Wie kommt der Geist in das Ding?

Lebendige Kunst und künstliches Leben

Kann eine Maschine sich selbst begreifen? Kann in ihr Geist entstehen? Oder wenigstens ein Gespenst? Dora Lux

Der künstliche Menschdie Puppe, die Figur, der Android – verrät drei Träume des Menschen: Schöpfermacht, Vollkommenheit, Unsterblichkeit.

Die ältesten Figurinen zeigen Mutterfiguren oder Göttinnen. Vermutlich dienten sie magischen Zwecken, als Fetische der Fruchtbarkeit, als Stellvertreter des göttlichen Prinzips oder dazu, einen Verstorbenen unsterblich zu halten. Die Puppen des Altertums sind belebt von Imagination, ihre Aura und Kraft liegt in der Phantasie der Puppenschöpfer und der Betrachter. Schon zwei Punkte in einem Kreis reichen aus, um die Illusion eines Gesichtes zu schaffen, ein einfach beschnitztes Hölzchen oder Knöchelchen markieren bereits eine Gestalt. Ebenso werden Spielpuppen von der kindlichen Vorstellungskraft animiert und Theaterpuppen von der Bereitschaft des Publikums, in leblose Objekte den Funken des Lebens hineinzusehen.

Im 18. Jahrhundert war die Herstellung einer mechanischen Tänzerin dem Ziel gewidmet, eine unermüdliche, vollkommene, willenlos gehorsame Verbesserung eines natürlichen Modells zu erhalten. Die barocken Automaten waren Essenzen eines Ideals, bewegte Stillleben. Die schwerelose Piroutte der Tänzerin, das automatische Orchester, das eine Festmusik zu spielen verstand, das Flügelschlagen einer flötenden Nachtigall, die watschelnde Ente aus Silber - totes Leben, das nach Schaltplan ablief, benötigte gewichtige und komplizierte Mechanik und Federn als Antrieb. Ganz im Sinne der Aufklärung ersetzte technische Schöpferkraft Magie und Phantasie (und wirkten damit auf das Menschenbild zurück: Die Maschine war das Ideal, der Mensch fehlerhaft.)

Der Sage um den Bildhauer Pygmalion folgend gilt es, die leblosen Artefakte mit dem Funken des Lebens zu befruchten. Wo Sein und Schein sich so nahe kommen, erscheinen zwar die Puppen lebendig, der Mensch selbst aber wie ein Automat. Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen, graute es Georg Büchner, nichts, nichts wir selbst.

Ein Jahrhundert später lenkte die schwarze Romantik den Blick auf die Verwirrung der Wahrnehmung angesichts dieser perfekten Schöpfungen.

Der japanische Robotiker Masahiro Mori etablierte in den 70er Jahren den Begriff Uncanny Valley: Zur Faszination gesellt sich seither der Schauder, wenn das Künstliche sich dem Natürlichen annähert – bis dahin, wo ein perfekter Androide als ebenbürtig betrachtet und für lebendig gehalten wird. Nicht nur die Körper der Menschen werden in Artefakten nachgeahmt. Auch ihre Stimme, ihre Sinne und zuletzt sogar ihr Geist sollen künstlich nachgeschaffen werden.

In der Automatentheorie werden Konstruktionen wie der Flötenspieler von Vaucanson endliche Automaten oder auch Zustandsmaschinen genannt, weil die Menge der Zustände, die ein solcher Automat annehmen kann, endlich ist, seine Möglichkeiten also begrenzt sind. In der modernen Robotik ist aufgrund der Komplexität der Datenverarbeitung die Endlichkeit nicht mehr erkennbar. Die Selbsttäuschung gelingt. Trotzdem sind die technischen Homunkuli von der Komplexität organischen Lebens noch weit entfernt. Noch hat keine KI den Turing-Test bestanden. Die Stossrichtung von Forschung und Entwicklung ist aber klar: die künstlichen Doppelgänger sollen ihre Schöpfer irgendwann nicht mehr nur nachäffen, sondern ihnen ebenbürtig oder sogar überlegen sein. In den Rechenzentrum von KI-Projekten wie Gemini, OpenAI oder I AM AI läuft der Nachahmungstrieb auf elektronischen Hochtouren.

Vielleicht fehlen den aktuellen Androiden aber weniger die Denkleistung oder noch bessere Feinmotorik, als vielmehr eine Psyche, die ihnen jene menschlichen Schwächen wie Zweifel, Ungehorsam, Irrationalität verleiht, die wir Menschen in Wahrheit für unsre Stärken halten? Stanislaw Lem definiert Intelligenz so: Wer oder was Intelligenz sein eigen nennt, muss die eigene Programmierung durch Willenskraft aufheben oder umschreiben können. Und der Kybernetiker Heinz von Foerster nannte das Bewusstsein einen Bruch der inneren neuronalen Routinen. Bewusstsein entstünde dann im Moment ihrer Störung, wenn sie aus dem Takt geraten, wenn Funktionen einander widersprechen und umorganisiert werden müssen. Der Unterschied zwischen Tieren, Menschen und Maschinen wäre nur graduell, wenn er nach Vielzahl und Bewältigungstrategie der Störungen bemessen würde.

Wann werden die Puppen also endlich wirklich lebendig?

Leben wird über die Fähigkeit zu Selbstherstellung, Selbsterhaltung und Fortpflanzungsfähigkeit definiert. Sobald sich Puppen also von Licht oder Sand ernähren, sich mittels 3D-Druckern selbst reparieren, ihre Ziele selbst programmieren können, die Fabriken, in denen sie hergestellt werden, selbst steuern und sich miteinander vernetzen können, ist das Ziel der Puppenschöpfung erreicht.

Im Dunkeln reicht allerdings immer noch eine Vogelscheuche und ein wenig Phantasie, um der Materie Geist zu verleihen.

Kristine Tornquist | Puppengedicht von Kristine Tornquist | Josef August Lux, Das Marionettentheater (1905)