Theater und Musik - historische Formen
Unserem kleinen Theaterstück, das von der schwierigen Dichotomie von Mensch und Natur erzählt, stehen zwei historische Theaterformen Pate, die unterschiedlicher nicht sein können.
Zum einen das aus der Not geborene, improvisatorische Theater des Fahrenden Volkes, der unteren und untersten Bevölkerungsschichten des Mittelalters, der vogelfreien Ioculatores oder Jongleure, der Spielleute und Spassmacher, deren Leben alles andere als vergnüglich war. Natürlich war dieses Theater subversiv und sägte mit allen verfügbaren Mitteln an der Gesellschaftspyramide, als deren Teil sich die Spielleute nicht selbst verstehen konnten.
Zum anderen das aufklärerische Reformtheater des Johann Christoph Gottsched und des Gotthold Ephraim Lessing, das das Publikum nicht nur vergnügen, sondern ganz im Wortsinn eines Besseren belehren will: im Mittelpunkt jedes Stückes steht dabei ein moralischer Kernsatz oder zumindest ein solcher Gedanke. Und dieser Gedanke fordert einen Textautor, weil er im autorenlosen Theater der derben Gauklerspässe in den Hintergrund träte. Hier, in der moralischen Anstalt, soll auch das Publikum gutes Benehmen lernen - zum Beispiel von der Bühne verschwinden! - und die Stücke sollten einen logischen Aufbau bekommen - was bis dato nicht unbedingt ihre Natur war.
Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts nahmen beide Theaterformen, die komödiantischen des Volkes und die tragischen des Adels, einen ungeahnten Aufschwung, nachdem die gespaltenen Konfessionen deren Wirksamkeit entdeckten und die gehobeneren Gesellschaftsschichten auch ein Repräsentationsbedürftnis darin befriedigt sahen. So kam es schon im 18. Jahrundert zu einer Synthese dieser beiden Konzepte, indem die Tragödie der Komödie ein Haus gab, das diese wiederum mit Leben füllen konnte.
Die Geschichte des Menschen, der zuerst sich vor der Natur und jetzt die Natur vor sich schützen muss, ist die einer langsamen Erkenntnis, dass sich alles ins Masslose wendet, wenn die Bedürftnisse des anderen nicht Teil des eigenen Konzeptes sind. So wird aus jeder friedlichen Nutzanwendung bald eine radikale Zerstörung. Es bedarf also auch hier einer Synthese, dem Menschen bleibt keine andere Ressourcenquelle als die Natur, die er aber - und auch deswegen - schützen muss, etwa, indem er sie als schön artikuliert. Ebenso spannt Kristine Tornquist die zumindest scheinbare Lebensfreude fahrender Darsteller und einen kategorischen Imperativ unter das Dach eines Circuswagens. Eine schwierige Synthese, weil die Balance zwischen Subversivität der einen Tradition - also gesellschaftlicher Destabilisierung - und dem moralischen Lehrtheater - also gesellschaftlicher Stabilisierung - nicht ganz leicht fällt. Auch die Idee der Autonomie der Kunst und der Idee der Vermittlung eines konkreten Inhalts bilden eine Dialektik, die man ebensogut als schwierig wie spannend begreifen kann.
Auch die kleinen musikalischen Interventionen von Akos Banlaky stehen in einer ganz bestimmten Tradition. Besonders im Theater der Vaganten und Landfahrer, das immer um Aufmerksamkeit kämpfen musste, spielte die Musik eine grosse Rolle, und die Schausteller mussten schlecht und recht so viele Instrumente als möglich spielen. Neun oder zehn waren nicht unüblich. Natürlich wurde hier nach Vereinfachung gesucht und in den typischen Bettlerinstumenten wie Drehleiern, Pfeifen und Trommeln auch gefunden. Diese Instrumente waren vor allem hoch und laut, und möglichst einfach in der Handhabung. Man bedenke, dass es in der Zeit der Spielleute eine davon unabhängige instrumentale Kunstmusik überhaupt nicht gab.
Musikinstrumente sind abgesehen von den signalgebenden Trompeten und Pauken genau Handwerkszeug der Schauspieler.
Erst die Neuzeit erfindet auch eine Hausmusik. Jetzt werden die Instrumente einheitlicher und die tieferen Register spielen erstmals eine Rolle. Aus dem mechanistischen Geist der Aufklärung werden zur selben Zeit die Musikmaschine des Klavieres für den Hausgebrauch wie die mechanische Walzenorgel für den Strassengebrauch erfunden, die seither beinahe zum Symbol der fahrenden Schauspieler und späteren Moritatensängern geworden ist.
Die Franzosen kennen noch das eigenartige Wortspiel um die "Orgue de Barbarie", eben der Drehorgel, die einerseits nach ihrem Erfinder Giovanni Barberi (um 1700) benannt sein soll, andererseits aber auch das "barbarische Geschrei" im Namen trägt, das sie angeblich anstimmt. Nebenbei könnte man das Wort übrigens auch einfach als "nichtfranzösisch" deuten.
Das von verwendete Walzenharmonium ist deutlich jüngeren Datums und geht wieder auf eine Synthese zurück: mit diesen Instrumenten sollte die Strassenmusik zurück ins Haus geholt werden und eigentlich eher bürgerliche Wunderkammersammelbedürftnisse befriedigen als tatsächlich als Instrument genutzt zu werden. (Hier unsere Lochstreifen: 1-2)
Umso interessanter, diese Sammlerpretiosen wieder auf die Bühne zu bringen. Die immer sehr eigenartig in Wind- und Wetterstimmung klingenden Instrumente der Strassenkünstler stellten ja auch die musikalische Integrität der Sänger - gemessen an ihren Spezialistenkollegen in der absoluten Kunst - in Frage. Weshalb zwischen den beiden grossen Kriegen unseres Jahrhunderts etwa Kurt Weill oder Hanns Eisler genau diese Sänger wieder entdeckten, um der zweckfreien Kunst wieder die Dimension politischer Agitation zurückzugeben: im Gesang der Strassenmusiker artikuliert sich ja ein echtes, nicht dekadentes Bedürftnis des Volkes. Damit erreichte der Prozess der Synthese zwischen ursprünglichem Strassentheater und der moralischen Anstalt ihren bisherigen Höhepunkt.