Kurt Schwertsik
Komponist.
Kurt Schwertsik, 1935 in Wien geboren, studierte an der Wiener Musikakademie Komposition bei Joseph Marx und Karl Schiske sowie Horn bei Gottfried Freiberg. Weitere Studien folgten in Darmstadt und Köln bei Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagel und John Cage. 1955–1959 sowie 1962–1968 Anstellung als Hornist beim Niederösterreichischen Tonkünstlerorchester, von 1968 – 1989 Hornist bei den Wiener Symphonikern. 1958 gründete er gemeinsam mit dem Komponisten Friedrich Cerha das Wiener Ensemble für Neue Musik „die reihe“. 1965 organisierte er gemeinsam mit Otto M. Zykan in Wien die ersten „Salonkonzerte“ – 1968 gründete er mit seinen Freunden Zykan und Heinz Karl Gruber das Ensemble „MOB art & tone ART“, für das er u. a. die Symphonie im MOB-Stil op. 19 schrieb. 1966 Gastprofessur für Komposition und Analyse an der University of California in Riverside. Diese Lehrtätigkeit nahm er 1979–1988 wieder auf, als er die Kompositionsklasse am Wiener Konservatorium leitete. Von 1989 bis zu seiner Emeritierung 2003 unterrichtete er als ordentlicher Professor Komposition an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien. Lebt und arbeitet mit seiner Frau Christa Schwertsik in Wien.
Kompositionsaufträge, Werkpräsentationen und Aufführungen u.a. bei den Darmstädter Ferienkursen, der EXPO in Montreal, beim steirischen herbst, den Wiener Festwochen, den Salzburger Festspielen, beim SWF Baden- Baden, dem ORF, der Kölner Oper, am Württembergischen Staatstheater, beim Bath Festival, den Berliner Festwochen, beim Londoner Almeida Festival und beim Festival „Alternative Vienna“ in London. 1992 einer der vier Hauptkomponisten bei „Wien modern“.
Zu seinen wichtigsten Werken gehören die Oper Fanferlieschen Schönefüßchen, der fünfteilige Orchesterzyklus Irdische Klänge, Solokonzerte für Violine, Schlagzeug, Gitarre, Kontrabass, Alphorn, Posaune sowie die Instant Music für Flöte und kleines Orchester, die vier Ballette für Hans Kresnik Macbeth, Frida Kahlo, Nietzsche und Gastmahl der Liebe und der Zyklus Starckdeutsche Lieder und Tänze für Bariton und Orchester nach Texten von Matthias Koeppel. In den letzten Jahren fand der Komponist besondere Beachtung mit seiner Sinfonia-Sinfonietta (uraufgeführt im Wiener Musikverein), dem Musiktheater Roald Dahl´s „Goldlöckchen“, der Schrumpf- Symphonie (uraufgeführt beim Millenniumskonzert im Salzburger Mozarteum unter Roger Norrington), dem Violinkonzert No. 2 „Albyazin und Sacromonte“ sowie mit Adieu Satie für Streichquartett und Bandoneon (uraufgeführt vom Alban Berg Quartett) und der Oper Katzelmacher nach Rainer Werner Fassbinder (uraufgeführt 2003 in Wuppertal). Zuletzt: Mozart in Moskau (2014). Oper. Libretto: Ad de Bont. UA 31. Oktober 2014 am Nationaltheater Mannheim im Rahmen des Mannheimer Mozart Sommers.
Ein romantischer Ironiker. Andrea Seebohm
Eine Warnung gleich vorweg: Kurt Schwertsik ist nicht zu trauen. Seine Musik klingt oft, als könne sie (oder er?) nicht bis drei zählen. Hinter seinem tiefen Unernst steckt die Weisheit des alten Philosophen – hinter seiner heiteren Philosophie Ernst, Betroffenheit, Satire und Clownerie. Natürlich auch tiefere Bedeutung – aber keine, über die er gerne spricht. Werkeinführungen und -erklärungen sind ihm ein Gräuel. Ein romantischer Ironiker, dessen wacher Geist sich gleichermaßen für die Beatles wie für Haydn, für Rossini wie für Mahler, für die österreichische Volksmusik wie für die (vielgeschmähte) Wiener Operette entzünden kann. Ein virtuoser Maskenträger und Verwandlungskünstler, den man nicht zu fassen kriegt. Maurizio Kagel hat seine „doppelbödige Transparenz“ gerühmt und über Schwertsiks Musik einmal gemeint: „Je mehr man sie zu schätzen lernt, desto unsicherer wird man über die Absichten des Komponisten“. Und die Londoner „Times“ resümierte: „Schwertsiks Musik ist schlicht, witzig, nostalgisch, vegetarisch, politisch liberal, intelligent, antiautoritär, international und verliebt in die Tradition“.
Der erste Hausgott seiner Jugend war Igor Strawinsky – zumal ihm „alles zuwider war, was vom in Wien damals etablierten spätromantischen Provinzialismus sentimentaler Hof-, Regierungs- und Amtsräte ausströmte“. Schwertsik erinnert sich: „Auf meiner Suche nach modernen Ausdrucksmitteln analysierte ich die Akkorde aller möglichen Komponisten und meist waren sie mir nicht extrem genug. Die richtige Wirkung schien mir nur von dem, was man rücksichtslose Linearität nannte, auszugehen. Das gab der Diatonie Farbe und Spannung, wobei den Zusammenklängen nur soviel Beachtung geschenkt wurde, dass sie nicht aus dem dissonanten Klima herausfielen und der Hauptspaß ein gewisser polytonaler Effekt, kombiniert mit agressiver Asentimentalität und naseweiser Ironie war. – Die souveräne Organisation tonaler Ebenen, die subtilen Gewichtungen harmonischer Zitate Strawinskys konnte ich nur ahnend bewundern.“
1953 kaufte er sich die ersten vier Klavierstücke von Stockhausen. Schwertsik: „Daraufhin war ich zuerst einmal sprachlos… Das Notenbild war derart komplex, die Musik dahinter schien alles bisherige an Extremität zu übertreffen… Hier schien mir eine Möglichkeit nüchterner Klänge sich aufzutun; und besonders durch den Klavierstil von Thelonius Monk – auf den mich Cornelius Cardew (Komponist und Schwertsik-Freund, damals Stockhausen-Schüler und -Assistent, Anm.) hinwies und den dieser in seiner subtilen Lautstärkenstruktur feierte – wandelten sich meine Vorstellungen von mehr oder weniger reliefartigen zu gelegentlich fast vollplastischen Eindrücken“.
Der junge Schwertsik stürzte sich weiter voll Eifer in das Studium der damaligen Avantgarde. Aleatorik und Clusterklänge seiner berühmten Kollegen kommentierte er eher sarkastisch: „Ein schönes Beispiel, wie zunehmende Differenzierung in ihr Gegenteil umschlägt“.
Er suchte weiter und fand zwei neue Hausgötter: John Cage und Eric Satie. „Ich nahm mir das Recht, einen frischen Blick auf alle geheiligten Werke unserer Kultur zu tun. Heuchelei, Halbwahrheiten und Notlügen zur Rettung des widerwärtigen Status Quo wollte ich entlarven. Im Zürcher Dadaismus fand ich dann viel, wonach ich suchte: Ausgelassenheit, Respektlosigkeit vor aufgeklebten Bärten, Selbstironie, Experiment und vor allem Aufbegehren gegen den bürgerlichen feierlichen Ernst, der den Krieg als Notwendigkeit rechtfertigt. Heute weiß ich, dass ich im Grunde Künstler suchte, die Satie, Ives, Schwitters, Wittgenstein und Gandhi in einer Person sind. Ich suchte die Einheit von Werk und Leben, den Künstler, dessen Arbeit nicht nur Teil seines Lebens, sondern bei dem auch sein Leben Teil der Arbeit ist. Deswegen verehre ich Cage, er ist immer er selbst. Deswegen bin ich froh, dass Cornelius Cardew mein Freund war, erschrocken aber ruhig ist er seinen Weg gegangen… Dazu ein Hinweis: Ich warne jedermann, seine eigenen Grenzen zu erkennen“.
Cages Sündenfall, bei seinen Zufallsmanipulationen auch den Dreiklang zuzulassen, wurde zu Schwertsiks Erleuchtung: Er kehrte – in den Sechzigerjahren ein Sakrileg – zur Tonalität zurück. „Vom Blickpunkt des Zusammenklanges aus betrachtet, wollte ich einfach auf diese Klänge nicht verzichten, mich langweilte das Oktaven- und Dreiklangstabu, das meiner Ansicht nach bereits damals ein Cliché war.“ Jahre später schrieb er: „In dieser Zeit habe ich in unzähligen Gesprächen festgestellt, dass Tonalität mit Harmonielehre verwechselt wurde. Kein Wunder, dass sie als primitives Material angesehen wurde. Schönberg konnte die komplexen und subtilen Wechselwirkungen zwischen Harmonie, Kontrapunkt, Rhythmus, Phrasierung etc. etc. noch virtuos handhaben. Wogegen sich bei einigen unserer Zeitgenossen, die wieder tonal komponieren, herausstellte, wie anspruchslos ihr Verständnis der Tonalität ist“.
So ging auch er – erschrocken aber ruhig – mutig und unbeirrt seinen Weg bis zum heutigen Tag, schrieb sieben Opern und zwei Musik-Theater, vier Ballette, 13 Orchesterwerke, neun Solokonzerte, 22 Werke für Kammerensemble, neun Liederzyklen, vier Klavierwerke, acht Stücke für Soloinstrument(e), ein Chorwerk – und wird demnächst bald bei op. 90 angekommen sein.
Schwertsiks kompositorische Ausnahmestellung wäre jedoch unvollständig nachgezeichnet ohne die Erwähnung seiner virtuosen Instrumentationskunst, seiner melodischen Inspiration, seiner Bewunderung für die Gedichte Ernst Jandls und H. C. Artmanns (die er vertont hat) oder für die Harmonik Weberns und die verschiedenen Methoden, mit denen dieser sie zu verschiedenen Zeiten herstellte: „Ein gutes Beispiel für die Stasis, die dem atonalen Idiom innewohnt, ist der 1. Satz der Symphonie, der insgesamt nur die Ausfaltung von vier nach oben und unten symmetrischen Akkorden ist. Das hat Boulez dann ‘Registre fixe’ genannt“. Auch von der amerikanischen Minimal Music ließ er sich früh begeistern – lehrte er doch 1966 an der University of California, wo es auch künstlerisch gärte und brodelte. Schwertsik dazu: „Terry Riley hat mit seinem ´IN C´ wirklich einen neuen Anfang gemacht und obwohl die Minimal Music diese Frische nicht halten konnte, war auch dies eine Veränderung unseres Bewusstseins über den Zustand des Materials, hinter den man nicht zurückfallen kann“.
Kurt Schwertsik nimmt regen Anteil an den Positionskämpfen, die zur Zeit um die Worte Avantgarde, Postmoderne und Neue Einfachheit toben: „Ich glaube, der Begriff Postmoderne wird eher ein Schimpfwort bleiben und das Wort Avantgarde ein anerkennendes, obwohl jeder der so Apostrophierten sich dagegen verwahrt, so apostrophiert zu werden. Was die Worte wirklich meinen, ist da nicht so wichtig, das kennen wir ja schon von den Worten Romantik, Rokoko, Barock etc.“
Der Engländer David Drew, einer der besten Kenner seiner Musik, etikettiert beispielsweise Schwertsiks großen, fünfteiligen Orchesterzyklus Irdische Klänge als „die endgültige Herausforderung für Hörer im 21. Jahrhundert“. Und konstatiert: „In diesen in der Nachfolge Mahlers stehenden Liedern von der Erde und intergalaktischen Missionen wird Schwertsiks Orchester eins mit seinem innigen Empfinden für die Natur und seiner tiefen Sorge um die Zukunft der Umwelt. Was die Nachwelt davon halten wird – was ´in aller Welt´ könnte man sagen –, ist eine andere Frage; und zwar nicht nur für den Komponisten.“
Aber geben wir Schwertsik selbst das ironische Schlusswort: „Die Sehnsucht nach totaler Freiheit und der Kampf gegen Unterdrückung und Gängelung durch Obrigkeit und Gesellschaft artikuliert sich in der Moderne in immer neuen Schüben. Zweifellos ein aufklärerischer Ansatz, aber wie Horkheimer und Adorno überzeugend dargelegt haben (eine wirklich einleuchtende Sprachfigur), schlägt Aufklärung leicht in Mythos um und Dummheit des Bescheidwissens nimmt überhand. Es gilt daher (ich bin schon ganz im Jargon) diese Positionen von einer – meiner Meinung nach – radikal geänderten Situation aus neu zu überdenken, meinetwegen auch zu hinterfragen. Ein Merksatz: Schön und hässlich sind Kategorien für Ästheten. Der Künstler arbeitet jenseits dieser Worte an der Verwirklichung seiner Vorstellung.“
Kurt Schwertsik | Falter Portrait | Kristine Tornquist über Kurt Schwertsik