Tiroler Tageszeitung, 07.11.2017, APA Onlineticker
Wien Modern: „Die Reise“ führte tief in den Kaninchenbau des Absurden
Wien (APA) - Der Titel ist passend gewählt: Als „Die Reise“ hat das sirene Operntheater die Uraufführung von Jean Barraqués „Musique de scène“ zusammengefasst und in Kombination mit performativen Installationen sowie Theaterminiaturen für Wien Modern arrangiert. Für das Publikum bedeutet das ein Wandeln entlang absurder Szenen und durch fantastische Räume, wie die Premiere Montagabend deutlich machte.
Viel ist nicht vorhanden von Barraqué, hat der Vertreter der seriellen Musik doch ein sehr schmales Oeuvre hinterlassen. Die nun ins (teils diffuse) Rampenlicht geholten Werke hat der Franzose zu Kurzstücken von Jean Thibaudeau als Schauspielmusik verfasst. So kraftvoll und eruptiv das ensemble sirene die Töne umsetzte, so eigenwillig, kurios und amüsant erschienen die dazu vorgeführten Begebenheiten, mal im „besten Hotel der Stadt“, dann beim Augenarztbesuch. Doch der Reihe nach - schließlich machte es das Team um Regisseurin Helga Utz dem Publikum nicht leicht.
Im ehemaligen Post- und Telegrafenamt in der Zollergasse hieß es nämlich zunächst Treppensteigen, erstreckten sich die insgesamt elf Programmpunkte doch auf ebenso viele Räume und zwei Stockwerke. Und man vergesse bitte nicht den Ablauf, denn nicht alles ist jederzeit einfach zu besuchen. Klingt kompliziert? Ist es letztlich nicht. Mit grünen wie gelben Zetteln ausgestattet, erhielten die Premierenbesucher „ihre“ Zeiten für die drei zentralen Stücke, während man sich die restlichen Räume auf eigene Faust (und mit ein wenig Geduld) erarbeiten durfte.
Diese wurden großteils von Studenten der Universität für Angewandte Kunst gestaltet, die sich auf unterschiedlichste Weise mit dem Thema Reise auseinandersetzten. Etwa mit jener ins Jenseits, die man beim „Totengericht“ am eigenen Leib zu spüren bekam. Doch keine Angst: Anubis wirkte zwar einschüchternd, hatte aber eine ruhige Hand beim Abwiegen des „tapferen Herzens“. Schon beklemmender gelang da Raum Nummer 9: Plötzlich stand man in der Dunkelheit, hörte eine Stimme von einem Wolf sprechen und musste sich zwischen mannshohen Figuren seinen Weg bahnen. Aber auch hier wurde schnell deutlich: Die Reise findet großteils im eigenen Kopf statt.
Immer tiefer konnte man so in den teils traumhaften Kaninchenbau der Darbietungen eintauchen, erhielt einen Gesichtsschutz für den Besuch des „phrenologischen Abwaschs“ oder wähnte sich bei „Grundlos“ in einem Tim-Burton-Film, leichtes Gruseln inklusive. Dass Barraqués „Musique de scène“ dabei nicht zur Nebensache geriet, lag einerseits am klug positionierten Ensemble, dessen Klänge in die verschiedenen Räume strömte. Andererseits aber an den Darstellern um Benjamin Lew-Klon, die Thibaudeaus Absurditäten zum Leben erweckten. Vor allem sein Doppel mit Ingrid Habermann beim „Sehtest“ gelang höchst kurzweilig und humorvoll.
Ob diese „Reise“ nun als Neue Musik, absurdes Theater oder doch performativer Reigen einzustufen war, blieb glücklicherweise jedem Besucher selbst überlassen. Abwechslungsreich war die Raumerkundung allemal - auch wenn man zwischendurch das Gefühl bekam, dass die zentral positionierte Bar für viele die größte Anziehungskraft entwickelte. Nur die umgebende Traumwelt sollte man deshalb keineswegs außer Acht lassen.
sirene Operntheater: „Die Reise“, Uraufführung der „Musique de scène“ von Jean Barraqué mit originalen Theaterminiaturen von Jean Thibaudeau. Regie: Helga Utz, ensemble sirene unter François-Pierre Descamps, Mit: Benjamin Lew-Klon, Ewa Konstanciak, Christoph Leszczynski, Ingrid Habermann, Birgit Würz u.a., Raumgestaltungen von Studenten der Universität für Angewandte Kunst Wien, weitere Aufführungen am 9., 11., 15., 17. und 18. November jeweils um 20 Uhr, Mondschein (Ehemaliges k. u. k. Post- und Telegraphenamt), Zollergasse 31, 1070 Wien. Informationen und Tickets unter www.sirene.at und www.wienmodern.at