Kurier, 25.11.2023, Peter Jarolin † (pdf)
Das Wunderland ist noch lange nicht abgebrannt. „Alice“nach Lewis Carroll im Odeon
Kann man aus den beiden (nur scheinbaren) Kinderbüchern „Alice im Wunderland“ sowie „Alice hinter den Spiegeln“ von Lewis Carroll (1832– 1898) ein abendfüllendes Musiktheater machen? Ja, man kann. Solange man einen Komponisten wie Kurt Schwertsik hat, der diesen Stoffen seine betörend bescheidene, dabei unglaublich witzige und feingliedrige Musik schenkt.
Einfach „Alice“ heißt also das neue Werk des 88-jährigen österreichischen Komponisten, das noch bis inklusive (nicht täglich) 31. Dezember im Wiener Odeon zu erleben ist. Als Koproduktion zwischen dem sirene Operntheater und dem Serapions Ensemble wurde das Werk im Rahmen von Wien Modern uraufgeführt. Und es zeigt einmal mehr die musikalische Meisterschaft von Schwertsik. Denn dieser genießt es förmlich, mit dem links vom Publikum platzierten, guten „Roten Orchester“ unter der Leitung von François-Pierre Descamps seine musikalischen Scherze zu treiben.
Als „phantastische Revue“ bezeichnen Schwertsik und Librettistin Kristine Tornquist – sie führte gemeinsam mit Max Kaufmann auch Regie – diese Kreation, die sich in etwa 95 Minuten durch Carrolls Universum bewegt. Das trifft es sehr gut. Und so begegnet Alice (Ana Grigalashvili) einigen der in den Büchern vorkommenden Figuren. Da gibt es das weiße Kaninchen, die Grinsekatze, die Herzkönigin, den Hutmacher und viele mehr, die in kurzen Szenen auftauchen, die auf der Scheiben-Bühne und teils in Papierkostümen (beides von Mirjam Mercedes Salzer) ihre Auftritte haben. Die Farben Weiß und Schwarz dominieren dabei die Optik.
Gesungen und gesprochen wird in englischer Sprache (es gibt deutsche Übertitel), wobei Tornquist und Kaufmann vor allem auf Reduktion setzen. Wer ein großes Ausstattungstheater erwartet, wird enttäuscht. Hier ist die eigene Fantasie gefragt. Das funktioniert sehr gut, hat aber einen Nachteil. Wer keine Ahnung vom Inhalt der Buchklassiker hat, wird wohl mit vielen Fragen zurückgelassen. Wen hat Alice da gerade getroffen? Was haben die schwarzen Schatten oder weißen Tücher zu bedeuten?
Man darf also auch Rätsel lösen, wie es beim Serapionstheater oft der Fall ist. Macht nichts. Geben doch Romana Amerling, Solmaaz Adeli, Armin Gramer, Gernot Heinrich, Andreas Jankowitsch und Steven Scheschareg vokal alles, das Serapions Ensemble trägt diese Alice auf Händen.
KURIER-Wertung: ★★★★★