Die Presse, 04.09.2020, Walter Weidringer
Putins Tote, die es nicht geben darf
Oper. "Ewiger Frieden" ist die erste von sieben Uraufführungen beim Festival zur "Verbesserung der Welt" im sirene Operntheater: Jubel für Tragikomisches zur Ukraine.
Alltag bei den Bestattern Schukow und Schukin im ukrainischen Donezk. Putin spricht im Fernsehen: "Russische Truppen in der Ukraine gibt es nicht." Jaja, der Präsident "hält eisern Frieden". Eine Lieferung trifft ein, für Anastasia Golubewna: Ihr Mann Sergej kehrt als "Cargo 200" zurück. So nennt man die Holzkisten, mit denen gefallene russische Soldaten in Zinksärgen (Öffnen verboten!) nach Hause geschickt werden. Wobei: Wer soll wo gefallen sein? Weil es offiziell keine Kriege gibt, kann es auch keine Toten geben. Für Angehörige also kein Grund zu trauern: alles ein Irrtum! Der Ehemann, Sohn oder Vater, er ist auf geheimer Mission. Nur wer die Fassade aufrechterhält, bekommt Geld vom Staat. Aber was ist dann mit der Leiche im Sarg?
Auch freie Musiktheatergruppen trotzen der Pandemie. Das unermüdliche, immer wunderbar ins Grosse planende "sirene Operntheater" von Kristine Tornquist und Jury Everhartz hat sich gleich die "Verbesserung der Welt" vorgenommen: So nennen sie jenes Festival, das noch bis Mitte November nicht weniger als sieben neue Opern präsentiert - im F23 Wien, dem Kulturzentrum in der alten Sargfabrik Atzgersdorf.
Verbindende Klammer sind die Werke der Barmherzigkeit aus dem Matthäusevangelium. Auch wenn der Begriff für Tornquistden Beigeschmack einer Gnade bekommen hat, anstatt menschenwürdige Behandlung auf der Basis von Recht und Pflicht auszudrücken. In den folgenden Werken kommen die Sorge für die Nackten, Durstigen, Fremden, Kranken, Hungrigen und Gefangenen aufs Tapet. Dabei werden Texte von Antonio Fian, Helga Utz, Thomas Arzt oder Tornquist selbst in Musik von Julia Purgina, Gerhard E. Winkler, Dieter Kaufmann oder Thomas Cornelius Desi gekleidet. Den Anfang machten aber die Librettistin Dora Lux und der Komponist Alexander Wagendristel mit "Ewiger Frieden".
Darin wird dem Umgang mit den Toten behandelt - auf tragikomische, leicht groteske Weise, die für Russland bestens passt. Tornquist hat als Regisseurin die stumme Rolle des Todes hinzuerfunden: Bärbel Strehlau gibt das tänzerische Faktotum im Bestattungsinstitut, in dem Robert Chionis und Evert Sooster als komische Käuze Schukow und Schukin salbadern, kichern - und es auch mit der Angst zu tun bekommen.
Wagendristels wendige, sich dem Text anschmiegende Musik spielt mit russischen Assoziationen vom Akkordeonklang bis zu Liedzitaten. Er hat auch Putins Sprachmelodie analysiert. Das Flexaton kringelt sich vor Lachen; klagende Streicher zeigen ohne Sentimentalität Mitgefühl für die junge Witwe (Tehmine Schaeffer); das Xylophon zuckt in einem Totentanz aus, wenn der tote Sergej (Gebhard Heegmann) wieder in die Kiste muss, nachdem er seine Story erzählt hat.
Lautmalerische Effekte und spannungsreich variierte rhythmische Muster sind beim Ensemble Reconsil unter Antanina Kalechyts in sorgsam-virtuosen Händen.