Strukturen im Mikro- und Makrokosmos
Ein Essay von Theresa Rank-Lüftinger
Das Universum, so wie wir es kennen - wenn wir davon ausgehen, dass das in der Wissenschaft gängig akzeptierte Modell des inflationären Urknalls standhält - entstand vor etwa 13,7 Milliarden Jahren aus einem Quantenvakuum heraus.
Dieser Theorie folgend hat sich der Kosmos, innerhalb eines winzigen Augenblicks nach dem Urknall mit Überlicht-geschwindigkeit enorm aufgebläht. Ganz kleine Fluktuationen des ursprünglichen Quantenvakuums wurden auseinander gezerrt und in der weiteren Expansion des Universums wuchsen auch die anfänglichen Dichteveränderungen. Aus diesen Fluktuationen entwickelten sich wenige Hundert Millionen Jahre nach dem Urknall großräumige Strukturen in Form netzartiger Filamente: die Geburtsstätten von Galaxienhaufen, Galaxien, Sternen und letztlich auch Planeten, wie unserer Erde.
Das Universum expandiert bis heute, und mithilfe von leistungsfähigen Computern und basierend auf nur wenigen Parametern kann man die Entwicklung des Universums ab kurz nach dem Urknall bis heute und weit in die Zukunft berechnen. Es entstehen wunderschöne Strukturen im sogenannten “Cosmic Web”, die durch moderne Beobachtungen bestätigt werden.
Besonders faszinierend finde ich persönlich, dass sich die Strukuren, die wir im Großen beobachten, im Mikrokosmos, bis hin zur submolekularen Ebene, zu wiederholen oder abzubilden scheinen. Wir finden riesige Leerräume, Superhaufen und Filamentstrukturen: Galaxien beherbergen Milliarden von Sternen, mehrere dieser Galaxien schliessen sich zu kugelförmigen Galaxienhaufen zusammen. Superhaufen werden schliesslich durch irreguläre Ansammlungen von Galaxien und Galaxienhaufen gebildet und sind durch sogenannte Filamente miteinander verbunden. Auch auf atomarer und subatomarer Ebene finden wir riesige Leerräume, und mich persönlich - wahrscheinlich bin ich nicht die Einzige – erinnern die Strukturen, die im “Cosmic Web” sichtbar sind, ganz frappant an Gewebestrukturen oder verschiedenartigste Netzwerke, die wir auch in der Natur um uns beobachten können.
Speziell das Phänomen, dass wir riesige Leerräume, sowohl in der atomaren Welt wie auch in der großräumigen Struktur des Universums beobachten können, das Konzept der Leere (des “Nichts”), das wohl auch in der Kabbala seine Entsprechung findet, ist faszinierend. Um die Größenverhältnisse anschaulicher zu machen: Edwin Hubble wird folgendes Gedankenbild zugeschrieben:
Wenn die Materie gleichmäßig im gesamten Raum verteilt wäre, würde auf ein Volumen vom Tausendfachen der Erde gerade mal ein Gramm dieser Materie entfallen.
Ein analoger Vergleich für die atomare Welt: wenn man die Leerräume aus den Atomen entfernen könnte, könnte man alle Menschen der Erde in einem Fußball unterbringen. 1
Zu den wichtigsten Erkenntnissen in der Kosmologie der letzten Jahrzehnte zählt, dass das Universum, besonders auch aus physikalischer Sicht, eine Einheit bildet. Wir können die Entstehung und Weiterentwicklung des Kosmos im großskaligen Bereich des Makrokosmos mit seinen riesigen Leeräumen nicht verstehen, ohne ein tieferes Verständnis der elementarsten Bausteine der Materie, der subatomaren Welt (des Mikrokosmos), zu haben. Und umgekehrt gilt wohl auch, dass wir letztlich keine Einzelphänomene wirklich verstehen können, wenn sich uns nicht auch die ganz großen Zusammenhänge erschliessen.
1 Helbig, H. (2018). Mikrokosmos und Makrokosmos als Einheit und Gegensatz. In: Welträtsel aus Sicht der modernen Wissenschaften. Springer, Berlin, Heidelberg
Dr. Theresa Rank-Lüftinger ist Project Scientist der Ariel Weltraummission an der European Space Agency (ESA) und für die Wissenschaft und das wissenschaftliche Management dieser Mission zur Erforschung von Exoplaneten (Planeten um andere Sterne) innerhalb der ESA verantwortlich.