Das verzehrte Lichtlein - Dramaturgische Überlegungen

Motive und Wirkungen

Perutz´ grösstes Vergnügen ist es, Erwartungen zu unterlaufen. Die zentrale Figur dieser Episode ist der historische jüdische Kaufmann Mordechai Meisl, der in Legenden sowie in Dokumenten als spendabler Mäzen, grosszügiger Bauherr öffentlicher Bauten im Prager Ghetto und mit Sonderrechten ausgestatteter Hof-Finanzier Rudolf II in Erinnerung geblieben ist. Der ideale Reiche also, der geschäftlich zu denken weiss, doch auch ein Gewissen hat und der persönlich bescheiden das durch seine Arbeit entstehende Ungleichgewicht wieder ausgleicht. Perutz aber zweifelt von Anfang an an seinen Motiven, er nennt ihn erst ehrsüchtig und entlarvt zuletzt seine Grosszügigkeit als Racheaktion.

Die Motive zum Guten standen und stehen in der Philosophie schon immer unter strenger Beobachtung. Und jede Zeit, jede Religion, jede Philosophie hatte weniger damit zu tun, das Gute selbst als vielmehr den korrekten Weg zum Guten zu untersuchen.

Deontologische Ethik wie im Judentum und im Christentum beurteilt die Handlung selbst. Demnach täte Mordechai Meisl nichts Gutes, solange sein Motiv nicht gut wären. Teleogische Ethik hingegen beurteilt eine Handlung nach den Konsequenzen: was Gutes bewirkt, ist ungeachtet der Mittel und Motive gut. Das Ausmass des durch eine Handlung erzeugten Unglückes wird hier noch berücksichtigt, während die utilitarische Ethik nur noch eine finale Schlussrechnung zieht: eine Handlung gilt hier als gut, wenn sie mehr Glück als Unglück bewirkt hat.

Der todkranke Meisl hat sein wildes Racheglück und die jüdische Gemeinde und die Armen ihren Mäzen. Dass der Kaiser und dessen habgieriger Kammerherr Lang an dieser Glücksvermehrung nicht teilhaben, nimmt der parteiische Leser gerne in Kauf: es ist dieselbe Schadenfreude, die derzeit in der Presse gegen die abstürzenden Banker zelebriert wird. (Zumal der historische Rudolf II sich das Vermögen des erbenlosen Juden nach dessen Tod 1601 sehr wohl einverleibte.)

Perutz lässt es jedoch damit nicht bewenden. In einer anderen Geschichte dieses Romanes erfährt der Leser, dass es gerade dieser Entgang des Meiselschen Vermögens war, der den Kaisers im entscheidenden Moment handlungsunfähig machte und dadurch den Dreissigjährigen Krieg auslöste: ein Unglück, dass jenes zwischenzeitliche Glück in der jüdischen Gemeinde dann wieder bei weitem übertrifft. Zwischenbilanzen gelten nicht, und die Menschen werden den langen Arm der Geschichte immer erst im Nachhinein begreifen.

Doch ein Moralist ist Leo Perutz nicht, er ist nur ein unbeugsamer Pessimist. Er stellt Mordechai Meisl, den er aus einem düsteren Motiv Gutes tun lässt, in der Kerngeschichte des Romans dem weisen Rabbi Löw gegenüber, der aus bester Absicht handelt und doch damit sich und seine Gemeinde nur immer tiefer in die Sünde verstrickt. Der Handelnde ist bei Perutz immer in Gefahr - ob er gute oder schlechte Gründe hat: die Fallstricke des eigenwilligen Schicksals sind überall gespannt.

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