27.07.2017, O-Ton, Kulturmagazin mit Charakter, Helmut Christian Mayer
28.07.2017, Kleine Zeitung, Helmut Christian Mayer | 29.07.2017, Kleine Zeitung, Helmut Christian Mayer
Grenzen des Leidens (Kurzfassung hier)
"Ich will die Menschen erwachen sehen aus der Dummheit, der Ablenkung, der Gier." Das sind Schlüsselworte einer starken, ungewöhnlichen Frau, die nicht nur reich und schön, sondern auch klug war und von etwa 995 bis 1045 lebte. Die Geschichte von "Hemma - eine Weibspassion", so der Titel der neuen Kirchenoper, die jetzt beim Carinthischen Sommer in einer Koproduktion mit dem Stadttheater Klagenfurt uraufgeführt wurde, ist aber auch stark.
Es ist ein explosives Stück über die einzige Landesheilige von Kärnten, über Glaube und Weiblichkeit, angesiedelt im Hochmittelalter und dennoch sehr heutig, eine moderne Auseinandersetzung mit dem Lebenssinn und Gott. Der Literat Franzobel zeichnet Hemmas Passion an Hand der wenigen historisch belegten Fakten, in die er auch so manche Legende einfliessen lässt, bin an die Grenzen ihrer Leidensfähigkeit.
Er zeigt darin die Wandlung der Gräfin von einer sensiblen und intelligenten Frau zu einem leuchtenden Vorbild im Kampf gegen soziales Elend. Erst kämpft sie gegen die Kinderlosigkeit. Dann muss sie erleben, wie ihr Sohn von aufständischen Knappen massakriert wird. Schliesslich muss sie mit ansehen, wie der Gatte an den Einwohnern von Gurk dafür Rache nimmt und dann auch umkommt. Zum Schluss spendet sie ihren grossen Besitz der Kirche. Sie war Stifterin des Gurker Nonnenklosters und legte so den Grundstein für die Bistumsgründung von Gurk. Dafür hat der aus Oberösterreich stammende Schriftsteller den tiefsinnigen Text des in Kärnten bereits 2013 aufgeführten gleichnamigen Schauspiels operntauglich gestrafft.
Ein hängender, leuchtender Mond, eine stehende Leiter, die symbolhaft ins Nichts führt, ein derbes Holzpodest: Das ist die minimalistische Ausstattung, die von Nele Ellegiers stammt, mit der in der Ossiacher Stiftskirche das Auslangen gefunden wird. Kristine Tornquist, eine ausgesprochene Spezialistin für alternative Spielorte, nützt die gesamte Kirche, Altarraum, Gänge, Kanzel als Spielraum. Und sie setzt die Geschichte, abgesehen von einigen Plattheiten, wie der Errichtung eines Knochenhaufens und etwas zu viel Pathos, wenn die Titelheldin zum Finale mit einem Modell des Gurker Doms durch die Reihen schreitet, packend um, wobei alle Figuren sehr detail- und ideenreich gezeichnet sind.
Exzellent sind die Sänger, denen vom Komponisten ganz bestimmte Tonkonstellationen zugeordnet sind: Juliette Mars kann als intensive, selbstbewusste Titelheldin begeistern, die ihre Seelenqualen grandios auslotet, immer wieder symbolhaft auf die Leiter klettert und dabei nicht weiterkommt und sich schliesslich zur Heiligen wandelt. Julia Koci ist die blitzsauber singende Magd Kathi, die immer wieder vom genussüchtigen Grafen Wilhelm von Friesach, dem Ehemann von Hemma, missbraucht wird. Der wird von Andreas Jankowitsch ungemein viril, brutal und exzessiv gestaltet. Sven Hjörleifsson mimt nur nicht deren beider Sohn, sondern auch den etwas dümmlich wirkenden Erzbischof mit hellem Tenor. Jens Waldig singt ideal Kathis Vater.
Alle Sänger und der achtköpfige, männliche Festivalchor, der die Rolle des Kommentators und auch einzelner Personen im Kollektiv übernimmt, sind überwiegend deklamatorisch und teils nur im Sprechgesang wunderbar und textverständlich zu hören. Die karge und bewusst spröde, recht kopflastig und geräuschreich konstruierte Musik des gebürtigen Kärntners Bruno Strobl im Orchester tritt hingegen auch akustisch ziemlich in den Hintergrund. Sie spielt mit ihren Klangflächen, Tonreihen und Fragmenten in der etwa 90minütigen Dauer des Werkes meist eine untermalende und kommentierende Rolle. Dabei wird auch immer wieder auf die Instrumente mit den Bögen, aber auch eigenen Hölzern geschlagen und darauf herumgekratzt.
Es ist bewundernswert, wie souverän und konzentriert dabei das klein besetzte Kärntner Sinfonieorchester unter dem ganz exakt schlagenden Simeon Pironkoff diese enorm diffizile Aufgabe bewältigt.
Vom Publikum gibt es ungeteilte Zustimmung, viel Applaus und etliche Bravi.