Die Presse, 04.11.2024, Jens F. Laurson (pdf)
Im Kampf gegen die Maschine verliert der Mensch – dafür hat er Spaß
Das sirene Operntheater macht in „Die Puppe“ leblose Objekte zum lebendigen Zentrum des Geschehens – animiert von oft faszinierender Begleitung.
Puppen standen im Shabby-Chic des Grand Etablissement Gschwandner (vulgo „Reaktor“) auf der Bühne. Animiert vom Tanzensemble Serapions und, begleitet von Christof Dienz’ Musik, die das Ensemble PHACE aus einer Ecke des Raumes strich, tutete, zischte, flüsterte, bildete sie den Kern des „Operoid“ von sirene Operntheater. Es geht ein wenig pseudo-philosophisch zu, im schweigenden, sich ziehenden Prolog, aus dem schließlich ein, zwei Akkorde aufsteigen. Aber dann geht’s los. Akkorde? Ja. Freilich, ein bisschen Mikrotonalität ist eingemischt, Theremin-artig, man ist ja bei Wien Modern. Aber an sich bietet Dienz’ Musik adrette bis faszinierende Begleitung, an die sich das Ohr halten kann und zu der Tanzen Sinn macht.
Im Hintergrund ein großer orange Puppenkopf, der manchmal blinzelt oder Tänzer ausspuckt oder verschluckt … und dann werden Puppen vorgestellt, in allen Formen. Faux-steinzeitliche, aus groben Kissen zusammengestellt: Ein prähistorisches Lebkuchenmännchen. Die klassische, bemutterte Kinderpuppe. Drei Perücken schweben an, zu denen trance-artige Musik in andere Reiche entführen. Die Sexpuppe tritt in Erscheinung und wird lustvoll zerknüllt zur Musik die anschwellt, abschwellt. (Die Posaunen aus Lady Macbeth von Mzensk lassen grüßen!) Die Schießschablone in Menschenform zu der sich, nun wirklich, die Posaune mit Nachklang meldet. Es wird derweil nur mit Darts geschossen. Erste-Hilfe Reanimationspuppen. Vielleicht haben sie überlebt. Zwischendurch werden mal Puppengebeine aufgekehrt. Eine elektrische Musikpuppe, ein Trommelautomat – ein bisschen wie Johann Nepomuk Maelzels mechanischer Trompeter – wird von Gerwich Rozmyslowski, Typ verrückter Erfinder, so zum Schlagzeugspielen gebracht bis das am Schluss alles Umfällt vor Erschöpfung: ein witziger, spritziger Höhepunkt im Geschehen.
Gesichtslose Puppen vom Typ Olympia (Hoffmanns Erzählungen) erscheinen und tanzen im Schlaf der – im weitesten Sinne – Protagonistin Ana Grigalashvili. Zum Spazieren ausgeführte Marionettenbeine geben einen Blick – sozusagen über – die Kulissen. Gegen Ende der fast 90 Minuten textfreier Vorführung zieht sich die Sache ein wenig, gerade im Mienenspiel der Projektion von KI-kreierten (?) Gesichtern auf unseren großen Puppenkopf. Dafür gibt’s zum Schluss Schachspiel der Zwillinge: Mensch gegen Maschine. Die Maschine gewinnt, aber der Mensch hat Spaß; die Maschine bleibt alleine zurück.
Ergibt das Ganze Sinn? Man stellt sich die Frage nicht wirklich. Dazu rockt der wilde Soundtrack von Dienz, der hier schon längst keinem Genre mehr alleine angehört, schon gar nicht dem klassischen.