Falter, 29.05.2009, Andreas Dallinger
Etwas verloren stehen die ersten Besucher auf einer Großbaustelle herum. Loft-City, ein Stadtteil für die "creative industries", der hier errichtet wird, ist zwischen all dem Schutt nur zu ahnen. Zwei versteckte Mobilklos lassen auch nicht auf eine große Veranstaltung schliessen. Aber eine unscheinbare Türe mit der Überschrift "Nachts" verheißt, daß man am richtigen Ort gelandet ist.
Im ehemaligen Expedit der Ankerbrotfabrik, einer 2100 Quadratmeter großen, stützenfreien Halle. Hier münden alle Gründe, warum man mit dem 6er in den entlegenen Winkel des zehnten Bezirks geschaukelt ist: die Neugierde, wo die gstaubten Weckn ihren Ausgang genommen haben, ehe sie beim Anker ums Eck gelandet sind; die Peinlichkeit, die Romane von Leo Perutz zuhause stehen, aber dann doch nicht gelesen zu haben, oder doch der Enthusiasmus für zeitgenössische Oper.
Kristine Tornquist weiß genau, weshalb sie da ist. Gemeinsam mit ihrem sirene Operntheater hat sie den Roman "Nachts unter der steinernen Brücke" von Leo Perutz in neun Episoden unterteilt und Kompositionsaufträge an Oskar Aichinger, Akos Banlaky, René Clemencic, François-Pierre Descamps, Christof Dienz, Lukas Haselböck, Paul Koutnik, Gernot Schedlberger und Wolfram Wagner vergeben. Bis zum 18. Juli präsentiert sie die Serie von Kammeropern an neun aufeinanderfolgenden Frei- und Samstagen. Jede Episode wird von je einer Vernissage eingeleitet, die Einblick in eine außergewöhnliche Sammlung etwa von Makrostaub oder Inspiranzien gibt. Neun Wunderkammern und neun Wunderkammeropern. Angesichts des Mammutunterfangens wirkt Tornquist erstaunlich locker und kann auch noch darüber lachen, daß zwei Partituren bis jetzt nicht fertig sind. Ihre Entspanntheit wirkt raumgreifend.
In einer Ecke wird zu Pizzaschnitten Wein und Bier ausgeschenkt, das man auf die Plätze mitnehmen darf. In einer anderen Ecke bereitet sich Magic Christian, der einen wie das Anker-Semmerl durch die Jahrzehnte begleitet hat, auf seine Kurzshow vor. Alles wirkt so leicht und gutgelaunt, daß es dem Mythos vom Premierenstreß spottet. Und dann ist die erste Oper (von René Clemencic) auch noch eine so zauberhafte Verdichtung, mit einfachen Mitteln effektvoll inszeniert und verführerisch gelungen, daß klar ist, wo man die nächsten acht Freitage verbringen muss.