Der Standard, 04.09.2020, Ljubiša Tošić
Ein Untoter auf Geheimmission
sirene - Opernfestival im Kulturzentrum F23 mit der surrealen Oper "Ewiger Frieden" eröffnet
Atmosphärisch ist das Ganze nahe bei Alban Bergs Wozzeck: Es herrschen prekäre Verhältnisse, Unterdrückung und Unterwürfigkeit. Allerdings wirkt der Soldat, um den es geht, nicht "verhetzt" wie Bergs Wozzeck. Da ist auch kein zynischer Vorgesetzter, der ihn so beschreiben würde. Zudem kommt der Soldat in der Oper "Ewiger Frieden" nicht einfach so daher. Er wird in einer Holztruhe hereingetragen, in der ein knallroter Sarg den Soldaten aufbewahrt.
Der Hauptdarsteller scheint also tot, seine Witwe Anastasia trauert und zwei Bestattungsbeamte im ukrainischen Donezk schicken sich an, den Verblichenen für die Beerdigung zu präparieren. Allerdings will in diesem Bestattungsinstitut nach und nach einiges nicht zusammenpassen. Erzählt der zerfetzte Körper der Soldaten die Kriegswahrheit oder der putinartige Präsident, der aus dem TV-Gerät heraus grinst und belehrt, dass es "russische Truppen in der Ukraine nicht gibt"?
Warum aber widerspricht der Verblichene plötzlich als Untoter, indem er von schrecklichen Kriegssituationen berichtet, während er den Kopf eines toten Freundes in Händen hält? Und was hat es mit dem Lieferpapier auf sich, das dem Toten beigelegt wurde und dessen Ableben auf eine unbekannte Ursache zurückführt?
In diesem Opus von Dora Lux und Komponist Alexander Wagendristel kommen die beiden Bestatter (profund Robert Chionis und Evert Sooster) verständlicherweise aus dem Staunen nicht heraus. Die Konfrontation von blutiger Realität und Propaganda beschert ihnen einen Rausch der Kognitiven Dissonanz. In der Regie von Kristine Tornquist torkeln sie denn auch zwischen Opportunismus und Mitgefühl für die Witwe. Anastasia (Tehmine Schaeffer) wird in gewisser Weise aber zur Problemlöserin. Nach Gesprächen mit der Obrigkeit ist sie heiter überzeugt, ihr Sergej sei gar nicht tot, nur unterwegs in geheimer Mission. Und da auch der rote Sarg plötzlich leer ist, bleibt den Beamten nichts anderes übrig, als erleichtert den Sieg der Fiktion über die Wirklichkeit hinzunehmen. Ihr Bestattungsinstitut ist zur Herberge der Fakenews geworden.
Dem sarkastischen Stück wird die Musik von Wagendristel niemals zum grob hereindreschenden Widerpart. Das Ensemble Reconsil unter der Leitung von Antanina Kalechyts setzt die subtile und klangsensitiv wabernde Musik mit ihren Verästelungen delikat um. Akkordeon, Gitarre und Klavier ergänzen das klassische Kammerorchester ideal, bisweilen ertönt so etwas wie imaginäre Folklore. Alles behutsam und subtil, nur räumlich ein bisschen weit weg von den Figuren...
Es ist diesbezüglich noch Zeit. Das Festival "Die Verbesserung der Welt" im Kulturzentrum F23 - vom sirene Operntheater initiiert - präsentiert bis November noch sechs Uraufführungen.
Weitere Vorstellung von "Ewiger Frieden" am 4.9. um 20.30 Uhr, nächste Uraufführung "Elsa" am 14. September.