Leo Perutz und der Roman Nachts unter der steinernen Brücke
Leo Perutz (1882 Prag - 1957 Bad Ischl) begann die Arbeit an „Meisls Gut“, wie der Originalname des Romans "Nachts unter der steinernen Brücke" lautete, 1924 in Wien und stellte ihn erst 1951 in Tel Aviv fertig. Dazwischen lagen Welten und Perutz´ halbes Leben.
Leo Perutz war vor der rechtzeitigen Flucht vor den Nationalsozialisten nach Israel einer der erfolgreichsten Wiener Schriftsteller - Essayist, Bühnen- und Romanautor, eingebunden in die Wiener Kaffeehauskünstlerkreise um Peter Altenberg, Hermann Bahr, Oskar Kokoschka und Alfred Polgar. Im Exil in Tel Aviv war Perutz isoliert, von Sprache, Kultur und seinen Kontakten abgeschnitten, doch als er in den 50er Jahren nach Österreich zurückkehrte, konnte er an die Vergangenheit und seine Karriere nicht mehr anknüpfen. Bis heute hat er Bekanntheit und Ruf, die er vor der Vertreibung für sich gewonnen hatte, nicht wieder erreicht.
Dass „Meisls Gut“ unter dem Namen „Nachts unter der steinernen Brücke“ verlegt wird, hatte noch mit der kaufmännischen Sorge in den 50er Jahren zu tun, als jüdische Themen und Namen für nicht opportun gehalten wurden. Unter der steinernen Brücke pflanzt nicht nur Rabbi Löw in der Kerngeschichte dieser Novellen Rosenstrauch und Rosmarin, um seine Gemeinde vor der Wut des Kaisers zu retten, sondern es bezeichnet auch die Topographie des Jüdischen Prager Ghettos, in dem Perutz zur Welt kam und dessen Schleifung er als Schulkind noch erlebte. Nicht nur deshalb ist es eine sehr persönliche Geschichte um Trauer und dem Humor, den es braucht, um die Trauer zu ertragen.
Ich glaube, das Buch ist mir wirklich gelungen, schade nur, dass ich es nicht vor zwanzig Jahren geschrieben habe. Kisch und Werfel hätten es gewürdigt, aber wo sind die beiden! (Perutz 1951)
Der Roman hat eine einzigartige Form. Er besteht aus 14 unabhängigen Novellen, die im Unterschied zu den Novellenzyklen aus der Romantik in sich zusammenhängen und sich in Wechselwirkung miteinander zu einer vielgestaltigen mythischen Legende zwischen Prager Judenstadt und dem Hradschin verknüpfen. Erst nach und nach eröffnen sich dem Leser die Zusammenhänge zwischen den einzelnen, in sich abgeschlossenen Geschichten aus dem Prag um 1600 - erst mit der letzten Geschichte wird das Geheimnis des Anfangs und der Motive gelüftet. Diese Geschichte wiederum wird in eine Rahmenhandlung eingebettet, die den Hauslehrer cand. med. Meisl dem jungen Perutz die Novellen erzählen lässt.
Die historischen Figuren, die den Roman bevölkern - der berühmte Rabbi Löw, dem die Erschaffung des Golem nachgesagt wird, der jüdische Kaufmann Mordechai Meisl, der Habsburger Rudolf II, Johannes Kepler, Albrecht Wallenstein - werden frei nach den historischen Fakten, und doch phantastisch und raffiniert neu motiviert und miteinander verknüpft. So lässt Perutz etwa Kepler Wallenstein ein Horoskop zum Wendepunkt seines Lebens erstellen, lässt Rabbi Löw Rudolf II das Leben retten, Rudolf II das Portrait von Meisls Frau zeichnen (tatsächlich hat Rudolf ein Portrait einer Unbekannten gezeichnet) und erfindet viele andere solcher historischen Umdeutungen, die zwischen Faktum und Phantasie changieren.
Perutz schreibt dazu, er habe keine Quellen benützt, sondern stütze sich auf meine Jugenderinnerungen, die aber, je älter ich werde, desto reichlicher strömen, und wenn sie nicht ganz getreu sind, kommt das den Geschichten nur zugute.