Österreichische Musikzeitschrift, Band 68, Heft 1, 01.01.2013, Heinz Rögl
Wenn eins in zwei geteilt wird
Marie & Luise, siamesische Zwillinge, die sich zwei Beine und zweieinhalb Arme teilen, beschliessen, sich politisch in einer Partei zu engagieren. Doch in der Politik finden sie statt Kooperation vor allem Konkurrenz und Machtkämpfe vor - von der Kampfansage bis zur Intrige, auch von sensationsgeilen Medien und geltungssüchtigen Ärzten werden sie nur benutzt.
Als Luise zulässt, dass sie gegen Marie ausgespielt wird, geht sie in Opposition. Schliesslich steht Trennung auf dem Plan, es kommt zur Operation. Marie ist ein ausgeweidetes totes Bündel, Luise bleibt in Einsamkeit zurück. "Was bleibt von der Eins, von der eine Hälfte abgezogen wurde. Eineinhalb?", fragt der in einer Sprechrolle von einem Schauspieler gespielte Mathematiker in Kristine Tornquists Libretto am Ende.
Die einander zum Verwechseln ähnlich sehenden, in Rosa gekleideten "siamesischen Mezzos" Iwona Sakowicz (Marie) und Salina Aleksandrova (Luise) sind anfänglich ein "Wir", träumen gar von einem "tausendköpfigen Menschenriff", das es in der Welt zu verwirklichen gilt. Alle anderen Sänger haben Doppelrollen als Ärzte und Politiker.
Als Komponist hat Gernot Schedlberger bereits 2009 mit Tornquist zusammengearbeitet und zur legendären Aufführungsreihe von neun Opern nach Leo Perutz' "Nachts unter der steinernen Brücke" einen "Heinrich aus der Hölle" komponiert. Diesmal dominieren in seinem dreizehnköpfigen Orchester neben vier tiefen Streichern, Klavier, Akkordeon und Schlagzeug die Bläser, vor allem (Bass-)Klarinetten. Die Dialoge im Gesang der Zwillinge werden oft durch Duos der Instrumente kontrastiert, die sich dann polyphon verzweigen können.
Schedlberger versteht etwas vom Handwerk, komponiert durchaus textbezogen, ohne plakativ zu werden, er beherrscht satirische Kommentare, die am Ende melancholisch werden: nur mehr eine Bassklarinette bleibt am Schluss übrig.
Das 100minütige "Handlungslibretto" wird ohne Pause bühnenwirksam, voller guter Ideen und Kostümierungen, mit geschickter Personenregie gezeigt und langweilt nie.
Insofern ein weiterer grosser Erfolg der "freien" Opernszene in Wien.