Der entwendete Taler
Aus einem Schuh kann man nicht zwei machen und eine Mütze bleibt immer eine Mütze. Aber aus einem Taler können leicht ihrer zwei werden.
Der junge Erzherzog Rudolf II verirrt sich auf seinem Ritt ohne Gefolge und hat eine seltsame Erscheinung: mitten im Wald begegnet er zwei Riesen bei drei blinkenden Haufen aus Gold, Silber und Kupfer. Er fragt die Geister, wem der Schatz gehöre und erfährt, dass das alles dem Juden Mordechai Meisl bestimmt sei, dem zukünftigen Kammerherrn des Kaisers. Das verärgert den jungen Prinz und er nimmt einen Silbertaler aus dem Haufen an sich. Bevor der ganze Spuk verschwindet, wird ihm noch gesagt, er solle den Taler nur behalten, werde aber keine Ruhe finden, bis der Taler bei dem sei, dem er gehöre.
In den folgenden Tagen wird er vom Unglück verfolgt, bis er beschliesst, sich des unrechtmässig angeeigneten Talers zu entledigen. Doch kann er den Juden Mordechai Meisl nicht aufspüren um ihm den Taler zurückzugeben, keiner kennt ihn. Deshalb wirft er den Taler von der steinernen Brücke in die Moldau. Er fällt in ein Boot, das eben unten durchfährt. Der Fischer steckt den Taler in seine Manteltasche. Rudolf beschliesst, den Taler zu verfolgen. Ein Fremder kauft dem Fischer den Mantel ab, um als Fischhändler getarnt seine Geliebte zu besuchen. Am Morgen nach der Liebesnacht bleibt der Mantel im Birnbaum hängen, über den der Liebhaber aus dem Garten klettert. Den Mantel samt Taler nimmt ein Fuhrmann an sich und verkauft ihn beim Altkleiderhändler.
Der junge Rudolf nimmt beim Altkleiderhändler Platz und wartet lange. Schliesslich kommt ein kleiner Junge, der gegen einen Groschen die Manteltaschen der Kleidung durchsucht und alles darin Befindliche behalten darf. Er findet den Taler. Auf die Frage Rudolfs, was er sich damit kaufen werde, antwortet der Junge, er werde den Taler nicht für sich ausgeben, denn aus einem Taler können leicht zwei werden. Und er läuft glücklich davon.
Rudolf erfährt, dass der Junge Mordechai Meisl heisst.
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Warum „Der entwendete Taler“?
Schon lange den Wunsch nach Musiktheater verspürt. Einige Ansätze, mitunter sogar Anläufe, in Summe aber: nichts. Da kommt sirene mit diesem Vorschlag. Perutz? Ja, viel gehört, nie gelesen. Daheim meine Frau: das haben wir doch, da, im Regal. Ist großartig. - Ich lese zunächst das Libretto. Zieht mich an. Versuche mir Musik vorzustellen. Ja, es klingt. An allen Ecken und Enden. Ich sage ja. Lese das Buch. Vieles taucht da auf in mir: Meyrink und der Golem, Besuche im Prag vor der Wende: das radebrechende Zischeln der illegalen Geldwechsler, nächtliche Spaziergänge im fahlgelben Laternenlicht der Kleinseite, spätkommunistischer Verfall, ein von behelmter Polizei abgeriegelter Wenzelsplatz, der jüdische Friedhof. Ich habe das kommunistische Prag mehr gemocht als das heutige. Es war dem Prag Rudolfs II. näher, bilde ich mir ein. Und das Buch selbst? Ja, es ist faszinierend: die Sprache, die Atmosphäre, das Enigma, das – nie ganz gelöst – über allem nistet, die jüdische Grundierung, die wunderbar freischwebende Konstruktion aus Erzählungen, die für sich stehen und dennoch durch unzählige sichtbare und unsichtbare Fäden verbunden sind.
Und dann die bange Frage: Kann ich das überhaupt? Eine Oper. Wie macht man das? Prima la musica, poi le parole. Oder doch umgekehrt? Die Worte sind die Musik, sage ich dann. Ich nehme sie beim Wort, die Sätze, ihren Rhythmus, ihre Melodie. Das soll die Basis sein. Alles Andere kommt durch Arbeit. In der Musik bin ich ein Anhänger der Anlass-Gesetzgebung, in der Justiz ganz und gar nicht. Die Musik entwickelt ihre Gesetzmäßigkeiten, indem sie entsteht. Ich postuliere keine unumstößlichen Regeln a priori: meine Musik kennt keine Moral.