Das Kongotribunal
Im Frühling 2019 besuchte ich zufällig eine Filmvorführung, die von einer kongolesischen Gesellschaft veranstaltet wurde. Gezeigt wurde Das Kongotribunal des Schweizer Dokumentarfilmers Milo Rau - die Verfilmung einer fiktiven Gerichtsverhandlung um Wirtschafts- und Umweltverbrechen der internationalen Minengesellschaften in der Demokratischen Republik Kongo. Fiktiv, aber besetzt mit echten kongolesischen Bauern, Ministern, Anwälten und einer weissen Geschworenenrunde, die sich alle selbst spielen sollten. Eine ambitionierte Idee, ein ungewöhnlicher Film.
Ich blieb im Anschluss an die Filmvorführung als einer der sehr wenigen weissen Gäste zur Diskussionsrunde. Die kongolesische Diaspora in Wien, stellte sich zu meiner Überraschung heraus, war sich einig in der Ablehnung des gutgemeinten, aber offenbar missverständlich gemachten Filmes.
In der Diskussion, die zunehmend lauter wurde, meisselten sich für mich - unwissend wie alle Nichtafrikaner - zwei grundlegende Erkenntnisse heraus.
Die Geschichte des Kongo ist seit seiner halbherzigen Befreiung 1960 aus dem Grauen der Kolonialzeit in der permanenten Destabilisierung durch ausländische Wirtschaftsinteressen und Einmischung des Westens, in Kriegen und Bürgerkriegen so komplex und von so paranoider Hintergründigkeit, dass man als Fremder kaum hinter die Oberfläche sieht.
Jede leichtfertige Schuldzuweisung greift daneben. Andererseits sind die Kongolesen es leid, von Weissen immer noch aus der Perspektive der Überlegenheit betrachtet zu werden, selbst wenn die Anteilnahme von Schuldgefühlen motiviert ist. Entwicklungshilfe gibt ohnehin nur, was auf andrer Seite wieder genommen wird - die innigste Beziehung zwischen dem Kongo und den Weissen ist ja unverändert die Ausbeutung.
Doch Kongolesen sind sehr stolze Menschen - lieber stolz und selbständig ein failed state als ewig Beute und Opfer und damit Geisel der Weissen.
Kaum einer der Darsteller im Kongotribunal hatte sich - wie das Konzept verlangte - wirklich selbst gespielt. Das wäre zu gefährlich gewesen, immerhin “spielten” auch Minister und andere mächtige Amtsträger auf der Anklagebank mit. Die kongolesesischen Akteure hatten sich statt dessen als Schauspieler verstanden, die dem europäischen Regisseur die (antikolonialen) Wünsche erfüllen, um einen guten Auftritt im Kino zu haben.
Deshalb begriff ich auch erst in der Diskussionsrunde, dass nur ein Bauer, der klein und ängstlich im Zeugenstand seine drei Sätze zu seinem vom Abwasser einer Mine vergifteten Feld gesagt hatte, im Glauben, vor einem echten Gericht zu stehen und da etwas zu bewirken, eine ehrliche und damit für ihn sehr gefährliche Aussage gemacht hatte.
Dieser Bauer liess mich nicht mehr los und ich beschloss, eine Geschichte zu erfinden, in der er ohne die Hilfe und Einmischung von Weissen sein Recht bekommt und die Natur, von der er lebt, zurück erhält. Entgegen des dramaturgischen Gemeinplatzes, dass die Komödie nur dazu da sei, den Status Quo zu zementieren, ist es eine Komödie geworden, auch aus dem Gefühl heraus, dass der Kongo bereits für genug Tragödien sein Gesicht hergehalten hat.
Afrikanische Krankheiten muss man mit afrikanischen Mitteln heilen. Kein Weisser, sondern ein traditioneller Heiler vermittelt zwischen zwei kongolesischen Paaren aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und macht selbst dabei auch seinen Gewinn. Eine Win-Win-Win-Situation sozusagen.
Des Dilemmas, trotz aller guter Absicht und ausgiebiger Recherche wieder nur einen europäischen Blick auf das ferne Land zu werfen, bin ich mir bewusst. Es ist aber - hoffe ich - ein Schritt in die richtige Richtung, diese Geschichte so zu erzählen, dass sie im Grunde auch anderswo spielen könnte.
Kristine Tornquist, Sommer 2020