Gott in den Alpen - Blitzlichter aus dem katholischen Österreich

DIE LIEBHABER GROSZER STÄDTE

Vor der Wiener Jesuitenkirche stehen schwarz gekleidete junge Leute. Sie erinnern mich an Bodyguards vor dem Grazer Grand Hotel Wiesler, die auf Arnold Schwarzenegger warten. Heute allerdings gilt das Aufgebot Prominenten anderen Kali­bers: Bischöfen, Kulturschaffenden, Vertretern der Medien. Und statt eines Schwarzenegger kommt ein „schwarzer" Politiker.

Streng gewandet sind auch die Besucher. Wer hier im grauen Anzug erscheint, wer hier ein modisches Kostüm anzieht, fällt auf. Zum Abschluß der Renovierung von Wiens Universitätskirche gilt die Kleiderordnung des Erzbischöf­lichen Palais: spanische Etikette. Erst beim Hinausgehen fallen mir ein paar andere Typen auf, mit buntem Haar sogar.

Jesuiten begrüßen jeden Gast einzeln und sehen nach, ob man in der Liste der Angemeldeten enthalten ist. Der Bericht­erstatter war eigentlich nur zur anschließenden Theaterauf­führung geladen, aber man weist ihn nicht ab. Von der Stufe einer Seitenkapelle sieht und hört man sogar mehr als von den numerierten Sitzen. Meine Nachbarn mokieren sich über den „romanischen Brauch", in der Kirche zu klatschen. Ihre Freunde haben sich vorgenommen, da „nicht mitzumachen".

Unter den Eingelassenen befinden sich Manfred Mautner Markhof, Abkömmling der bekanntesten Industriellenfamilie des Landes, und der frühere Chefredakteur der „Presse" Otto Schulmeister, der seinem Nachfolger, dem von einem Schlag­anfall nicht völlig genesenen Thomas Chorherr, in die hohe Kirchenbank hilft.

Einige andere Gäste kann ich keinem Namen zuordnen. Schwer tu ich mich auch mit dem ausgestopften Vogel, der über dem Kirchenschiff schwebt: Ist er ein Reichsadler? Ein Tiroler Adler? (Hannes Benedetto Pircher, der Produzent des Spektakels, stammt aus dem Vinschgau; Andrea Pozzo, dem die Kirche ihre heutige Gestalt verdankt, war ein Welschtiroler aus Trient.) Oder handelt es sich um den Adler des Evange­listen Johannes? Unstet dreht sich der Vogel den ganzen Abend am von der Decke hängenden Seil. Daß es sich um einen Geier handelt, geht mir nicht auf ...

Ebenso irritierend, wenngleich in statischer Ruhe verhar­rend, sind die Erscheinungen von „Kristus" und der „sel", die während des Spektakels vom hohen Gerüst im Altarraum die Gäste unverwandt anblicken. Nur alle Viertelstunden hebt oder senkt Leo Pfisterer, der auch privat wie Christus aussieht und als Bildhauer Giacometti-Figuren modelliert, den Kopf oder die Arme. Leo Pfisterer: In Hubertus CzerninsBuch Groër" ist die persönliche Geschichte des Göttweiger „Ex-Mönchs" mit dem Wiener Alterzbischof nachzulesen ...

Für solche nur dem Eingeweihten verständliche, aber viel­sagende Andeutungen sind die Jesuiten immer schon gut gewesen. Selbst der Ordensgeneral versteht es, auf vielen Klavieren zu spielen und doch er selbst zu bleiben. Was für ein schillernder Orden ist doch die Gesellschaft Jesu, auch im Österreich von heute: Seine Spannbreite reicht von Johannes Neureiter, der von Kardinal Groër zum Spiritual des Wiener Priesterseminars gemacht wurde, bis zu Herwig Büchele, der in Österreich die Diskussion über das Grundeinkommen ohne Arbeit in Gang gesetzt hat; und sie reicht von Hubert Dopf, dem langjährigen Leiter der Choralschola der Hofmusik­kapelle, bis zu Georg Sporschill, der sich für die Straßenkinder in Bukarest engagiert. Gegenüber der Jesuitenkirche hat Spor­schill das „Inigo" ins Leben gerufen, wo Haftentlassene ihrer­seits ins Leben gerufen werden: Sie lernen dort kochen und Speisen servieren.

Kirchenrektor Pater Leo Wallner begrüßt die kirchlichen Honoratioren, die zum Festakt am 14. Mai 1998 erschienen sind. Seit Jahrzehnten an der Ökumenischen Morgenfeier des ORF beteiligt, kennt er sich in oecumenicis wirklich aus. So wird der griechisch-orthodoxe Erzbischof und derzeitige Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Öster­reich Staikos ausnahmsweise einmal richtig als „Metropolit Michael von Austria" tituliert, gefolgt von „Erzbischof Mesrop Krikorian der armenisch-orthodoxen Kirche", Superintendent Nausner von der methodistischen sowie Superintendent Werner Horn und Oberkirchenrat Johannes Dantine von der „evangelischen Kirche".

Für die katholische Kirche ist Weihbischof Krätzl gekom­men, der in der Erzdiözese Wien als Bischofsvikar für die Erwachsenenbildung zuständig ist. Aber Krätzl ist mehr als das. Er ist ein Franz Ferdinand, der sein Sarajewo über­lebt hat, und zugleich ein Otto, an den sich die Anhänger des Ancien Régime klammern — jene, die sich von dem präsumtiven Nachfolger Kardinal Königs eine Fortsetzung des liberalen Kurses erhofft hatten, aber sich durch Wiener und römische Intrigen um ihre Erwartungen betrogen sehen. Eine ganze Generation katholischer Funktionäre und Akti­visten, die einst das Konzil herbeigesehnt und mitgelebt hat, liest heute mit Begeisterung Krätzls Kolumnen in der „Furche" und läßt keinen Anlaß aus, wenn der Bischof irgendwo auftritt. Nicht wenige dieser Damen und Herren sind auch heute noch Revoluzzer, mit ergrauten Schläfen und hoch in den Siebzigern oder Achtzigern. Sie lassen sich nichts anmerken, so wie der zweimal verhinderte Erz­bischof.

Hierarchisch betrachtet zweite Garnitur wie Krätzl und doch gewiß ebenso mit Bedacht ausgewählt ist der Festredner Peter Marboe: Seit einem Jahr bekleidet der ehemalige Leiter des österreichischen Kulturinstituts in New York, General­sekretär der Österreichischen Volkspartei und Leiter des öster­reichischen Auslandskulturdienstes die Funktion eines Kul­turreferenten der Bundeshauptstadt. Noch immer ist es ein ungewohntes Gefühl, in Wien einen Kulturstadtrat vor sich zu haben, der der Österreichischen Volkspartei angehört, ist dieses Amt doch mit Ausnahme der Intermezzi von 1934 bis 38 und 1938 bis 45 seit dem Ende der Monarchie fest in den Händen der Sozialdemokratie gelegen. Ich fühle mich in meine Schulzeit in den fünfziger und sechziger Jahren zurück­versetzt, als die Volkspartei im Aufwind war und im National­rat die absolute Mehrheit errang. Josef Klaus war 1966 bis 70 der letzte Bundeskanzler, dem „Gott in den Alpen" mehr bedeutete als ein politisches Kalkül. Dem etwas knolligen Kärntner Katholiken folgten bis heute, nehmt alles nur in allem, Agnostiker aus dem Flachland.

Die alte Einheit von Kirche und Volkspartei repräsentiert auch die ebenfalls in die Universitätskirche gekommene Eva Petrik, die nach Jahren als Abgeordnete zum Wiener Gemeinderat ihre Managementfähigkeiten als Präsidentin der Katholischen Aktion Österreichs unter Beweis stellen konnte. Und es fällt mir in diesem Zusammenhang besonders auf, daß der Platz vor der Kirche trotz Anträgen der Jesuiten, die lieber zur alten Bezeichnung „Universitätsplatz" zurück­kehren möchten, noch immer nach Dr. Ignaz Seipel benannt ist, dem katholischen Priester, der als Bundeskanzler in den zwanziger Jahren Österreich vor dem Staatsbankrott gerettet hat, aber im Jahr 27 beim Brand des Justizpalastes auf die auf­gebrachte Menge schießen ließ und dafür im Karl-Marx-Hof und anderswo noch heute als „Prälat ohne Milde" verschrien ist.

Es ist Peter Marboe selbst, der solche Assoziationen weckt, denn er zitiert aus dem „Österreich-Buch" seines Vaters Ernst. Das 1948 erschienene, „im Auftrage des Bundespressedien­stes" herausgegebene, „vorwiegend für die Zeitgenossen" geschriebene und mit (heute putzig wirkenden) „modernen Illustrationen" versehene Werk kann als vollkommener Aus­druck der restaurativ-katholischen Gesinnung der Nachkriegs­jahre angesehen werden und hat, weit verbreitet, das Ge­schichtsbewußtsein bürgerlich-bäuerlicher Österreicher nach­haltig mitgeprägt. Sohn Peter Marboe greift aus gegebenem Anlaß ein Kapitel heraus, das die Tendenz des Buches in nuce zusammenfaßt, und rezitiert die Eingangsworte über das „Barock in Österreich":
„Das österreichische Barock ist kein Kunststil. Das öster­reichische Barock ist keine Sache der Museen. Das österreichi­sche Barock ist keine tote, abgeschlossene Erscheinung, über die man registrierend sprechen kann. Das österreichische Barock ist ein lebendiges Geheimnis, das, wie jedes echte Geheimnis, nur von innen her sich dem Mitlebenden, Mit­fühlenden erschließt und offenbart."

Was Marboe nicht zitiert, ist der Schlußsatz des Essays: „Das barocke Österreich: die letzte Realisation des ,heiligen Reiches' des Abendlandes." Darauf läuft es hinaus: Katholisch ist gleich österreichisch ist gleich europäisch. Die letzten Zipfel dieser Ideologie habe ich in meiner Schulzeit und im Verlag Herold noch mitbekommen. Die nächste Generation sollte beim Wort „Reich" nur mehr an Hitler denken ...

Die katholische Kirche in Österreich lebt politisch seit dem Barock, in dem sie aus dem vollen schöpfen konnte, in schub­weisen Restaurationsversuchen: Nach dem Josephinismus regenerierte sie sich im vormärzlichen Konservativismus, nach der Revolution von 1848 im Neoabsolutismus, nach dem Hochschwappen des Liberalismus im Erstarken der Christ­lichsozialen, nach der Ausrufung der Republik im Ständestaat, nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs in der demo­kratisierten Variante des Ständestaates, der Sozialpartner­schaft, und nach der Degeneration des demokratischen Sozia­lismus als Juniorpartner in Regierungsbeteiligungen der Volkspartei.

Man sieht auf den ersten Blick, daß die Restaurations­versuche immer kraftloser werden und daß die Kirche und die mit ihr verbündeten politischen Kräfte immer mehr auseinan­derklaffen. Regte sich schon in den fünfziger und sechziger Jahren gegen ein selbstherrliches und unreflektiertes gemein­sames Auftreten von Kirche und Volkspartei innerkirchlich heftiger Widerstand, so gaben die Versöhnungsinitiativen Kardinal Königs damals noch Hoffnung auf Integration der auseinanderstrebenden Kräfte zumindest innerhalb der Kir­che. 1998 ist evident, daß ein großer Teil gerade der aktiven Katholiken sowohl der ÖVP als auch der Kirche selbst abhan­den gekommen ist. Mittlerweile sind die extremen „Katholen" selbst in der Volkspartei zu Außenseitern geworden; der Versuch, noch einmal Kirchenpolitik zu betreiben und den Kurs Kardinal Königs durch Ernennung konservativer Bischöfe zu korrigieren, war zum Scheitern verurteilt, weil der Rückhalt in der „eigenen" Partei fehlte. Ein Wirtschafts­minister Farnleitner etwa, ehemals Präsident der Inter­nationalen Vereinigung katholischer Männer „Unum omnes", bekennt sich ganz offen zum Kirchenvolks-Begehren.

Es ist bezeichnend, daß nach Ernst Marboe niemand mehr den Versuch unternommen hat, ein deklariert patriotisches, nicht-wissenschaftliches Österreich-Buch zu schreiben. Die rechte Reichshälfte ist verstummt, die linke hat ihre Chance nicht wahrgenommen. Und beide sind heute angesichts einer erstarkten FPÖ nur mehr Reichsdrittel, angesichts der Grünen und Liberalen (ideologisch betrachtet) gar nur mehr Reichs­fünftel.

So wie für die Kirche ist freilich auch für die Volkspartei nicht alles verloren. Merkwürdige Situation: Die Volkspartei ist in Wien politisch wieder präsent geworden genau zu dem Zeitpunkt, da sie ihr historisches Tief erreicht hat (15,26 Prozent der gültigen abgegebenen Stimmen bei der Wahl 1996). Als Mehrheitsbeschafferin für die SPÖ nach deren Verlust der absoluten Mehrheit ist die Volkspartei wieder interessant geworden. Wenn das christlichsoziale Lager also schrumpft, bedeutet dies nicht den völligen Verzicht auf Mitbestimmung. Auch, ja gerade aus einer Minderheitsposition heraus kann eine Kirche durch Vor­feldorganisationen ihre gesellschaftspolitische Kraft entfal­ten.

Dies wird bei dem Festakt in der Universitätskirche beson­ders bewußt, denn diese befindet sich seit 200 Jahren in Staatsbesitz. Auch dies bleibt dem oberflächlichen Besucher verborgen; er sieht nur die gewundenen Marmorsäulen und die barocke Scheinmalerei. Wer aber die Geschichte der Kirche studiert, sieht auch den Josephinismus und die Auflösung des Jesuitenordens unter Maria Theresia.

Groteskerweise ist es ein Vertreter des Staates — Hofrat Thaddaeus Kubec vom Bundesdenkmalamt —, der an diesem Abend als Sprecher der Konservativen auftritt, denn Kubec hat nur eines im Kopf: das barocke Bauwerk als Ausdruck ungebrochener Katholizität zu konservieren. Vehement for­dert er die Unantastbarkeit des historischen Erbes ein, über die sich das „Jesuitenbaby" Hannes B. Pircher mit seinem Team keck hinweggesetzt hat. Das Schiff mit dem riesigen Segel, das als Bühnenbild heute den Altar verdeckt, aber das textile Element von dessen Bekrönung gekonnt aufgreift, ist ihm ein Dorn im Auge: Nur Theaterleute seien „heute noch imstande, etwas so Häßliches zu bauen". „Kunst­historisches Christentum" nenne ich diese Geisteshaltung, die zwar für die Erhaltung von Kunstwerken höchst verdienstvoll ist, deren persönlich liebenswürdigen Vertretern aber das Mitgehen mit der Kirche in die neue Zeit mitunter völlig fernliegt. Selten artikuliert sich diese Einstellung so deutlich wie hier.

Das Publikum quittiert die Ausfälligkeit des Hofrats mit demonstrativem Applaus; Peter Marboe jedoch fühlt sich als „sorgfältiger Zuhörer" bemüßigt, Kubec mit Nachdruck zu widersprechen: Die Kirchenrenovierung werde „ewigen Bestand" haben, da werde der temporäre Einbau wohl zu ver­kraften sein. Und Marboe wünscht der in allen Farben strah­lenden Jesuitenkirche am Ende seiner Rede, daß sie immer so voll sein möge wie an diesem Abend.

Urbane Gesinnung und weltweiten Horizont wie der Stadtrat legen auch Superior Gustav Schörghofer und Irene Freudenschuss, Ständige Vertreterin Österreichs bei den Vereinten Nationen in Wien, an den Tag. In einem Zwiege­spräch auf der abschüssigen Bühnenrampe erläutern der Vorsteher der Jesuitenkommunität am Dr.-Ignaz-Seipel-Platz und die weitgereiste Diplomatin die Vorliebe des heiligen Ignatius für die großen Städte. Kein selbstverständliches Thema in einer Diözese, deren Alterzbischof Groër zwar im Schatten des Stephansdoms aufgewachsen ist, sein Heil aber in der Wiederbegründung einer Wallfahrt auf dem Lande gesehen hat. Hat nicht auch Bischof Kurt Krenn einmal öffent­lich kundgetan, sein Modell sei die Kirche im Dorf? Geistliche Stadtflucht könnte man dies nennen, und sie ist in Österreichs römisch-katholischer Kirche weit verbreitet.

Ein Stück vom Land ist auch „Hirlanda", das Spektakel, das nach einer Labung im Studentenzentrum Alte Burse um 21 Uhr seine Wiener Erstaufführung erlebt. Frater Pircher hat das 1791 in Laas in Südtirol uraufgeführte Stück gekürzt und mit der Regisseurin Kristine Tornquist — nein, nicht auf die Bühne gebracht, sondern in den barocken Kirchenraum ein­gebracht. Mitunter scheint es, als erwache die theatralische Architektur zum Leben: Die Kanzel beginnt zu sprechen, die gemalte Kuppel öffnet sich in den Himmel, und die Adler lösen sich vom Stuck.

Nach einem exquisiten Konzept von Philipp Harnoncourt holen Scheinwerfer alle Bauteile des Raumes ans Auge heran: den in mehrere Stockwerke gegliederten Orgelchor, über des­sen Brüstungen laszive Teufel ihre Beine schwingen; das Gewölbe, das wie das Sternenzelt zu rotieren beginnt; und sogar die Steinplatten des Fußbodens, auf dem „hanswurst" durch die Kirche radelt. Die flirrende Musik von Jury Ever­hartz wird sogar vom Musikkritiker der „Presse" gerühmt, und auf hohem Niveau sind auch die schauspielerischen Leistungen. Aus freien Gruppen und Bühnen bis hin zum Burgtheater hat Hannes Benedetto Pircher die Mimen zusam­mengeholt und für das „Spektakel" zu einem Ensemble zusammengeschweißt. Also keine Eintagsfliege, daß ich kürz­lich den Jesuitenprovinzial Pater Riedlsperger bei Claus Peymanns Inszenierung von MarlowesEdward II." getroffen habe.

Hannes B. Pirchers Zugang zum Barock ist zweifellos ein anderer als jener Ernst und Peter Marboes oder gar jener von Hofrat Kubec. Das zeigt sich nicht nur darin, daß im Programmheft „der" und nicht mehr, wie in Österreich üblich, „das" Barock thematisiert wird. Barock wird nicht mehr als Bestandteil nationaler und konfessioneller Identität betrachtet, sondern im Lichte zeitgenössischer Philosophen neu entdeckt und abgetastet. „Pozzos Kuppel und Deleuzes Falte" ist der einschlägige Beitrag im provokant unhandlichen Programm­heft übertitelt.

Zwar verstehe ich nicht alle Einzelheiten der Handlung, wie die Königstochter Hirlanda verstoßen wird und nach langen Irrfahrten von ihrem entführten und durch den „fromen abt Perträndis" geretteten Sohn endgültig heimgeholt wird. Auch das Programmheft, das sich in Kryptizismus ergeht und Textproben und Künstlerporträts mit Inseraten mischt (vom Juwelier Heldwein bis zur Straßenbaufirma Teerag-Asdag), knackt nicht alle Nüsse. Aber letztlich ist die Botschaft klar: Verirrung, Schuld finden nur in Gott ihr gutes Ende.

Es ist kein leichtes Unterfangen, heute von Sünde zu sprechen, noch dazu in einem altertümlichen Deutsch, ohne Zuhilfenahme von Psychologie und mit altmodischer Drama­turgie; ein Moment der Unerfülltheit bleibt beim Zuschauer zurück. Doch der Versuch, eine Brücke zu schlagen zwischen dem Barock und der Postmoderne, wurde gewagt. Wenn „Hirlanda die firstin" und ihr Mann „Ärtus der first" zuletzt durch das Kirchentor entschwinden, habe ich nicht das Gefühl, daß sie auf den Platz hinaus, sondern daß sie in die Stadt hinein gehen. Liebhaber großer Städte zu sein, das heißt, sich der Realität von heute zu stellen.

Entnommen aus: Wolfgang Bahr, Gott in den Alpen. Blitzlichter aus dem katholischen Österreich. OMV 09/1998 | pdf