Der vergessene Alchimist - Dramaturgische Überlegungen

Kunst, Gold und Geld

Die Novelle „Der vergessene Alchimist“ ist ein komplexes Gefüge von ökonomischen Zusammenhängen zwischen Metaphysik und Realität. So wird die symbolische - also geistig-transzendete - Goldmacherei des ernsthaften Alchimisten gegen die praktische - materielle - Geldmacherei des Händlers eingetauscht - und zwar, um damit wiederum eine spirituelle Welt einzurichten und zu unterhalten: Rudolfs Kunstsammlung. Es zeigt sich also als unmöglich, eine rein spirituelle Welt zu denken und die symbolische Welt mit symbolische Kräften anzutreiben, denn auch das scheinbare Schwerelose der Kunst benötigt den handfesten Untergrund der realen Finanzierung.

Um diesen Zusammenhang noch komplexer zu machen, lässt Perutz den Geldmacher Meisl allerdings von übernatürlichen Kräften darin unterstützt werden. Denn hinter der praktischen Welt des Materials lässt Perutz Gottes Plan stehen, wie in einer anderen Novelle im Roman - Der entwendete Taler - erzählt wird. Die finanzielle Ordnung lässt sich also nicht gegen den göttlichen Generalplan erstellen, auch Rudolf kann sich nur in diesen grossen Handelsplan einfügen, indem er Meisl im Gegenzug Privilegien und gesellschaftliche Werte verkauft und damit wieder eine immaterielle Ware gegen das Geld tauscht.

Auch wenn Brouza, der Hofnarr Maximilians und Ofenheizer Rudolfs, um den Kunstsammler Rudolf zu reizen, den Handel mit Kunst dem bezahltem Verrat Judas´ an Christus gleichsetzt, um selbst daraus bare Münze zu schlagen, die er wiederum für die Flucht und Rettung seines Achimistenfreundes benötigt, stehen die Systeme immer in Wechselwirkung: selbst höhere immaterielle Zwecke, selbst immaterielle Mittel zur Erreichung derselben, müssen immer doch die Sphäre der realen Ökonomie durchqueren, um sich in einer realen Welt behaupten zu können.

Wer sich dieser Wechselwirkung entziehen will - wie der Alchimist, der aus dem Immateriellen edles Material gewinnen zu können glaubt - muss scheitern.

Perutz greift mit seiner Geschichte einer historischen Entwicklung voraus. Ein knappes Jahrhundert später kann man Zusammenhänge zwischen der Erfindung des Papiergeldes (Schweden 1661) und dem Niedergang der Alchemie beobachten - die Ablösung des materiellen Wertes vom Material Gold ist eine Abstraktion der Ökonomie, die seither laufend zugenommen hat, sodass die Ökonomie scheinbar selbst immateriellen,  symbolischen Charakter angenommen hat.

Perutz spielt hier auf den historischen Ofenheizer Bartholmäus Blahel an.

Von Blahel ist überliefert, dass er unbeeindruckt war von Einfluss und Macht des Kammerherrn Philipp Lang, dessen unsaubere Bereichrungen er als einer der ersten erkannt und benannt haben soll.

Perutz bezieht sich auf den konvertierten Juden, Hofpoeten und (wenig bedeutenden) Alchimisten Mardochäus de Delle an, der Gedichte über alchimistische Metallverwandlungen verfasste und mit dem Kaiser experimentierte. Die Geschichte mit auf bei der Flucht verletzten Fuss leiht sich Perutz aber von einem der berühmtesten Alchimisten an Rudolfs Hof, Edward Kelley.

Gegen Ende seines Lebens, als sein psychischer und geistiger Zustand immer schlechter wurde, mied Rudolf die höheren Ränge und Adeligen und war mit einer Reihe von Kammerdienern dafür umso vertrauter. Philipp Lang, konvertierter Jude aus Tirol, war einer von ihnen. Er hatte grossen Einfluss, intrigierte am Hof, bereicherte sich ungeniert und wurde zuletzt dafür auch vor Gericht gestellt.

Die seidene Leiter, auf der Perutz den van Delle fliehen lässt, ist nach Mandelartz eine Anspielung auf die Jakobsleiter als Verbindung zwischen Himmel und Erde.

Wikipedia