Miameide
Mi(m)ameide ist der Weltenbaum, der in der Lieder-Edda erwähnt ist, einer mittelalterlichen nordischen Mythensammlung namenloser Autoren. Der Mimameid kann dem altnordischen Yggdrasil gleichgesetzt werden, ein Baum des Schicksals, so wie auch der Yggdrasil wahrscheinlich eine alte Eibe (nicht Esche, das scheint ein Übersetzungsfehler zu sein, der sich festgesetzt hat).
Unter diesem Baum sitzen die drei Nornen. Eine sieht in die Vergangenheit, eine in die Zukunft. Die dritte, für die Gegenwart zuständig, wacht über das Gebären, das Sein und Werden. Das ist die Frau Holle
Von diesen verschwundenen, vergessenen Mythen ist der Kinderreim Miameide übriggeblieben.
Miameide – steht auf der Heide –
Hat ein grün’s Röcklein an.
Sitzen drei schöne Jungfern daran.
Die eine schaut nach vorne,
die andre in den Wind.
Das Weibsbild an dem Borne
hat viele, viele Kind.
Dieses Volkslied beschreibt Miameide als eine Frau, insofern davon die Rede ist, daß sie einen Rock trägt, läßt aber auch schließen, daß es sich um einen Baum handelt, da der Rock grün ist und Miameide auf der Weide steht, genau wie ein Baum. Anscheinend hiervon getrennt werden drei Jungfern beschrieben, die unter diesem Baum sitzen. Und in den beiden letzten Zeilen ist dann die Rede von einem Weibsbild an einem Brunnen, das viele, viele Kinder hat, wobei es sich um die besagte Miameide oder die mittlere Norne (Gegenwart, Werden, Verðandi) zu handeln scheint – oder vielleicht beides? Die Zeit ist selbstverständlich ein wichtiger Verknüpfungspunkt für die Lebenskreisläufe von Tod und Wiedergeburt, sodass die drei Nornen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, als Gesichtspunkte einer mütterlichen Ganzheit erscheinen. Sie spinnen und weben unser Schicksal in den Urtiefen der Unterwelt, wo die Wurzeln des Weltenbaums in das Wasser einer nicht versiegenden Quelle reichen, um der Welt Fruchtbarkeit und Leben zu geben. Insofern es um die Wiederverkörperung von Ahnenseelen geht, mag der Weltenbaum auf dem Grabhügel als Gegenstück zum weiblichen Schoß gesehen werden, wie bereits von Anderen erläutert wurde. Auch der eddische Text spricht dem Weltenbaum neun Äste zu, gemahnend an die neun Monate der Schwangerschaft, und ein gewöhnlicher Baum ist Mimameid deshalb nicht, weil ihm weder Brand noch Beil Schaden zufügen können. Dadurch zeigt der Text an, daß es nicht um einen körperlichen Gegenstand geht, sondern ein Sinnbild, den Grundsatz des immer wieder neu geborenen Lebens.