Österreichische Musikzeitschrift, Jahrgang 70, Heft 4 2015, Robert Lillinger
René Clemencic: Gilgamesch. Die Unsterblichkeit eines Mythos
Mit René Clemencics epischem Oratorium Gilgamesch entführte das sirene Operntheater nach Mesopotamien - in die Welt eines Königs, der lernen musste, dass der Mensch nur durch seine Taten im kollektiven Gedächtnis bleiben und so Unsterblichkeit erlangen kann. Doch bis es soweit ist, hat der narzisstische Gilgamesch einiges zu durchleben: Als Tyrann regiert er sein Volk in Uruk und verspottet sogar die Götter. Einzig der unter den Tieren aufgewachsene Enkidu kann sich mit ihm messen. Es entsteht eine tiefe Freundschaft. Als die Götter den Übermut der beiden Tollkühnen mit dem Tod Enkidus bestrafen, macht sich der trauernde Gilgamesch auf die Suche nach der Unsterblichkeit.
Die Musik zu diesem 3000 Jahre alten Mythos stellte sich - klanglich oft wiederholend - äusserst einseitig und beinahe oberflächlich dar. Philosophische Tiefe und musikalische Deutungen mögen stärker durch die Erkenntnis der von Clemencic erwähnten Zahlensymbolik zum Tragen kommen, jedoch gab sich das Werk im Grossen und Ganzen eher laut und penetrant zeitgeistig. Dies mag grösstenteils auch an der Interpretation des Roten Orchesters gelegen haben, in welcher Intonations-, Balance- und Koordinationsprobleme leider deutlich hörbar wurden. Das Orchester war (Zahlensymbolik!) in drei Gruppen mit je fünf Spielern aufgeteilt: Streicher, Blechbläser und Schlagwerk. Diese konfrontierten das Publikum überwiegend mit langen Liegetönen nach Art eines unvollständigen und nicht ausgesetzten Basso continuo, wuchtig schmetternden Blechbläserpassagen und dröhnenden Ausbrüchen der Perkussion. Das moderne Instrumentarium trug zur klanglichen Distanz gegenüber dem historischen Stoff bei - umso erstaunlicher, als Clemencic ein herausragender und sensibler Interpret Alter Musik ist. Vielleicht hätte es dem Werk gedient, wenn der Komponist die Aufführung selbst geleitet hätte.
Das Sängerensemble überzeugte mit Stimmkompetenz und Engagement - allen voran Romana Amerling (Sopran), Gernot Heinrich (Enkidu) und Nicholas Spanos (Gilgamesch). Hervorzuheben ist auch das in die Inszenierung verwobene und im Zentrum der Bühne angesiedelte Schattenspiel mit Figuren von Roman Spiess, das der Aufführung eine gewissen Sinnlichkeit verlieh. Das schlicht gehaltene Bühnenbild stammte von Jakob Scheid, dessen Remake von Johann Nepomuk Mälzels Mechanischem Trompeter stolz die Eröffnungsfanfare des Abends darbot.