Oper in Wien - 27. August 2011, Dominik Troger
„Alf laila wa laila“ – Dritter Abend – „Glück“
Auf die „Hoffnung“ folgte das „Glück“: zumindest am dritten Abend von „alf laila wa laila“. Ein Besuch des „1001-Nacht-Festivals“, das noch bis 9. September die Expedithalle der ehemaligen Ankerbrotfabrik in Favoriten füllt, kann nur empfohlen werden.
Selbst wer zeitgenössische Oper nicht so schätzt, muss keine Berührungsängste haben. Hier geht es um das Gesamterlebnis. Elf Komponisten haben für unterschiedliche musikalische Zugänge gesorgt. Die Geschichten wurden von der Regie unter Kristine Tornquist in eine einfache, sinnliche und immer wieder überraschende Bildersprache übersetzt, die zudem den märchenhaften Zug von „1001 Nacht“ nicht verleugnet. Das Rahmenprogramm, die Vorträge, die kleine Ausstellung und die Nachtkonzerte vermitteln zudem weitere Perspektiven, verstärken den zeitgenössischen Rahmen, in dem sich die „alten Geschichten“ in einem erweiterten Bedeutungskontext bewähren können.
Der Gastvortrag am dritten Abend wurde vom DaPonte-Spezialisten Herbert Lachmayer beigesteuert, der mit seinem Referat über die „Pornosophie“ des 18. Jahrhunderts nicht nur sein lexikalisches Wissen demonstrierte, sondern auch die Sinnlichkeit einer Epoche präsentierte, in der die Erzählungen von „1001 Nacht“ Europa eroberten. Diese erotische Kraft von Wissenschaft und Kunst hat sich in den folgenden Jahrhunderten stark verflüchtigt. Möglicherweise ist heutzutage die Oper der letzte Ort, an dem man dermaßen in einen höheren Gefühls- und Geisteszustand „aphrodisiert“ zur Welterkenntnis gelangen kann. Die drei Abende von „alf laila wa laila“ sind dafür ein gutes Beispiel.
Doch nun zu den Werken, die am dritten Abend unter dem Generalbegriff „Glück“ zusammengefasst wurden: „Der Bucklige“ (Jury Everhartz), „Masrur“ (Oliver Weber) und „Zumurrud“ (François-Pierre Descamps). Dazu kam eine amüsante Tanzpantomine „Muadschizat al Dschamal“ (Akos Banlaky).
Für „Der Bucklige“ (Komposition: Jury Everhartz) gilt, dass es schon ein Glück ist, wenn man nicht hingerichtet wird. „Der Bucklige“ bietet eine Komödienhandlung, die man sich genauso als Opera buffa oder als Pantomime vorstellen kann. Die Kammeroper benötigte aber ein paar Minuten, um auf „Touren“ zu kommen. Eventuell sind die ersten Szenen eine Spur zu lange geraten. Zur Handlung: Bei Chinesen eingeladen verschluckt der Bucklige sich an einem Fisch – und stirbt. Die Chinesen schaffen sich die Leiche vom Hals und bringen sie zu einem jüdischen Arzt, dieser bringt sie zu einem Bäcker, bis schließlich ein Christ als vermeintlicher Mörder verhaftet wird. Als der Henker den Christen aufknüpfen möchte, erscheinen der Reihe nach die anderen Verdächtigen und klagen sich an. Der Henker verzweifelt, weil er jedes Mal die Hinrichtung abbrechen muss. Schließlich stellt er fest, dass man den Fisch nur aus dem Hals des Buckligen herausziehen muss – damit dieser wieder atmen und leben kann. Manchmal haben wirklich alle Glück. Der Bucklige wurde als große Puppe dargestellt, die von einem Sänger geführt wird, immer wenn der Bucklige am Leben ist.
„Masrur“ (Musik: Oliver Weber) war ein kurzes Stück, gleichsam ein Epilog zu und „Harun und Dschafar“ vom Vortag. Harun ar-Raschid leidet darunter, dass er seinen Freund und Wesir Dschafar als-Barmaki hat köpfen lassen. Als Schwertträger Masrur seinen Herrn nicht aufheitern kann, bietet er dem Kalifen seinen eigenen Kopf an. Dieser schwankt, verzichtet aber darauf – und fühlt sich plötzlich von seiner schlechten Stimmung geheilt. Oliver Weber hat dazu eine expressive Musik geschrieben. Das Stück wirkte aber ein wenig isoliert und würde möglicherweise besser als Szene zu „Harun und Dschafar“ passen, eventuell bald nach der Exekution Dschafars?
„Ein Kamel sucht seine Hälfte“: Die heitere Tanzpantomime „Muadschizat al Dschamal“ (Musik: Akos Banlaky) gewann das Publikum ganz für sich und war neben der nachfolgenden Oper „Zumurrud“ der Höhepunkt des dritten Tages.
„Zumurrud“ (Musik: François-Pierre Descamps) dauerte fast eine Stunde und sprengte damit schon ein wenig die Grenzen des Festivals. „Zumurrud“ erzählt die Geschichte von einer selbstbewussten Sklavin, die bestimmt, an wen sie sich verkauft, und die mit Ali Shir ihre große Liebe findet. Zumurrud ist eine attraktive Partie für eine Sängerin, sozusagen eine orientalische Carmen. Descamps Komposition belässt dem Text und dem Gesanglichen das Vorrecht, ist mehr illustrativ und bühnengerecht in einem „herkömmlichen“ Sinn. Während des Spiels wurde auch das Publikum einbezogen und es wurden Tabletts mit kleinen frittierten Häppchen durchgereicht.
Mit Solmaaz Adeli als „Zumurrud“ stand eine Sängerin auf der Bühne, deren jungendliches Aussehen und leuchtender, flexibler Mezzo dieser Rolle die passende „Aura“ zu geben vermochte. Das funkelte erotisch und selbstbewusst – vom angenehmen Timbre ihrer Stimme grundiert. Adeli hat das Publikum gleich für sich eingenommen und wurde mit viel Applaus bedacht. Richard Klein fungierte als der von ihr erwählte Mann und sang einen sympathischen Ali Shir.
Womit die Überleitung zu den Sängerinnen und Sängern geschafft wäre, die diese drei Abende dankenswerter Weise gestaltet haben und in teils unterschiedlichen Partien zu hören gewesen sind. Der unter den gegebenen Umständen einzige relevante Kritikpunkt, der aber mehrere Mitwirkende betrifft, war die mangelnde Wortdeutlichkeit – teils sicher auch verstärkt durch die Hallenakustik und den musikalischen Grundcharakter des jeweiligen Stücks.
Herausgeleuchtet hat der anmutige Sopran von Marelize Gerber, sei es als „Traumstimme“ oder als sterbenskranke Kaufmannsfrau („Der Apfel aus Basra“), der sie eine fragile, schwebende, gleichsam unter ihrem eigenem Gewicht langsam aushauchende Stimme lieh. Das „Trio“ Dan Chamandy (Harun ar-Raschid), Andreas Jankowitsch (Dschafar al-Barmaki) und Jens Waldig (Masrur) brachte die Konflikte und Abhängigkeiten in diesem herrschaftlichen Beziehungsdreieck sehr gut heraus. Rupert Bergmann spielte den von aussätzigem Hautausschlag gequälten König Yunan mit so viel Hingabe, dass man schon versucht war, sich selber zu kratzen. Der Fischer Chalifa, gesungen von Erwin Belakowitsch, wird mir wegen seiner liedhaften Gestaltung in Erinnerung bleiben, die der Figur einen poetisch-melancholischen Hintergrund verlieh.
Johann Leutgeb erweckte mit seinem Bariton den weisen Attar zu mystischem Leben; markant und böse gab er sich als Raschid ed-Din, Entführer der „smaragdenen“ Zumurrud. Lisa Rombach und Michael Schwendiger gaben mit viel Humor und Übertreibungskunst die „Toten“, die gar nicht tot sind. John Sweeny spielte den Arzt Duban mit selbstsicherer, etwas hagere Note: ein Mann, der von seinem Wissen bis in die Knochen überzeugt ist.
Dimitri Solojow sorgte für einen würdigen Kaiser von China, Sven Dúa Hjörleifsson steuerte u.a. einen Polizeiobersten bei, der ein wenig an einen inzwischen vertriebenen arabischen Machthaber erinnerte. Der Countertenor vonArmin Gramer lieh dem Buckligen seine einnehmende Stimme – beziehungsweise schwieg, solange dieser tot war.
Das kleine Orchester unter François-Pierre Descamps klang bestens einstudiert und widmete sich jedem Werk mit viel Intensität und Genauigkeit.
Der sehr gut besuchte dritte Abend schloss wieder mit viel Applaus für dieses aufwendige und kreativ umgesetzte Projekt.