Zur Architektonik des Klanges. Tagebuch eines Komponisten
Oktober. und verlangen hat nach dir.
Nächtliche Lesung eines Barocktextes in kalter Kirche. Welttheater. Jesuitendrama. Südtirol. Unbedarfte Schauer, Blick im Deckenfresko. Pozzo. Was ist "Schauspielmusik"? Notwendigkeit authentischer Fälschung - Illustration bestimmter Affektgehalte - Musik bereits in allen Dingen: Text/Raum - Mayröcker: ich habe zum transponierenden Wesen des Abschattens Zuflucht genommen... seien uns ganz andere JESUSSTRICHE und -prospekte aufgegangen: Blumen, Früchte, die eingewickelten Brustkinder der Leipziger Zeit, Vogelherden an Leimbäumen, Silhouettenartikel, Verjüngungszirkel, musikalische Instrumente jeglicher Art: wir haben an Schatten ebensolche Bewegungen wie an wirklichen Körpern bemerkt, und es besteht kein Zweifel, daß es zwischen den Fähigkeiten Lebender und Verstorbener keinerlei Unterschiede gibt, nennen wir das Schattenwissen... Signum einer verborgenen für mich zu jener Zeit noch nicht durchdringbaren
Weltordnung... so hat die Schreiblust mein Fleisch und Blut erhört, Jesus als Baß, Die Seele als Sopran... Das ist´s.
November. zu den streit dich munter mache.
Die Idee einer Fälschung ist falsch. Es gibt nur zweierlei Aspekte von einiger Relevanz. Zum einen: der Ort der Inszenierung (bereits klingend). So viel Mitte (sic! Verlust derselben liegt in der Luft und muß inszeniert werden). - Hier die reine Idee der musica mundana: endlose Bewegung in (...) sphärischer Harmonie. Nur nachgehen. - Zum anderen: "Neue" Musik ist Verschiebung - nicht Hegel folgen, es ist hier kein Ort des sinnnlichen Scheinens einer Idee; eben nicht in eines: die schöne Form sei eine symbolische, die symbolische eine schöne. Der Goethesche Symbolbegriff findet keine Anwendung, mehr "Hervorleuchten" (neuplatonische Lichtmetaphysik) und "utopischen Vor-Schein" (Bloch) als "Erscheinung" (Phänomen). Wenn Erscheinung und Bedeutung auseinanderfallen, eben in der Ausnützung der barocken Idee der Allegorie, bleibt etwas Gemeintes, das in Tönen anders gesagt werden kann als in Tönen; man denke an Zahlen- und Buchstabenmetaphysik. Ohne Kenntnis bestimmter
Voraussetzungen kein Verständnis einer Allegorie. Also! Bedingungslose Ungriffigkeit in der Erscheinung (Klang wird Raum et vice versa), bedient sich eines altbekannten oder noch älteren Tonsystems als einer Sprache, deren Vokabular nicht mehr erlernt werden muss. Das verweist. Dem Wissenden erschließt sich mehr: Non coerceri maximo / contineri tamen minimo / divinum est. Keine konkrete Idee. Der Rest: Warten. Vergessen. Laufen.
Dezember. mache es nach deinem willen.
Etwas Hinbrüten im Traum. Bloch: Zwar ist von außen neben der Lust zunächst nichts als die Ahnung gegeben. Auch diese wirkt zumeist nur genießerisch, willenlos, ausruhend und so gänzlich im Leeren verloren. Sie enthält schon alle Tiefe, ist aber auf dieser Stufe, als erstes bloßes Schwelgen am Ton, noch nicht brauchbar, ist falsch, zufällig, beliebig. Denn nur was geformt ist, erscheint, womit gewiß nach allem Gesagten nicht gefordert wird, hier die Läden zuzuhalten, um ja nur das kleine, umzirkelte Leuchten in der Ritze formkritisch nachzeichnen zu können. Jedoch, was dahinter wirkt, der volle Tag, enthält auch "Form". Erstes Versprechen, im Januar fertig zu werden. Viel geschlafen.
Januar. Ich will aus gefahren pringen / durch ein engel deinen sohn.
Erste Versuche mit Engelsmusik. Textform behalten, mit Horn. Simples Thema in Quinten, danach am Text entlang accompagniert: Quintparallelen für Falschheit, Sekundreibungen für Gefährdung, Kindertrompeten für Alle Achtung!, Tritoni für Bestrafung. Also, so einfach. Aria da capo, mit einem Hauch klassischer Quadratur. Deleuze spielt jetzt auch mit.
Februar. Wie du ihr willst urlaub sagen.
Endlich Südtirol. Die Handschrift nimmt an Gewicht zu, ebenso das Rätsel. Exorzismus im Traktor, die Orgel, die Deutschherren, die Molkerei in der Kirche, die nie vorhanden gewesenen Noten, die Bauern sind dann über die Mauer und haben die Bände als Klopapier benützt, der Erzbischof von Chur, Joseph II, verhangener Blick hinterm Ofen hervor. Nichts getan. Nachts Brunftschreie. Tröpfchenweise sammelt sich das Marienkonzept; das alte Magnificat! Einfacher Fortgang: Diminuition, Augmentation, stufenweise Intensivierung, Anschluß an die Engelsharmonik mit dieser doppelten lydischen Reihe und diesem Tritonus: f-g-a-c-d-e-f /h-cis-dis-eis-fis-gis-ais-h. Ganz toll. Und so: die wunderliche Rückung. Das Geheimnis. Die Stimme.
März. Rauche perg noch unverdroßen.
Jetzt kommt der Happen! Nonverbale Strukturen. Das ist aber gar nicht so gross. Da wird eine alte Choralmelodie erfunden und ein lustvolleres respondeo. Da werden beide Linien mit pendelnder, in sich ruhender Vokalharmonik umwölkt. Jetzt den Raum füllen: (erster Dialog) Christus im Quintraum. Flimmernde Bewegung, unmerkliche Entfernung und Heimkehr, nach dem Modell des Bachchorales "So sei nun Seele deine" starke Verdichtung. Ruhe und Bewegung (zweiter Dialog). Weitere Verstärkung der Dichotomie von Ruhe und Bewegung, kurze Vorwegnahme des Motivs für (3), offener Schluß / (dritter Dialog) Christus im Sextraum. Eine Ahnung von Dur, Transformation minimalistischer Zellen in barockisierte Sequenz, auch das Vorspiel erweitert / (vierter Dialog). Übernahme des alten Duktus aus (2) und (3), pizzicato gebrochen. Marienthema eingeführt, von der Bratsche als cantus firmus gehalten. Dann: aus nackter Bewegung wird vierfacher Kontrapunkt über das Marienthema (Grundgestalt und
Spiegel). Christus im Septraum. / (fünfter Dialog) Rückwärtslauf des Gehabten, Choralverdichtung. Es wird der Ausgangsklang erreicht, Christus auf der Oktave. Nun ja, ein trinitarisches Modell.
April. iezt mein sel hast zu erwarten.
Handfeste Hypotyposis für Zwischenspiele. Aber! Ouvertüre. Finale. Immer noch nicht fertig. Auf dem Nachttisch leuchten: Josquin, Pachelbel, Bach, Corelli, Kubizek, Distler, Ligeti, Pärt, Gorecki. Gute Laune. Also. Te Deum laudamus.