Briefwechsel

Everhartz an Montjoye, 26.10.2010

Liebe Frau Montjoye, über die Geschichte unseres Fast-und-dann-doch-nicht-aber-jetzt-endlich-Zusammentreffens liesse sich wahrlich bald schon ein Buch schreiben. Leider haben wir uns letztes Jahr in der Ankerbrotfabrik dann ja nicht mehr persönlich kennengelernt, umso schöner, dass Johannes Meissl und Stephan Polzer mit Ihrer Erzählung auf uns zukamen und fragten, ob wir nicht für ein Opernprojekt kooperieren könnten. Lassen Sie mich dazu übrigens kurz gratulieren, Sie haben die Geschichte spannend, farbig und flüssig durcherzählt, "Neben"handlungen geschickt eingeflochten und mit Ihrer "Haupt"geschichte verknüpft. Sie vermitteln da ein wirklich plastisches Bild von der Zeit Maria Theresias, und auch die Geschichte der Anna Maria Regina steht einem nach der Lektüre sehr bildhaft vor Augen. Sprachlich mache ich Ihnen sowieso ein ganz und gar anstandsloses Kompliment.

Wir freuen uns, Ihr hübsches Büchlein auf die Bühne zu bringen - und möchten zuallererst mit Ihnen darüber sprechen, Ihnen auch unser (erstes) Konzept präsentieren, wir haben die ein oder andere Frage - mit einem Wort: es wäre schön, wenn wir uns einmal treffen könnten. Bald, wenn möglich, terminmässig stehen wir ja unter einem enormen Druck, wenn das Stück im kommenden Juni schon stehen soll und wir bis dahin die Geschichte dramatisieren, die Oper komponieren und einstudieren wollen. Sagen Sie doch, wann Ihnen recht wäre?

Herzliche Grüsse, Ihr Jury Everhartz

Tornquist an Wagner 02.11.2010

Lieber Wolfram, ich habe das Libretto nun einmal skizziert. Es ist noch nicht fertig, wie du gleich sehen wirst. (rot sind Stellen, die erst türkisch übersetzt werden; grau sind optionale Stellen, die ich entweder ändern oder weglassen will). Ich schicke es dir trotzdem, damit du einen Blick hineinwerfen kannst, ob es die richtige Textmenge für dich ist. Ich kann am Text noch kürzen, wenn du es zuviel findest. Lass dich von der ersten textreichen Szene nicht schrecken, ich habe auch einige Zwischenspiele, Tänze und textärmeren Bilder eingebaut. Ich hab meine Zeiteinschätzung der 9 Bilder dazugeschrieben....

Liebe Grüsse, Kristine

Tornquist an Simsek, 02.11.2010

Liebe Ebru, ...2. Hast du mir leichtsinnig versprochen, dass du mir hilfst bei meinem Türkenkind-Libretto! Jetzt musst du das auch halten (hihi).

Darf ich dich um ganz kleine Übersetzerdienste bitten? Es sind nur ein paar kurze Phrasen. Ich hab die Teile rot markiert in den Anhang gestellt.

....Und falls du ein kurzes Volkslied zum Thema Liebe kennst (das ist ja eigentlich das Standardthema bei Volksliedern?), wäre das auch toll - ich hab zwar ein Lied geschrieben, aber besser wäre natürlich ein echtes türkisches Volkslied, das der Komponist dann zitieren kann.

Vielen Dank und bis bald! Kristine

Wagner an Tornquist, 04.11.2010

Liebe Kristine, ja, damit kann ich wirklich was anfangen!

Die Idee, das Ganze rückwärts aufzurollen, wird funktionieren und die Spannung aufrechterhalten. Ganz sicher bin ich mir nicht, ob in der jetztigen Fassung wirklich klar wird, auf welche Art sie der Sklaverei entkommt (Freikauf etc.; mir hast Du es ja erzählt, aber ob das alle anderen auch verstehen?). Vielleicht ist es in diesem Fall verständlicher, wenn die Szene vor dem Richter von Pera erst nach der Flucht aus dem Haus von Mustafa Efendi kommt.

Für das Ende der Geschichte (d.h., eigentlich der Anfang der Biographie) würde ich Dich um etwas mehr Stoff bitten: Das kleine Kind, das gerade seine Eltern verloren hat ("Wo sind sie? Was geschieht mit mir (und mit den Geschwistern)? Wir sind schutzlos, allein verlassen....Wer hilft uns?"), der Verkauf als Sklavenmädchen (Szene am Sklavenmarkt, "Wohin komme ich? Zu wem? Wird er gut sein zu mir?".....), überhaupt die Schilderung der Notlage des Mädchens, vor und während der Zeit als Sklavin: Diese Notzustände sind ja das eigentlich Ergreifende, das uns auch heute interessiert, weil es ja so oft passiert. Je eindringlicher sie auf die Bühne kommen, umso besser für das ganze Vorhaben. Natürlich kann da die Musik viel machen, aber ich wäre dennoch dankbar, wenn Du Deine Feder da etwas tiefer ins Tintenfass stecken könntest, dann kann auch ich fester in die Tasten greifen...; das soll nicht verhindern, dass ich mir das gänzliche Ende des Stückes durchaus poetisch vorstelle (ist ja von Dir auch so gedacht, glaube ich).

Textmenge und Sprache insgesamt ganz so, wie ich es mir wünsche! (Warum schreibt man eigentlich in neuer Rechtschreibordnung nicht "insgesammt" mit 2 m? Oder tut man das eh? Logisch wäre es jedenfalls, denke ich.)

Viele Grüße, Wolfram

P.S.: Für den Jury: Als Instrumentation denke ich vorläufig an je eine Fl., Ob., Klr., Fg., Sax., Hr., Trp., Pos., Schl., Vl., Va., Vc., Kb., das wären 13 Spieler, die auch Nebeninstrumente (Picc., Englh., Basskl.) zu bedienen hätten.

Montjoye an Everhartz, 04.11.2010

Lieber Jury, liebe Kristine! Bin heute aus dem Spital gründlichst untersucht und praktisch gesund entlassen worden. Freue mich wahnsinnig auf unsere Zusammenarbeit. War ja so angetan von sirene im Anker und bin mir sicher, dass Ihr Maria Theresia, die gute Kaiserin, nicht als Puffmutter oder im kapitalen Bikini auf Surfbrett auftreten lassen würdet. Ist das eine Erleichterung auch für die dicke Monarchin. Oder?

Beste Grüsse Irene Montjoye iMo

Simsek an Tornquist, 04.11.2010

Hallo Kristine, ganz wichtig: zur Zeit Maria-Theresia, nicht wahr? Oder auch ein traditional? Wir machen einen Research mit einer Freundin, die sich damit auskennt. Übersetzungen kommen auch. Bis wann brauchst du sie?

Alles Liebe, Ebru

Everhartz an Montjoye, 04.11.2010

Liebe Irene, so eine gute Nachricht, wir haben uns schon Sorgen gemacht. Unsere besten Wünsche also zur Genesung - oder der Korrektur einer falschen Diagnose? - Unserer gemeinsamen Freunde auf eine gute Zusammenarbeit steht dann wohl nichts mehr im Wege. Danke auch für die Blumen! Und bitte keine Sorgen wegen eines übrigens Gottseidank auch schon etwas in die Jahre gekommenen Regietheaters, wir haben und hatten nie solche Ambitionen. Allerdings haben wir aus der Geschichte auch ein wenig etwas anderes machen müssen. Oder vielleicht auch wieder nicht.

Kristines (unfertiges) Libretto ist hier schon einmal zum Lesen, wir sind ziemlich gespannt auf Deine Meinung dazu. Es ist nicht ganz einfach, aus einer Geschichte ein Opernlibretto zu machen, das Exemplarische, allgemein Menschliche, leicht Verständliche braucht dafür ja einen ganz anderen Stellenwert als in einer Prosaerzählung. Kristines - ich finde: gute - Idee war, die Geschichte von hinten nach vorn zu erzählen, in den existenziellen Stationen der Lebensgeschichte der Anna Maria. Meiner Meinung nach geht das Konzept gut auf, wir sehen zunächst eine gutsituierte, gesellschaftlich integrierte Hofdame in den besten Jahren, die im Erzählen und Erleben ihrer Geschichte bis in ihr erstes, nacktes, noch so zufälliges Dasein zurückgeht, sodass sich ohne jede erzwungene oder schlecht gewollte Aktualisierung doch etwas heute Bekanntes herstellt, man sieht, dass die eigene Lebensgeschichte, das Abenteuer der Zufälligkeiten, der unglaublichen Geschehnisse ja erst das herstellt, was am Ende des Lebens das notwendig so Gewordene ist.

Eine stringente, das ganze Stück durchziehende Dramaturgie ist im Text schon mitbedacht, in dem schönen Konzept eines grossen Monologs der Anna Maria und deren Zusammenspiel mit den stummen Engeln der Geschichte. Die eigentliche Historie der Anna Maria bekommt in meinen Augen damit für die Bühne erst den wirklichen Stellenwert, den sie in der Erzählung hat, nicht eine beliebige historische Aventure, sondern eine echte und tiefe Geschichte eines ungewöhnlichen Lebens in einer ungewöhnlichen Verkettung der Ereignisse. Und einer exemplarischen Flüchlingsgeschichte - was wäre denn, wenn allerorten keine Rettung mehr lauerte? Kein Ort, nirgends. Wir sind sehr gespannt, ob unser Konzept und Kristines Arbeit das Wohlwollen und Gefallen der Chronistin findet und freuen uns sehr auf unser Zusammentreffen morgen mittag.

Liebe Grüsse, Jury

Tornquist an Simsek, 05.11.2010

Liebe Ebru, du bist ein Schatz. Ja, spielt 1730-1800. Die Übersetzungen bräuchte ich innerhalb der nächsten zwei Wochen, dann will nämlich Wolfram Wagner zu komponieren anfangen. Bilder hab ich schon abgeschickt! Leider hab ich vergessen, meine Grusspostkarte ins Kuvert dazuzulegen, wundre dich nicht, dass du da kommentarlose Post kriegst. Bin ein bisschen konfus...

Liebe Grüsse, Kristine

Wagner an Tornquist, 13.11.2010

Liebe Kristine, was die Verschiebung der Richterszene betrifft, war ich mir bald nach dem Schreiben meines letzten mails auch nicht mehr sicher, ob das zur Klärung des Ablaufes beiträgt. Letztendlich ist die Reihenfolge der einzelnen Szenen eigentlich überhaupt ziemlich egal, man kann sie ganz von der dramatischen/dramaturgischen Wirkung abhängig machen, wenige Worte zu Beginn jeder Szene erklären ohnehin die gerade beschriebene Situation. Es ist, wie wenn Dir einer seine Lebensgeschichte erzählt und dabei halt alles nicht der Reihe nach, sondern wie es ihm gerade einfällt. Insofern muss nicht einmal die Rückwärtsrichtung konsequent eingehalten werden (wobei ich dennoch jedenfalls dafür bin, mit der Kind-Szene zu enden!). Das mit dem Kinderraub und Sklavenmarkt denke ich mir nur, um mehr Dramatik hineinzubekommen. Ich bin schon gespannt auf Weiteres (die bisherigen Änderungen gefallen mir gut!).

Viele Grüße, Wolfram