Vom Unsichtbar-Werden
Es gibt keinen gefährlicheren Typ Mensch als den Weltverbesserer.
Der Weltverbesserer ist, genau betrachtet, ein Psychopath, auf alle Fälle ein persönlichkeitsgestörter Mensch. Die Welt für schlecht zu halten, unterm Strich, ist Irrsinn. Und für den Bibel-Gläubigen gar Häresie: Irgendwo steht dort, die Welt sei gut.
“Weltverbesserung” ist ein sehr allgemeiner Ausdruck, aus der Zeit gehoben wie ein Ladenschild, das allmählich verwittert. Die Verbesserung des Rades? Vergesst die Weltverbesserung! Es geht um Entscheidungsverbesserung, denn wer es nicht im Bauch hat, die andre Backe hinzuhalten, der muss es lernen. Aber wie, wo und von wem? Von Religion? Staat? Kunst?, die allesamt den Menschen bessern wollen, als er ist.
Wie sieht es aus mit der Menschenverbesserung?
Der Mensch hat eingebaut in seinem Hirnkastel den Bonus-Track von der Welt als Wille und Vorstellung. Wunderwerk und Teufelszeug zugleich: Die Kunst, Glaube, Vorstellung, Imagination. Im-magination ist Magie, ist Zauberei. “Irrational” und nicht “faktisch”: In der Kunst ersteht eine Welt, die es so gar nicht gibt! Wunderbar! Was bliebe Kunst, wäre die Welt gut an sich?
Auf alle Fälle muss man “Welt” und “Erde” auseinanderhalten. Die kranke Erde beschäftigt uns seit einiger Zeit mehr als die Welt. Wir Menschlein glauben, die Erde heilen zu können, doch: Werch ein Illtum! Also auch mit der Erdverbesserung hapert’s.
Kulturverbesserung? - Unsere Kultur ist ein zweischneidiges Schwert: sie nährt sich von Hass, Gier, Eitelkeit, Neid, Rache, Lust und Wollust, Machthaben-, Rechthaben-, Besitzhaben-wollen, aber nur, um diese Regungen zu denunzieren als schlecht. Eigentlich könnte man sich die Kultur ganz sparen, denn in dieser Weise ist sie ein Null-Summen-Spiel. - Wie banal ist das denn: Erst als das Theater zur moralischen Anstalt deklariert wurde vom deutschen Staat, ging’s mit den Subventionen nach oben. Leider ließen sich weder der erste noch der zweite Weltkrieg dort vermeiden, trotz Schiller und Brecht. Da bedarf es der Verbesserung der Kunst der Verbesserung der Musik!
Zumindest beschäftigt der Besuch einer Oper eine stattliche Anzahl Menschen für ein bis zwei Stunden in der Regel, manchmal sogar mehr. Und in diesen Stunden können diese Besucherinnen kein Unheil anrichten. Das nenne ich Weltverbesserung im Umweg. Daher ist Oper doch auch Weltverbesserung.
Doch bevor es soweit kommt, noch ein Gedanke, der darüber hinausgeht: Der gute, weil verbesserte Mensch wäre einer, der nie Position bezieht, nie sichtbar wird, nichts von Leidenschaften weiss.
Wir sind umgeben von guten Menschen, die aber alle unsichtbar sind, ich denke, man nennt sie “Engel”. Solche gibt es. Gute Engel.
Nie wurde einer gesehen, denn sie zeichnen sich durch ihre guten Werke aus, nicht durch ihre gute Erscheinung, was man daran erkennt, dass sie nicht nach der letzten Mode gekleidet sind. Warum Gutes geschieht, lässt sich faktisch nicht beweisen. Also, alle auf zur Unsichtbarkeit! Unter Begleitung von Musik, denn auch sie ist: unsichtbar.
Reprise, aber präzise: Es gibt keinen gefährlicheren Typ Mensch als den Weltverbesserer, der gesehen werden möchte!
Die Komposition widme ich dem Physiker und Erforscher des Kontinuums Gerhard Grössing in Erinnerung.
Thomas Cornelius Desi, Sommer 2020