Der Apfel aus Basra
Musik. Matthias Kranebitter | Partitur
Text. Kristine Tornquist | Libretto
Kaufmann. Michael Schwendinger
Frau des Kaufmanns. Marelize Gerber
Sohn des Kaufmanns. Ida Aldrian
Dschafar Al-Barmaki. Andreas Jankowitsch
Tochter von Dschafar. Lisa Rombach
Eunuch Raihan. Sven Dúa Hjörleifsson
Maschinisten. Benedikt & Gaban Büllingen
Das Schicksal ist nicht gerecht
Der Wesir und Richter Dschafar in der Kriminalgeschichte von den „drei Äpfeln“ , wie es im Original heisst, hat einen guten Grund, den Schuldigen am Mord einer jungen Frau zu finden und zu verurteilen. Denn Kalif Harun ar-Raschid fordert schnelle Aufklärung für den aufsehenerregenden Mord – andernfalls soll Dschafar selbst mit dem eigenen Kopf die Schuld sühnen. Unter diesem Druck macht Dschafar, der Gerechte und Weise, sich an die detektivische Arbeit. Die Kriminalgeschichte deckt nach und nach die Zusammenhänge auf und zeigt, wie sich die Schuld am Tod der Frau im Verlauf sukzessive ansammelt hat. Aus lauter kleinen und grösseren Vergehen summiert sich ein grosses. Denn alle Handlungen hängen untereinander zusammen und verbinden sich zu einem fatalen Schicksalsspiel.
Das Schicksal ist ein Zwilling des Zufalls. Der Würfel in diesem Spiel ist der Apfel, der wie in der Bibel als Symbol für die Sünde herhalten muss. Verlange nicht vom Schicksal gerecht zu sein, das ist nicht gerecht, denn das Schicksal wurde nicht dafür erfunden, gerecht zu sein. Dieses in den Erzählungen von 1001 Nacht beliebte Sprichwort legen wir dem Wesir Dschafar in den Mund, wenn er Raihan, dem unglücklichen Sklaven, das Todesurteil verkündet, das in unseren Ohren ungerecht und willkürlich wirkt - und Matthias Kranebitter dazu inspiriert hat, die Geschichte musikalisch ins Absurde kippen zu lassen.
Im Original der Erzählungen aus 1001 Nacht kann Dschafar, der kluge und hochgebildete Wesir aus der berühmten und einflussreichen Familie der Barmakiden, seinen Sklaven aber auch noch aus der Schlinge retten, indem er dem Kalifen Harun ar-Raschid – wie könnte es anders sein – zu dessen Unterhaltung eine Geschichte erzählt.
Die Erzählungen von 1001 Nacht sind keine Märchen. Es sind unter anderem Geschichten für Herrscher – stellvertreten durch den uneinsichtigen und grausamen König Schariyar der Rahmenerzählung. Einem Herrscher kann man nicht mit Gesetzen, Vorhaltungen oder Verboten kommen. Gegen seine Gewalt wirkt nichts besser als das Erzählen von guten Geschichten - ob mündlich oder wie heute über die Medien – daran hat sich wenig geändert. Man muss sie nur zur rechten Zeit dem Richtigen erzählen...
Ein junger Kaufmann aus Bagdad bezichtigt sich vor dem Wesir Dschafar Al-Barmaki des Mordes. Er hat seine Frau umgebracht, weil sie ihm untreu war. Der Wesir lässt sich seine Geschichte erzählen. Die kranke Frau des Kaufmanns hat nur einen Wunsch - sie will einen Apfel essen. Der Kaufmann, der sie sehr liebt, reist bis nach Basra, um im Winter einen Apfel für sie zu bekommen. Den kostbaren Apfel legt er der Schlafenden ans Bett. Von dort entwendet ihn ihr kleiner Sohn heimlich, er nimmt ihn zum Spielen mit auf den Markt. Dort fällt er einem Sklaven vor die Füsse. Der weigert sich, dem verzweifelten Buben seinen Apfel zurückzugeben, denn er will das kostbare Obst seiner kleinen Herrin teuer verkaufen. Als der Kaufmann zu seiner Frau kommt, ist der Apfel verschwunden, sie kann ihm jedoch nicht sagen, wo er geblieben ist. Umso mehr überrascht ihn, als er später auf dem Markt einem Sklaven mit einem solchen Apfel in den Händen begegnet. Zur Rede gestellt behauptet der Sklave, den Apfel von seiner Geliebten bekommen zu haben, deren Ehemann nach Basra gereist sei, um ihn für sie zu kaufen. Wutentbrannt zieht der Kaufmann seine Schlüsse, eilt nach Hause und ersticht seine Frau. Doch als sein Sohn ihm den Diebstahl des Apfels beichtet, begreift er verzweifelt ihre Unschuld. Der Bogen schliesst sich, nachdem sich herausstellt, dass Dschafars Tochter den Apfel von ihrem Sklaven Raihan gekauft hatte. Der Wesir entscheidet, dass Raihan schuldig ist. Er wird geköpft.
Matthias Kranebitter über den Apfel aus Basra
Die Idee der musikalischen Umsetzung war diejenige einer Karikatur, einer Überzeichnung der Charaktere und damit die Verschiebung der Handlung ins Groteske. Eine ironische Haltung der Musik gegenüber ist in den meisten meiner Werke spürbar, auch als Flucht vor Pathos, was aber in keiner Weise als eine Anbiederung an die Spaßgesellschaft verstanden werden soll, da gekonnte Ironie niemals rein oberflächlich sondern stets Kritik an geltenden Ordnungen ist, ganz nach dem Motto „Die Erschütterung des Zwerchfells bietet dem Gedanken bessere Chancen dar als die der Seele“ (Walter Benjamin). Die wesentliche Opernfrage „Warum singen diese Menschen?“ wird hier mit einer pathologischen Verhaltensstörung der Charaktere beantwortet.