Circus – Dramaturgie
Der Zirkus ist das Guckloch: Das Tier auf der einen, der Mensch auf der anderen Seite.
Die Würde des Lächerlichen ist es, was mich befeuert. Die einzige Würde, die nicht verloren gehen kann, die sich nicht gewaltsam Raum schaffen muss und Anerkennen einfordert. Die auftaucht wie eine Rose aus dem Dreck: weich, schön, überragend.
Das Lächerliche: die plötzliche oder ausdauernde Erkenntnis der Lächerlichkeit (ein Mensch spielendes Tier zu sein) ist in Wahrheit das Auftauchen Gottes / des Engels aus dem Ernst der Natur. Aus dem Lächerlichen, aus dem Empfinden des Lächerlichen in einer plötzlichen Distanz zum verbissenen fragenlosen Ernst wird der Mensch geboren (um es genauer zu definieren als durch das Wort „Humor“), der innehält in seiner Automatik und sich distanziert von dem, was er zu tun gezwungen ist.
Während der Held nur einfach eine in Menschensprache übersetze Form des darwinistischen Siegers im Überlebenskampf ist, ist die Würde des Lächerlichen der Anfang eines evolutionären Sprunges zu dem, was der Mensch sein könnte, sein möchte: überlegen. Der evolutionäre Sprung aus dem Gesetz des Kämpfens: geboren wird der Geist, der in Opposition steht zu seinem dumpfen Herkommen aus einer Materialschlacht der Energien. Gegen den sexuellen Ernst.
Das Opfergefühl macht alle zu Tätern. Weil das Opfergefühl zuerst kommt, das leichtere Gefühl, aber auch meist das in der persönlichen Entwicklungsgeschichte vorangegangene Gefühl war, scheint die Tat (die Rache oder die Rettung oder die Selbstjustiz oder die Selbst-Wiedergutmachung) das logische Gebot der Stunde.
Die alte Idee der Erbschuld haben wir (seit Freud?, seit der Aufklärung?) gegen die Vorstellung des Erbopferseins eingetauscht. Während die kluge Vorstellung der Erbschuld von der Kirche zum Ablasshandel, für Hörigkeit und politische Gefügigkeit missbraucht wurde, surfen Kapitalismus und Konsumismus ungehindert auf dem Meer unserer Opfergefühle, in dem wir unser individuelles Recht fischen und unsere Entschädigung. Sie scheinen keinerlei Widerstand befürchten zu müssen, da das Opfergefühl so leicht zu tragen ist wie Flügel.
Heute sind auch die Täter Opfer. Wir alle Täter fühlen uns als Opfer. Und als hätte ein Opfer alle Rechte, entschuldigen wir damit unsere Taten.
In kalten Zeiten wird wieder das Fell angelegt.