Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden. Ein Paradigmenwechsel
WIR, DIE VÖLKER DER VEREINTEN NATIONEN, SIND FEST ENTSCHLOSSEN,
KÜNFTIGE GESCHLECHTER VOR DER GEISSEL DES KRIEGES ZU BEWAHREN.
Mit diesen Worten beginnt die am 26. Juni 1945 beschlossene Präambel der Charta der Vereinten Nationen. Bei allem vielfachen Versagen seitdem ist und bleibt dies die zentrale Aufgabe internationaler Politik. Wo sie dabei erfolgreich war, findet nicht die öffentliche Aufmerksamkeit wie jene Fälle, bei denen sie gescheitert ist.
Zumeist heißt es: „Ein Krieg ist ausgebrochen.“ Das Bild wird dem Vulkan entliehen, der von Menschen nicht beeinflussbar ausbricht, als ob der Krieg ein natürliches Ereignis wäre. In dieser damit verbundenen Subjektivierung des Krieges, der aus einer Eigengesetzlichkeit handelt, klingt eine verbreitete Ohnmacht gegenüber dem Krieg mit, als ob bei ihm auch die Verantwortung läge. Demgegenüber werden jedoch Kriege geführt - von wem auch immer, und zu oft wird er einfach vom Zaun gebrochen. Der Krieg ist eine Geißel, eine unmenschliche Plage, aber kein Teil der conditio humana und kein Fatum, das zu erdulden wäre.
Vom gerechten Krieg
Die abendländische Lehre vom gerechten Krieg (lt. bellum iustum) hat das Christentum seit Kaiser Konstantin von der Antike übernommen und weiterentwickelt. Allein die Vorstellung eines „gerechten Krieges“, dem - oft unterschwellig - eine (quasi-) religiöse Legitimierung zukommt, erscheint aber aus der Sicht des 21. Jahrhunderts ein Widerspruch in sich zu sein, besonders nach den beiden sogenannten Weltkriegen des 20. Jahrhunderts und angesichts der vorhandenen Massenvernichtungsmöglichkeiten. Und doch ist die Vorstellung eines gerechten Krieges immer wieder wirksam, wenn es um die Rechtfertigung des Einsatzes militärischer Mittel geht: Von Afghanistan über Irak, vom Kosovo bis Libyen, von Syrien bis zur Ukraine, um nur einige der jüngeren Beispiele zu nennen.
Im allgemeinen Bewusstsein diente die Lehre vom gerechten Krieg der Legitimation eines Krieges. Die Kirche und mit ihr die Theologie wurden als Instanzen gesehen, die einem Krieg gleichsam ihren Segen geben und zu oft auch gegeben haben. Aus dem Blick geraten ist dabei, dass es mit Hilfe der Lehre vom gerechten Krieg schon in der Antike darum ging, den Krieg an Regeln zu binden, ihn gleichsam zu domestizieren und seine unmenschlichen Wirkungen zu begrenzen.
Für die Römer war es wichtig, dass der Krieg die Gunst der Götter findet. Letztlich hat erst der Ausgang des Krieges mit Sieg oder Niederlage erkennen lassen, ob er ein bellum iustum war, einer der die Gunst der Götter hatte und dessen Kriegsgrund somit gerecht oder ungerecht war.
In der Lehre vom gerechten Krieg wird unterschieden zwischen dem Recht zum Krieg (lat. ius ad bellum) und dem Recht im Krieg (lat. ius in bello). Das Recht zum Krieg verlangt einen gerechten Grund wie etwa Notwehr, eine legitime Autorität, die für das Allgemeinwohl verantwortlich ist, und eine gerechte Absicht, zu der die Wiederherstellung oder Förderung des Friedens zählen. Weiters muss es sich bei einem gerechten Krieg um eine ultima ratio handeln, weil alle anderen Mittel ausgeschöpft sind, und es braucht letztlich eine begründete Aussicht auf Erfolg.
Das Recht im Krieg fokussiert auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel und die Unterscheidung zwischen jenen, die zum Kämpfen berechtigt sind, den sogenannten Kombattanten, und denen, die als Nichtkämpfende von den Kriegshandlungen betroffen sind.
Die Lehre vom gerechten Krieg hat aber auch nachhaltige Erfolge, nämlich die Etablierung eines internationalen Kriegsrechts, genauer eines Kriegsvölkerrechts wie die Haager Landkriegsordnung oder die Genfer Konventionen. Und schließlich gehört auch der Aufbau von Institutionen zur Durchsetzung dieses Rechts dazu, insbesondere gegen Kriegsverbrecher wie der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Aber laut UNO-Charta sind Kriege geächtet und widersprechen grundsätzlich dem Völkerrecht. Die Lehre vom gerechten Krieg als das dominierende Paradigma ist an ein Ende gekommen.
Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden
Die vielen Stationen und genutzten Chancen des geschichtlichen Lernprozesses „Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden“ können hier nicht beschrieben werden. Wie groß dieser Lernprozess in Richtung Humanität gegangen ist, zeigt sich schon im Diskurs zum „gerechten Krieg“ etwa daran, dass Cicero noch Strafe bzw. Rache als gerechten Kriegsgrund - zur Erhaltung der „Pax Romana“ - ansah. Wie sehr ein Angriffskrieg im 20. Jahrhundert bereits verpönt war, wird z.B. darin deutlich, dass der Überfall auf Polen im September 1939 mit den Worten „Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen!“ als Verteidigungskrieg getarnt worden ist.
Kenneth Boulding charakterisiert Friede dann als stabil, wo bei den Verantwortlichen der Krieg im Falle von Interessenskonflikten nicht einmal eine Denkmöglichkeit mehr darstellt. Denn der Krieg ist nach Dieter Senghaas
ein Übel, aber er ist prinzipiell überwindbar und wir wissen auch, wie man ihn überwindet; das ist keine unbekannte Größe.
Vom gerechten Frieden
Aus unterschiedlichen Motiven und mit vielfältigen Begründungen wird im gerechten Frieden und der damit verbundenen Gewaltprävention das eigentliche Ziel internationaler Politik gesehen, In diesem kurzen Text wird ein Blick nur auf religiöse Zugänge und Initiativen in christlicher Tradition geworfen.
„Gerechtigkeit und Friede küssen sich.“ (Ps 85,11b) So heißt es im Bittpsalm um das verheißene Heil. Wenn nun Gerechtigkeit im „gerechten Frieden“ als eine Eigenschaft des Friedens angesehen wird, so hat dies ein biblisches Fundament, das nicht nur in diesem Psalm deutlich wird. Gerechtigkeit ist auch das zentrale Thema der „Ouvertüre“ der Bergpredigt, der sogenannten Seligpreisungen: „Selig, die hungern und nach Gerechtigkeit dürsten, denn sie werden satt werden.“ (Mt 5,6).
Die Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen stellte 1948 fest: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Einige Kirchen wie die Quäker lehnten stets jede Form militärischer Gewaltanwendung ab, vertreten einen grundsätzlichen Pazifismus und werden zu Recht Friedenskirchen genannt. Seit 1990 stellen nun Ökumenische Versammlungen zu „Gerechtigkeit, Friede, Bewahrung der Schöpfung“ die Gerechtigkeit dem Frieden voran. Mit dem Dokument „Gerechter Friede“ haben die deutschen Bischöfe im Jahre 2000 Abschied von der Lehre vom „Gerechten Krieg“ genommen, den Frieden zum „Ernstfall, in dem man sich bewähren muss“ (G. Heinemann) gemacht und den „Gerechten Frieden“ als sozialethische Zielperspektive normiert.
„Das Leitwort vom gerechten Frieden betont den tiefen und unaufgebbaren Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Frieden.“ (Nr. 63).
In ähnlicher Weise verfährt die Evangelische Kirche Deutschlands in ihrer Friedensdenkschrift aus dem Jahre 2007. „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“. Der Ökumenische Rat der Kirchen mit Sitz in Genf rief für 2001-2010 eine „Dekade zur Überwindung von Gewalt. Kirchen für Frieden und Versöhnung“ aus. Wir sehr hier christliche und säkulare Optionen einen Paradigmenwechsel propagieren, wird am Beispiel der UNO erkennbar, die zeitgleich eine „Internationale Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder dieser Welt 2001-2010“ propagierte.
Krieg und Frieden – Realität und Hoffnung
Wenn von Krieg und Frieden die Rede ist, dann werden zwei Worte bzw. Begriffe miteinander in Beziehung gesetzt, die aus der Sicht der Theologie jedenfalls zu ganz verschiedenen Kategorien gehören. Denn Friede ist - nicht nur im Christentum – eine Verheißung und eine theologische Schlüsselkategorie. Krieg hingegen kommt diese theologische Bedeutung nicht zu, sondern dieser ist eine Realität, die es zu domestizieren bzw. zu überwinden gilt.
Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern / und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, / und übt nicht mehr für den Krieg. (Jes 2,4)
Friede meint hier nicht nur die Unterbrechung von Krieg und eine Welt ohne Krieg, eine große Sehnsucht der Menschheit. Das hebräische Wort Schalom (Friede) benennt eine umfassende Hoffnung auf Unversehrtheit, Wohlergehen und Wohlbefinden im Sinne von Zu-Frieden-heit aller. Diese Hoffnung ist zugleich eine Verheißung, ein Segen Gottes verbunden mit dem religiösen Auftrag, sich für dessen Verwirklichung einzusetzen. So verstehen sich z.B. Christentum und Islam, auch wenn beide auf eine Geschichte religiös legitimierter Kriege nicht nur zurückblicken, als Religionen des Friedens, was auch für das Judentum gilt. Die unselige religiöse Legitimierung von Kriegen war und ist stets unvereinbar mit der Verheißung des „Schalom“.
Der Hinweis, dass aber Gewalt und Krieg in den heiligen Schriften einen so breiten Raum einnehmen, ist zwar zutreffend, er löst aber das Problem der Auslegung dieser Schriften nicht. Die Hermeneutik der heiligen Schriften, für die jede Zeit verantwortlich ist, entscheidet letztlich über die Wirkung der Schriften. Das Paradigma vom gerechten Frieden müsste einhergehen mit dem Paradigma einer „gewaltfreien Hermeneutik“ (Hamid Kasiri), in der heilige Schriften nicht mehr zur Legitimierung von Gewalt und Krieg instrumentalisiert werden. Das Potential zur Förderung eines gerechten Friedens hat jede religiöse Tradition. In der Besinnung auf ihren jeweiligen besonderen Auftrag könnte dies auch für die ganze Menschheit wirksam werden.