Die Kulturwoche, 23.05.2009, Manfred Horak
Nachts unter der steinernen Brücke - die Premierenkritik
Das WunderKammerOpernFest des sirene Operntheaters hat wahrlich Großes vor. An neun aufeinanderfolgenden Wochenenden werden neun Kammeropern von neun zeitgenössischen Komponisten uraufgeführt. Der rote Faden: Die 14 Episoden des Romans "Nachts unter der steinernen Brücke" von Leo Perutz. Die erste Oper gelang am 22. Mai 2009 in der ehemaligen Expedithalle der Ankerbrotfabrik.
"Zeit, steh still." Die Halle ist groß. Sehr groß. So groß, dass der Dirigent François-Pierre Descamps mit dem Fahrrad zur Orchesterbühne fuhr. Und es hat ja tatsächlich einige Vorteile, eine moderne Oper in der alten aufgelassenen Ankerbrotfabrik aufzuführen, auch, weil alleine das Ambiente selbst derart ungewöhnlich ist und einem geradezu bezaubert, und natürlich weil einfach viel Platz ist. Obwohl: So viel Platz hätte es gar nicht gebraucht, um "Nachts unter der steinernen Brücke" zur Aufführung zu bringen. Das sirene Operntheater ging nämlich recht sparsam um, was Ausstattung und Bühnenbild betrifft, aber okay, das mag zusätzlich den Anspruch der Modernität Genüge leisten und außerdem braucht die Halle kaum Bühnenbild, da es das bereits selbst ist. Wo es Vorteile gibt, gibt es auch Nachteile, im Fall der Hallengröße und -höhe betrifft das die Akustik, Libretto mitlesen bzw. den Inhalt zu kennen war da sehr hilfreich.
"Die deutsche Seele habe sich Werken jüdischen Geistesguts noch nicht wieder eröffnet", schrieb der Zsolnay Verlag dem Romanautor Leo Perutz als Begründung den Roman "Meisls Gut" nicht zu veröffentlichen. Das war im Jahr 1951, zwei Jahre später erschien der Roman mit den 14 durch eine Rahmenhandlung verbundenen Episoden unter dem Titel "Nachts unter der steinernen Brücke" dann doch noch, erhielt ausgezeichnete Kritiken, blieb aber dennoch ohne Publikumserfolg. Der Auftakt des WunderKammerOpernFest - es werden neun Kammeropern von neun zeitgenössischen Komponisten an neun aufeinanderfolgenden Wochenenden uraufgeführt - beschäftigte sich vorwiegend mit der 7. Erzählung, dem quasi Titelstück und Hauptmotiv des Romans. Der Komponist René Clemencic machte die sublime Liebesgeschichte zwischen Rudolf II. (Rupert Bergmann) und der märchenhaft schönen Esther (Romana Beutel), Frau des "Meisljud" (Johann Leutgeb), hörbar. Weil die Erfüllung der Liebe gegen Gottes Gebot ist, und aus Furcht vor dem Zorn des Kaisers, verbindet der Hohe Rabbi Löw (Dimitrij Solowjew) die Liebenden in einem magischen Traum: Er pflanzt unter der Moldaubrücke einen Rosenstock und Rosmarin und spricht einen Zauber über sie, damit die Seelen der beiden zusammenfinden: "Aleph. Mem. Shin. Rose zwischen Dornen, mit den fünf Fingern deiner Blätter fasst du nach dem duftenden Rosmarin. Nacht für Nacht. Elemiah. Hahaiah. Hakamiah. Wenn das Licht, das die Welt erleuchtet, wegsieht, sollt ihr euch hier treffen mit geschlossenen Augen, und keiner wird euch beisammen unter der Steinernen Brücke wissen. Nacht für Nacht." Kristine Tornquist schrieb diesen Zauberspruch frei nach Perutz, so wie sie es überhaupt sehr gut verstand den alten Perutz-Text neu zu formulieren und in die Musiksprache zu bringen.
Was einmal mehr auffiel ist, dass sich Komponisten moderner Opern eingängiger Melodien versperren, verweigern. Wie weit diese an und für sich sehr gelungene Aufführung Nachhaltigkeit besitzt und irgendwann mal selbst als Klassiker gehandelt wird, ist daher mehr als fraglich. Die musikalische Umsetzung selbst ließ keine Wünsche offen, das ensemble on_line mit u. a. Maria Frodl (Violoncello), Tibor Kövesdi (Kontrabass) und Berndt Thurner (Schlagwerk) agierte selbstbewusst und ohne Zaudern, kurzum sehr agil, und lieferte feinsinnige Klangnuancen mit Verve, Geschick und Können. Die Sinnlichkeit bestand dennoch mehr in der erzählerischen Dichte denn in der melodischen Würze. Dieser am nächsten kam noch am ehesten die erste Traumarie zwischen Esther und Rudolf II., dem Herzstück der Oper. "Die Zeit soll stillstehen, wenn ich bei dir bin", heißt es da u. a. als sie einander glücklich in den geträumten Armen liegen. In Momenten wie diesen besitzt die Clemencic-Oper eine wahre Größe und Gediegenheit. Berückend übrigens auch der Kontratenor von Engel Asael (Armin Gramer), dessen Worte zwar unverständlich blieben (Stichwort Akustik), sein Gesang aber prall vor Schönheit war. So wie bei allen guten Opern endet freilich auch diese moderne Oper tragisch, den Tod ereilt Esther nach nicht einmal einer Stunde, nach bereits 60 Minuten ernten die Protagonist/innen nämlich den mehr als verdienten (sieben ! Minuten anhaltenden) Dauerapplaus.