Die Träume
Musik. Paul Koutnik | Partitur
Text. Kristine Tornquist | Libretto
Ein Armer. Johann Leutgeb
Polizeioberst. Sven Dúa Hjörleifsson
Traumstimme. Marelize Gerber
Traumstimme. Ida Aldrian
Polizisten. Benedikt & Gaban Büllingen
Das Schicksal erscheint im Traum
In der Bibel spricht Gott zu Abraham in seinen Träumen, mit Salomon diskutierte er sogar im Traum, Joseph deutete den Traum des Pharaos und Daniel Nebukadnezars Traum über den Untergang seines Reiches. Diese spontanen Erleuchtungen wurden in der Oniromantie - dem Vorhersagen aus Träumen - zur Wissenschaft. Dem rätselhaften und bis heute nicht erschlossenenen Wesen und „Sinn“ von Träumen rückte man in Mesopotamien sogar mit eigenen Traumkammern zu Leibe – die Träume der dort Schlafenden wurden als Omen betrachtet. Denn Träume galten immer als Sprachrohr Gottes oder seiner Abgesandten. Hölderlin formuliert es im Hyperion: Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt... Von Mohammed ist überliefert, dass er viel auf seine Träume und die seiner Gefährten hielt, denn der Schlaf ist die Zeit, in der die Seele zu Gott zurückkehrt. Der Prophet meinte auch: Der wahrste Traum ist der in den Zeiten vor Tagesanbruch. Das mag daran liegen, dass man sich an die Träume aus dem leichten und durchsichtiger werdenden Schlaf am Morgen besser und deutlicher erinnert.
Das grosse Buch der Träume (Tafsirul Ahlam al-Kabir) von Muhammad Ibn Sirin (653–728), einem fast tauben Imam und dennoch berühmten Geschichtenerzähler aus Basra, kategorisiert die Traumzeichen und ihre Bedeutungen bereits ganz wissenschaftlich in 59 Kapiteln. Dabei geht er in die Details – so bedeutet zum Beispiel ein Traum von lockigem Haar Ehre, lausiges Haar eine grosse Familie, wachsendes Haar Verluste und eine abgeschnittene Strähne Ehekrach. Ibn Sirin hielt sich bei alledem eng im theologischen Rahmen, Traumdeutung hat im Islam Tradition, die Traumdeuter waren meistens Imame. Zwar ist im Islam das gesamte zukünftige Weltgeschehen minutiös in Gottes Buch verzeichnet, dennoch wird dem Gläubigen eine Entscheidungsfreiheit zugestanden, in der er sich für das Gute, den Glauben, entscheiden muss.
In dieser rätselhaften Lücke zwischen Plan und Freiheit operiert auch die Mantik. Sie ist der Versuch, die vogelfreie Entscheidung des Menschen an den von Gott geheim gehaltenen Plan anzunähern und einer unbekannten Zukunft nicht unvorbereitet gegenüberzustehen. Ibn Sirins Buch geisterte dann unter dem Autorennamen Achmet ausgehend von Byzanz durch das mittelalterliche Europa – christlich adaptiert.
Nach dem 18. Jahrhundert übersiedelte die Mantik in Europa aus den Wissenschaften in den Aberglauben. Täume wurden als blinde Halluzinationen identifiziert oder seit dem Beginn der Psychoanalyse als regeneratives System zur Problembewältigung betrachtet. Sigmund Freud schrieb seiner Liste von Traummotiven nur noch individuelle Bedeutung zu, in der die Mängel und Leiden eines Charakters sich Luft machen. Der Traum – vorher reich gefüllt mit Gottes oder des Schicksals Wort, mit Hinweisen und Warnungen, mit praktischen und geistigen Geschenken – wurde zur leeren Blase, zum blossen Bildschirmschoner des Gehirns.
Gerade solche Skepsis und Nüchternheit wird dem Polizeioberst in der Geschichte Die Träume aber zum Verhängnis. Denn wer nicht an das Glück und das Schicksal glaubt, den belohnt es auch nicht mit der feinen Freude, in seinem unsichtbaren Netz sicher zu hängen... Der reich für seinen Glauben belohnte Arme weiss: Glaubst du an Träume, glauben die Träume an dich. Tust du es aber nicht, dann werden sie es auch nicht tun. So hat jeder recht, der eine wie der andere.
Einem Armen aus Bagdad wird im Traum geweisssagt, er werde in Kairo reich werden. Er macht sich auf den Weg. Dort angekommen gerät er in eine Razzia, wird für einen Moscheedieb gehalten, verprügelt und landet vor dem Polizeioberst, der wissen will, was er in Kairo zu suchen hätte. Er erzählt seinen Traum. Der Kommissar verlacht ihn als abergläubisch und erzählt seinerseits seinen eigenen Traum der letzten Nacht, er möge nach Bagdad gehen und könne dort an einer bestimmten Ecke einen Schatz ausgraben. Doch sei er nicht so dumm, solchen Unsinn zu glauben. Der Polizeioberst verweist ihn aus Kairo, der Arme macht sich auf den langen Weg zurück. Den Traum des Polizeioberst aber weiss er zu deuten - und so wird sein Traum über Umwege doch noch wahr.
Diese Geschichte existiert in den verschiedenen Handschriften in unterschiedlichen Fassungen, in allen jedoch steht der Polizeioberst, der sich für den Klügeren, weil Rationaleren, hält, als der Dumme da. Die Entstehungszeit dieser Geschichte mit dem Motiv des Moscheediebstahles lässt sich vermuten. Denn Ende des 9. Jahrhunderts wurden die Händler aus den Gebetsräumen vertrieben und die Moscheen mit den berühmten und schönen silbernen und manchmal vergoldeten Lustern ausgestattet, die an Ketten von der Decke abgehängt wurden - diese hatten sofort eine grosse Anziehungskraft auf Diebe. Kairo, “Die Siegreiche”, und Bagdad, “Gottesgabe”, sind in Luftlinie voneinander 1295 Kilometer entfernt. Selbst wenn der Arme in gerader Linie hätte gehen können, wäre er doch bei durchschnittlicher Gehgeschwindigkeit über einen Monat unterwegs gewesen.
Paul Koutnik über Die Träume
Die Komposition der “Träume” fiel in eine bewegte Zeit der Region der Handlung – Februar 2011 –, die den Begriffen Friede, Fremde und Träume aus dem Libretto in Zusammenhang mit Bagdad und Kairo ungeahnten Tiefgang verlieh. Allein, derlei Assoziationen bleiben den Köpfen der Zuschauer vorbehalten. Die Oper selbst soll einfach nur unterhalten…