Dr. Ragnar Alexander Mathéy
© Sissi Klocker
Redner, Freund und Förderer.
Vorgestern und gestern waren wir im Waldviertel an Ragnars See zwischen Vitis und Heidenreichstein, den er selbst vor 40 Jahren angelegt hatte, indem er den Abfluß eines Baches aus einer Wiesensenke sperrte. Die Häuser um den See hat er in diesen Jahren stetig auf unverwechselbare Weise umgebaut, ausgebaut und verwüstet zugleich. Die Enge der Bauernhäuser, die Tradition der Raumorganisation ist mit den eingerissenen Wänden, den kreuz und quer eingekeilten Treppen und Zwischendecken verloren gegangen und hat einer neuen Idee Raum gemacht: große blasse Zimmer mit überdimensionierten und asymmetrisch eingesetzten eisernen Industriefenstern, die herbschöne Aussichten hinter ihre Gitter sperren: kein die Natur begrenzender Garten, keine Zähmung, keine Bevormundung oder Erleichterung gegen die Wildnis. Im Gegenteil, auch die Häuser selbst, wie mit den Zähnen gezimmert, sind eine errichtete Wildnis, in der ein vertrauter Gedanke von Zivilisation von älteren Kräften
überwuchert wird. Überall, wo es möglich ist, weit mehr noch als man für möglich hält, hat Ragnar Kamine gebaut, offene Kamine, die selbst wieder dem Feuer großzügig Platz geben. Wie vor den Häusern das Gras und das Schilf züngelt in den Kaminen das Feuer frei und gefährlich, den Menschen wird nur der notwendigste Schutz vor dem Chaos gewährt, so wie hier das Chaos vor den Menschen geschützt bleibt. Breit geöffnet die eisernen Türen vor den Hohlräumen, in denen sich die Idee vergangener Jahrhunderte versteckt: alles wird verbrannt, was verbraucht ist, und gebacken, was vonnöten ist: Brot, Bücher, Menschen und das Leben werden erwärmt und verkohlt. Die Treppen und Decken, die Kamine und Stege sind frei von den Namen und Gewohnheiten, jede Treppe unter Ragnars pragmatisch gemurmelten Segensflüchen wild gewachsen wie ein Baum. Die Hand liegt auf der Zeit, als ein archaischer Traum. Wir schliefen in einem großen Zimmer, befeuerten den Kamin mit verbotenem Brenngut.
Spanplatten, Pappe, nasses Holz und Plastiksäcke machten im schnellen Aufflammen schmatzende Geräusche wie ein unbekanntes Lebewesen. Am Morgen brach das Bett zusammen, sank auf die eingetrockneten Häufchen des Marders, die Kleider waren von der Nacht feucht und kalt. Mit der Gelassenheit eines Unsterblichen, gleichwohl er viel vom Sterben spricht, blieb Ragnar am Bahnsteig sitzen, nachdem er uns zum Zug gebracht hatte. Ein Gott, der bleibt, wenn wir gehen. Kristine Tornquist
Nachruf auf einen Großen - Jroßartiges muß einmalig sein, sonst ist et nicht jroß, sondern bloß artig.
11. September 1920 - 09. Februar 2003. Dr. Ragnar Mathéy ist 82jährig gestorben! In seinem Haus in der Grundsteingasse 12 lebten und arbeiteten viele Künstler, dort entstand nicht nur „Soho in Ottakring“, sondern fanden sich auch Denkwürdigkeiten wie Wiens einziger Madenautomat, der Vergessensverein, unvergleichliche und legendäre Feste und das sommerlich improvisierte Hoflokal mit offenem Feuer und Grillfisch. Er schrieb unzählbare Memoiren und hatte endlos Geschichten aus dem Berlin der Vorkriegszeit zu erzählen.
In den 50er Jahren war er Österreichs einziger Autofabrikant (Modelle seiner Dreiradautos finden sich etwa im Technischen Museum), pachtete eine zeitlang den ganzen Neusiedlersee, handelte mit Indianerzelten, war „Erbsenkönig“ von Wien und Generalsekretär der Saurer-Werke, baute Österreichs erste Elektroautos und legte einen unumrundbaren See im Waldviertel an, brachte den Sicherheitsgurt nach Österreich, spielte Ein-Mann-Theater auf seinem Lastwagen, den er nicht nur durch sein Gasthaus rollte, sammelte eine Million alter Ziegelsteine und diverse Oldtimer, redete auf Premierenhöhen und in Vernissagenschluchten, zerschnipselte ein gekapertes Militärflugzeug zu Dirndlknöpfen und Schmarrnscherern, erschlich sich ein Doktorat und erfand das anhängergetriebene Fahrrad, versteckte sich in seinen Camping- und Angelfirmen, versorgte Wien mit Karpfen aus eigener Zucht, verteilte 100 offene Kamine im ganzen Land, träumte von den Bildern und Büchern seiner 5 Väter und
errichtete sich selbst ein Museum mit unzähligen, seltsamsten Exponaten aller Art, über die sich wirklich Überblick zu verschaffen noch niemandem gelungen ist. Kristine Tornquist
Dr. Ragnar Mathéy
11.09.1920 Geboren in Berlin-Charlottenburg als Sohn der schwedischen Komtesse Ragnhild Ingegerd Siri von Trampe und dem aus Siebenbürgen stammenden Universitätsprofessor, Architekten und Grafiker Georg Alexander Mathéy.
1926 Die Mutter lässt sich scheiden und heiratet den jüdischen Fabriksbesitzer und Autor historisch-biografischer Romane (Karl der Grosse, Friedrich II, Die Deutschen) Rudolph Wahl.
1932 Erneute Scheidung der Mutter. Sie heiratet den Rechtsanwalt Hans Gerd von Brandenstein, der 1936 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt.
1940 Ragnar absolviert das Abitur in Berlin.
Ab 1940 Jura-Studium in Berlin und Innsbruck. Er kann sich mit vorgetäuschtem Zwölffingerdarmgeschwür vor der Ostfront retten.
1941 Abkommandiert zur Nachschubkompanie nach Rouen.
1942-1943 Gerichtsschreiber unter Kriegsgerichtsrat Spornauer und Oberleutnant Gert.
1944 Vierte Heirat der Mutter mit General Günther von Pogrell.
1946 Promotion zum Doktor der Rechte in Innsbruck. Nach dem Krieg hält sich Ragnar Mathéy mit Herstellung von Dirndlknöpfen aus Draht sowie Kochgeräten, die er aus einem abgestürzten englischen Bomber anfertigt, über Wasser.
1947 Direktionsassistent bei den Saurer-Werken in Wien.
1948-1956 Generalsekretär der Saurer-Werke in Wien-Simmering.
1948-1953 Pacht des Neusiedlersees (Österreichische Seite) zum Schilfabbau.
1956-1958 Generalvertretung für Saurer-Lastwagen in Spanien, Deutschland, Portugal, der Türkei, Finnland und Schweden.
1958 Kauf der Firma MEGU in Wien. Generalvertretung für Klippan-Sicherheitsgurte für Bayern und Österreich.
13.03.1965 Heirat mit der um 20 Jahre jüngeren Gräfin Marie Agnes Stillfried (Minki).
18.12.1965 Geburt der Tochter Yanka Mathéy.
Ab 1974 Verkauf von Camping-Artikeln über die Firmen PERO-Haus (München) und MEGU (Wien).
1963 Kauf mehrerer Waldviertler Bauernhöfe in Neu Haslau und Anlage eines Teiches, der schon zur Zeit Maria Theresias dort auf alten Landkarten eingezeichnet war. Beginn einer Karpfenzucht.
1975 Scheidung von Marie Agnes Stillfried. Beide behalten dennoch engen Kontakt bis zu seinem Tod.
1989 Einrichtung von Künstlerateliers im oberen Stock des Tischlereigebäudes in der Grundsteingasse 12 in Wien, dem späteren Ragnarhof. Mehrere Künstler beziehen Ateliers (SI.SI. Klocker, Markus Orsini-Rosenberg, Ula Schneider, Jury Everhartz, Götz Bury, Tobias Urban, Hermann Staudinger, Heidrun Widmoser, Thomas Heimel, Ingo Seefeld, Donald Padel u.v.a.).
Ab 1990 Regelmässige Beteiligung an der Regenbogenparade zusammen mit Kaiserin SI.SI. von Europa
1999-2003 Unterstützung des Künstlerfestivals SOHO IN OTTAKRING. Er stellt den Hof in der Grundsteingasse 12 für Kulturveranstaltungen, Film- und Theatervorstellungen zur Verfügung und beteiligt sich rege am Künstlerleben.
09.02.2003 Ragnar erliegt einem Herzinfarkt und stirbt in seinem Bett in der Grundsteingasse 12 im Kreise seiner Künstlerfreunde.