À moins qu’un simple problème d’organisation soit le responsable…
Ainsi se concluent quatre jours passés à Wien Modern. Quatre jours, c’est peu dans un festival qui en occupe trente-deux. Aussi le lecteur ne manquera-t-il pas de relativiser l’avis rendu [lire nos chroniques des 14, 15 et 16 novembre 2017].