Gerhard Kramer

Kramer, Gerhard

Dirigent und Musikkritiker.

Wer ihn anrief - und das war bis lang in die Nullerjahre nur über das Festnetz möglich -, der hörte stets das Gleiche: zwei, drei Freizeichen, ein Rauschen in der Leitung, dann eine resolute Stimme, in der etwas Gebieterisches, aber auch Gnädiges lag: "Kramer!"

Diese Stimme also gehörte Gerhard Kramer - ein Name von Ruf. Kramer, mit vollem Titel Professor Doktor, war Bildungsbürger im altehrwürdigen Sinne: Hauptberuflich Jurist, engagierte er sich beherzt auf dem Feld der klassischen Musik. Und das sehr tatkräftig. Dass in seinem Haus Streichquartett-Abende stattfanden - in modernen Zeiten an sich schon ein Kuriosum -, war dabei noch das Geringste.

Geboren 1934 in einer Wiener Juristenfamilie, schlug Kramer eine Richterlaufbahn ein; sie sollte ihn bis zum Verwaltungsgerichtshof emporführen. Zugleich ließ er sich an der Musikhochschule ausbilden, wurde vom Dirigenten Hans Swarowsky unterwiesen. Einen Höhepunkt in Kramers Wirken als Dirigent markierte die erste Gesamtaufführung von Pietro Antonio Cestis Oper "Il pomo d’oro" seit 1668 am Uraufführungsort, dem heutigen Prunksaal der Nationalbibliothek.

1956 rief Kramer das Barockensemble der Musikalischen Jugend ins Leben, das später in Wiener Barockensemble umbenannt wurde. Im Jahr darauf folgte das Convivium Musicum Vindobonense als Ensemble für die Musik der Vor-Barock-Zeit, das Auftritte vom Wiener Musikverein bis Zadar absolvierte. 1995 schloss sich das Vokalensemble Cantores Domini an. Überdies war Kramer von 1965 bis 2000 Regens des Kirchenchores in der Wiener Piaristenkirche, des heutigen Piaristen-Chores.

Dem Publikum war Kramer aber auch als milder, hochkompetenter Klassikkritiker bekannt: Von 1965 (!) bis ins Jahr 2007 erschienen seine Rezensionen in der "Presse", danach bis 2012 in der "Wiener Zeitung". Er rezensierte oft und gern Produktionen des sirene Operntheaters, wofür wir ihm einen grossen Dank sagen.

In den frühen Morgenstunden des 24. Dezember 2015 ist Gerhard Kramer nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben.

Gerhard Kramer | Nachruf Der Standard | Nachruf Die Presse