mica magazin - 25.09.2014 Interview mit Selina Rosa Nowak. Didi Neidhart

Interview mit Selina Rosa Nowak (Auszug)

Ein gerne vorgebrachtes Argument für (Neu-)Inszenierungen von Opern ist deren vermeintlich ewige Aktualität im Bezug auf als universell und zeitlose angesehene Themen (Liebe, Hass, Krieg, Frieden etc.). Anhand des Wiener Ensembles Stimmen Stimmen Gegenstimmen soll nun im Rahmen des Festivals darüber diskutiert werden, “wie klassische Musik für die Vermittlung politischer Themen eingesetzt werden kann”. Kann klassische Musik im 21.Jahrhundert überhaupt noch als emanzipatorisches Sprachrohr fungieren?

Selina Nowak: Das ist eine Suggestivfrage! Konnte sie jemals als emanzipatorisches Sprachrohr fungieren? Waren die Komponisten zur Zeit, als die großen klassischen Opern entstanden, nicht alle abhängig von Fürsten, Königen und anderen Mäzenen? Die subtile Kritik, die in vielen Opern oder Liedern steckt, ist ja deshalb subtil, weil sie nicht direkt geübt werden konnte. Leider wird sie dadurch für spätere Generationen unverständlich. Und was bedeuten schon universelle Themen wie Liebe, Krieg, Frieden? Hohle Begriffe. Es sollte viel mehr Opern über die Finanzkrise geben, über Umweltzerstörung, über Digitalisierung, über zivilen Ungehorsam, über Feminismus, über Armutsmigration etc. Warum immer nur das alte Zeug aufführen? Warum nicht neue Werke schaffen? So wie Erke Duit, der mit dem Laienchor Gegenstimmen und dem Camerata  Kammerorchester ins Wiener Konzerthaus marschiert ist und dort die symphonische Kantate “Gemma Dann” über die Krise des Kapitalismus aufgeführt hat. Oder Kristine Tornquist und Jury Everhartz, die das sirene Operntheater gegründet haben und neues Musiktheater zu zeitaktuellen Themen auf die Bühne bringen. Ein Beispiel wäre hier die Kammeroper “MarieLuise”, in der es um parteipolitische Machtintrigen geht. Wir haben alle Drei zur Diskussion im Anschluss an die Filmmatinee am 4.10. geladen und zeigen dazu mehrere Bild- und Tonbeispiele ihrer Werke. Denn es gibt sie, die Querköpfe, Anarchisten, Punks und Rock’n’Roller unter den Klassikern!

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