Puppen - eine alliterierte Annäherung von Martina Pippal

ARTEFAKT

Die Puppe ist ein Artefakt. Ob aus Fetzen, alten Strümpfen (für Gesicht, Hände, Füße), Wolle und Knöpfen (für Haar, Augen) von einer Oma (oder wem immer) grob zusammen „gewurschtelt“ oder aber in Megakonzernen designt und aus synthetischem Material in Riesenfabriken für den globalen Vertrieb produziert: Eines kann die Puppe nicht: sich vermehren. Jede Puppe wird gemacht. Ob einzeln oder en masse.

Im Deutschen sowie in einer Reihe anderer Sprachen kommt ihre Bezeichnung von „pupa“, was im Lateinischen „kleines Mädchen“ bedeutet. Seit dem Altertum sehen Puppen aus wie Mädchen oder junge Frauen, und sie werden überwiegend von Mädchen genutzt.

ABER

Mit größtem Vergnügen erinnere ich mich an eine Familie (dem Akzent nach zu schließen: mit türkischem Migrationshintergrund), der ich vor einigen Jahren in der U6 (für alle Nicht-Wiener*innen: die U-Bahnlinie, deren Kernstrecke entlang des sogenannten Gürtels verläuft) begegnete: Ein etwa dreijähriger Bub saß auf einem der Einzelsitze, die in den Wagons unter anderem für schwangere Frauen und Menschen mit Kleinkindern reserviert sind. Im pinken, vor ihm stehenden Puppenbuggy lag eine Babypuppe in rosarotem Strampler. Ich musste schmunzeln. Fand Augenkontakt mit den Eltern, die mein Lächeln erwiderten und völlig entspannt meinten, ihr Sohn habe eben gern Puppen. Wir halten fest: Puppen sind nicht nur für Mädchen da.

AUSSERDEM

Puppen müssen auch nicht zwangsweise die Form von Mädchen haben. Bleiben wir in Wien: Man denke bloß an den Wurschtel (hochsprachlich „Wurstel“), der dem männlichen Gender folgt. Die komische, weil tollpatschig-naive Figur des Hans Wurst wurde während des frühen 18. Jahrhunderts aus dem deutschen Stehgreiftheater nach Wien ins Bühnen- und Puppentheater übernommen und legte hier später eine steile Karriere im Wiener „Volksprater“ hin.

Zur Erinnerung: Kaiser Joseph II. (reg. 1765-90) hatte das weitläufige kaiserliche Jagdgebiet am rechten Donauufer für das Volk geöffnet. Vornehm lateinisch hieß die Aulandschaft pratum (n., sing.) für „Wiese“. Auf dem kleinen stadtseitigen Zipfel der „Wiese“ schuf sich das Volk einen Vergnügungsdistrikt: Fahrgeschäfte, Buden, Hutschen, Karussells, Attraktionen aller Art bildeten hier Wurstels Biotop. Die zwei prata (n, pl.) entwickelten sich auseinander und wurden (im Deutschen, mit männlichem Geschlecht versehen) zum „Grünen Prater“ einerseits, zum „Volks-“ resp. „Wurs(ch)tel-Prater“ andererseits.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten nur noch die Kinder Wurstels Publikum: 1950 fand dieser, nun landläufig „Kasperl“ genannt, in der „Wiener Urania“ eine neue und nun feste Indoor-Heimat. Ab 1953 trat er im Radio auf, ab 1957 im Fernsehen. Schwarz-Weiß, versteht sich. In privilegierten Haushalten gab/gibt es das maßstabsreduzierte Equipment für das Handpuppentheater. Für Kasperl, Pezi, König, Prinzessin und Fafners Diminutiv: das Krokodil.

Wurstel/Kasperl hat enge männliche Verwandte: den Harlekin aus der Commedia dell’ arte und den Clown aus der Welt des Zirkus. Sie alle gibt es als Handpuppen und Marionetten sowie als autonome Puppen; zum Spielen oder einfach zum Liebhaben. Wenn die kindliche Zuneigung zu letzteren längst genauso verblasst ist wie deren Kasper- und Harlekin- und Clownskostüm, machen die Herren auf dem Sofa noch immer gute Figur.

AFFEKT

Bringen wir es auf den Punkt: Eine Beziehung zur Puppe ist die affektive. Die Puppe sei eine Projektionsfläche, heißt es. Angesichts ihrer Dreidimensionalität ist sie aber ein Projektionskörper. Umso besser! Auf einem Körper (und in ihm) gibt es mehr Platz! Platz und Raum für unsere Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen; keineswegs nur für jene des Kindes.

Die Puppe kann die (vielleicht nicht existente, ersehnte) ältere Schwester vertreten, die uns gut zuspricht. Die vernünftiger ist als wir selbst. Ruhiger. Die während des Einschlafens an unserer Seite quasi wach bleibt. Oder aber, die uns mitten in der Nacht „zuredet“, nicht dem Grübeln zu verfallen (eher ein Problem von Erwachsenen), sondern wieder einzuschlafen. Das heißt: Wenn die Puppe das eigene Erwachsenen-Ich oder das Eltern-Ich „triggert“, „vermag“ sie, unsere von Unsicherheiten/Ängsten destabilisierte Momentanverfassung wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Durch die Puppe meldet sich aber auch das Kinder-Ich zu Wort: Die Puppe kann ungestraft jammern, raunzen, schmollen und dadurch elementare Bedürfnisse nach Essen, Zuwendung, Trost, Schlaf etc. „artikulieren“. Das heißt: Die Puppenmutter (oder der Ausnahme-Puppenvater) kann die eigenen Nöte in die Puppe auslagern und diese via Puppe aktiv annehmen.

Wenn es Mädchen sind, die sich um ihre (Baby-)Puppe liebevoll kümmern, mag man das als frühe, ja allzu frühe Sozialisierung diffamieren; also kritisieren, Mädchen würden animiert, sich schon im Kleinstkindalter in die von der konservativen Gesellschaft ihnen zugedachte Rolle einzuüben. Aber ist nicht Lieben der natürliche Zustand des Menschen, unabhängig vom Alter? Und unabhängig vom Geschlecht? Braucht dieses natürlichste aller Gefühle nicht ein Du? Ein Gegenüber? Und ist es nicht die höchste Anerkennung der erlebten Liebe, der erfahrenen Fürsorge, wenn ein Kind diese Zuwendung an das noch kleinere, noch hilflosere „Wesen“ weitergibt? Von daher ist zu hoffen, ja zu fordern, dass auch Buben animiert werden, dieses fürsorgliche Verhalten kennenzulernen. Bottom line: Es sollte grundsätzlich nicht um das Einüben in Rollen gehen, sondern vielmehr darum, Kindern die Erfahrung von Empathie zu ermöglichen.

Die Auslagerung der eigenen Nöte in die Puppe funktioniert übrigens auch bei Erwachsenen, etwa in Paarbeziehungen. Highly recommended! Damit das bei Erwachsenen klappt, müssen freilich beide (respektive alle Beteiligten) bereit sein, sich auf das Spiel einzulassen. Und die Voraussetzung dafür wiederum ist, dass diese ihr phantasievolles Kinder-Ich beim Erwachsenwerden nicht vollständig „in der Garderobe abgegeben“ haben.
Auch in der Interaktion mit dem Therapierenden kann die Puppe zum Medium werden: Sie „vermag“ Kinder wie traumatisierte Erwachsene zum Sprechen zu bringen. In der Ego-State-Therapie kann sie „helfen“, bis dato ungenutzte Ressourcen zu aktivieren.

Dass eine Puppe auch Erwachsenen in existentiellen Notsituationen „hilft“, wurde mir bewusst, als ich vor einigen Jahren eine Freundin, die austherapiert in der mustergültigen Palliativstation des Wiener Allgemeinen Krankenhauses gepflegt wurde, besuchte. Einen Patienten hatten die Pflegerinnen, da er eben Besuch hatte, in seinem Krankenbett auf den Gang hinausgeschoben; vielleicht, um den Zimmernachbarn nicht zu stören. Der Besuchte war ein etwa fünfzigjähriger Mann mit dem Aussehen eines Punkers; ich erinnere mich an zahlreiche Tattoos. An seinem Kopfende saß eine Puppe.

AKTION

Mit der Puppe wird etwas gemacht. Nur so wird das dreidimensionale, mehr oder minder anthropomorphe, lebensgroße oder auch kleinere, steife oder bewegbare, harte oder weiche Objekt zur Puppe. Andernfalls ist es religiöse Kultfigur, Kunst (Skulptur, Plastik), Nippes oder sonst was. Bei Kindern nennt man die Interaktion zwischen Mensch und Puppe Spielen. Puppen werden „gefüttert“ und gekost, auch einmal gescholten, aus- und angezogen, gekämmt und geschmückt, überall herumgeschleppt und ins Bett mitgenommen. Wichtig ist dabei: Puppen haben einen Namen. Und sie haben für die/den mit ihnen Umgehenden eine Identität. Diese Art des Spiels braucht kein Publikum.

Anders: das Marionettentheater, das Handpuppentheater etc., wo die Figuren durch die Puppenspieler*innen temporär für ein Publikum „lebendig“ werden. Die Illusion entsteht, weil das Publikum die Spieler*innen nicht sieht.

Eine Sonderform ist das Figurentheater (z. B.: Handpuppentheater), bei dem die Spieler*innen – eventuell schwarz gekleidet – auf der Bühne präsent sind. Anders formuliert: bei dem die Spielenden die Puppen auf die Bühne mitnehmen. Die Spieler*innen können hinter die – oft lebensgroße – Puppe zurück-, aber auch – eventuell kostümiert – mit ihr in Dialog treten. In Wien entwickelten Nikolaus Habjan sowie Manuela Linshalm und das gesamte Team des Schubert Theaters das Figurentheater zu einer eigenen, sehr spezifischen Kunstform, die sich – mittlerweile weit über die Stadt- und Landesgrenzen – mit anderen Theater- und Performancestrategien vernetzt.

Manche Traditionsstränge reichen bei der „aktiven“ Puppe unerwartet weit zurück. Um im europäischen Kontext zu bleiben: Selbst im theaterlosen Mittelalter wurden dreidimensionale Bildwerke performativ eingesetzt. Möglich war das allerdings nur im Rahmen der christlichen Liturgie: Mönche spielten schon im 9. Jahrhundert das Ostergeschehen nach. Das praktisch unerreichbare Grab Christi in Jerusalem wurde in zahlreichen europäischen Kirchen im Kleinformat als „Heiliges Grab“ nachgebaut. Vielerorts war es üblich, am Karfreitag in das Heilige Grab eine Skulptur in Form des Leichnams Jesu zu legen. Ihr Herausnehmen in der Osternacht symbolisierte die Auferstehung. Man stelle sich als Kontext vor: Dunkelheit, Kerzen, Weihrauch, Gesang.

Kurios mutet eine – etwa 1525 geschnitzte – Christusfigur (heute: Salzburger Dommuseum) an, deren Arme schwenkbar sind. Mit ausgebreiteten Armen kann sie am Kreuz hängen. Am Karfreitag aber wurde der Kruzifixus vom Kreuz abgenommen, seine Arme abgeklappt und der Leichnam mit seinen nun an den Körper angelegten Armen in das Heilige Grab gesenkt. Man spricht diesbezüglich vom „handelnden Bildwerk“; tatsächlich wird Handlung freilich an ihm vollzogen.

Das trifft auch dort zu, wo in Kirchen die Himmelfahrt Christi visualisiert wurde, indem man eine Christusfigur während der Messe zu Christi Himmelfahrt durch ein Loch im Kirchengewölbe, durch das sogenannte „Himmelloch“, in den Dachboden zog.

Eine Erzengel-Gabriel-Figur konnte – an Seilen befestigt – quer durch das Kirchenschiff auf die Skulptur der Jungfrau Maria „zuschweben“, quasi um ihr zu verkündigen, dass diese den Messias empfangen habe. Darüber berichten schriftliche Quellen aus der italienischen Renaissance.

Die Performances waren dabei keineswegs auf den Kircheninnenraum beschränkt. Am Palmsonntag „ritt“/„reitet“ mancherorts Christus auf dem Palmesel (eigentlich einer Eselin; Mt 21,2) durch den Ort. Die entsprechende Skulptur wurde/wird getragen oder gezogen. Schon die 1055 datierbare Christus-Palmesel-Skulptur aus Steinen (Kanton Schwyz, heute im Landesmuseum Zürich) hat dafür Räder.

Ein besonderes Kuriosum ist der frühgotische Palmesel der Pfarrkirche St. Nikola in Hall (Tirol) aus dem 1. Viertel des 15. Jahrhunderts. Bis heute wird er jedes Jahr am Palmsonntag geschmückt in der Prozession durch die Stadt mitgeführt. Was heute nicht mehr gemacht wird, ist, dass der hole Innenraum des Esels mit Broten gefüllt wird, die während der Prozession herausfallen. Zum Gaudium der Bevölkerung „schiss“ der Esel also Kleingebäck.

Obwohl die Verlebendigungsmechanismen bei diesen „handelnden Bildwerken“ genau jenen im Theater entsprechen (man denke bloß an die Deus ex machina-Figuren, die im barocken Kulissentheater aus dem Schnürboden „herabschweben“, oder an die Hexe, die in der Wiener Volksoper in Humperdincks „Hänsel und Gretel“ durch den Zuschauerraum saust), wird man zögern, im liturgischen Kontext von Puppen zu sprechen.

Leichter fällt das, wenn das Format schrumpft: Im Metropolitan Museum, New York, wird ein – aus der Sammlung Blumka stammendes – feinst ausgeführtes Bettchen für eine kleine (nicht erhaltene) Jesusfigur gezeigt, das im 15. Jahrhundert in den südlichen Niederlanden angefertigt wurde. Es waren vor allem Nonnen, die solches „Spielzeug“ seit dem 14. Jahrhundert nutzten, um ihre mystisch-liebevolle Liebesbeziehung zu Christus zu intensivieren; freilich diente der intime Umgang mit der Jesus-Wickelkind-Puppe, das Herausnehmen aus ihrem Bettchen, das Halten und Kosen etc., auch zur Sublimierung des Kinderwunsches.

AKINESE

Eine besondere Form der Handlung an resp. mit Puppen ist jene, bei der gerade die Passivität der Puppe deren eigentliche Aufgabe ist. Das trifft etwa auf alle Dummys zu. Etwa jene, die in Autocrashtests eingesetzt werden, um die Stabilität von Karosserien oder die Funktionsweise von Airbags zu testen. Gleiches gilt für alle Wiederbelebungspuppen, an denen Beatmung und Herzmassage geübt wird. Diese Funktionspuppen gibt es in Form von Erwachsenen oder auch von Babys; letzteres beispielsweise im Hinblick auf den plötzlichen Kindstod. Übungspuppen werden im Bereich der Pflegwissenschaften eingesetzt, wo es das Heben von Patient*innen etc. zu trainieren gilt. Präsumtiv sind auch weibliche Sexpuppen zu einem passiven Dasein verurteilt.

Eine besondere Form der passiven Puppen sind die Wurfpuppen, die zum spielenden Herumwerfen und Fallenlassen gedacht sind. Sie wurden 1923 von der Kunsthandwerkerin Alma Siedhoff-Buscher am Bauhaus entwickelt. Man könnte sagen: Das expressionistische Kind darf die Puppe nicht nur aus dem Kinderwagen werfen, sondern soll das sogar tun. Bei solchen pädagogisch konfigurierten Puppen wäre die Einfühlung in die „Gefühle“ der Puppe völlig fehl am Platz! In Gummi-Quietschpuppen könnte man immerhin hineinphantasieren, sie könnten ihren Schmerz, wenn man sie zu stark quetscht, lauthals äußern.

ANIMISMUS

Ein – in welcher Form immer – emotionales Verhältnis zur Puppe geht indes davon aus, dass diese ein beseeltes Wesen sei. Das Wissen, dass eine Puppe letztlich nur ein gefertigtes Objekt ist, steht dieser Sichtweise nicht unbedingt im Wege. Die Grenze zwischen beseelter und unbeseelter Natur war bis zur Aufklärung ja ohnedies offen, und für Kinder ist sie nach wie vor passierbar. (Und mittlerweile erweist sich dieses Verhältnis ohnedies schon wieder als weit komplizierter als gedacht …).

Allgemein bekannt sind die Voodoo-Puppen, die einem bestimmten Menschen nachgebildet sind oder mit seinem Foto beklebt werden, um daran stellvertretend einen Schadenzauber zu wirken (es kann allerdings auch um Heilung gehen). Ursprünglich von Priestern in Haiti verwendet, sind Voodoo-Puppen längst weltweit im Mainstream angekommen. Für unsere Zeit typisch ist, dass man die Voodoo-Puppen nicht einmal mehr selbst zu basteln braucht, sondern dass sie massenweise im Netz zum Kauf angeboten werden.

Liebenswerter sind jene Sorgenpüppchen, die mit der indigenen Bevölkerung Amerikas in Verbindung gebracht werden: Auch sie kann man mittlerweile in Schächtelchen oder Säckchen (auch online) kaufen. Gedacht ist, dass man abends pro Sorge ein Püppchen aus dem Schächtelchen oder Säckchen nimmt, das dann in der Nacht selbständig an der Behebung des Problems arbeiten kann.

Das mag man als Magie aus fernen Ländern und Kulturen abtun. Aber auch unsere, so genannte abendländische Kultur steht auf magischem Boden. Antike griechische und römische Quellen sprechen von Wollpuppen, die mit Nadeln durchbohrt, Wachspuppen die verbrannt oder im Wasser versenkt wurden, von einer Teigpuppe, die in eine Grube geworfen, einer Tonpuppe, die animiert oder von einer Holzpuppe, die zum Opfer dargebracht wurde. Für gefesselte und mit Nadeln durchbohrte Figürchen gibt es auch archäologische Belege.

Davor hatte man schon in Babylonien die Hinrichtung von Personen in effigie praktiziert. In Pharaonischer Zeit wurden in Ägypten Wachs- oder Holzpuppen des Feindes öffentlich verbrannt; eine Tradition, die nach wie vor – auch in unserem ach, so kultivierten Europa – lebendig ist. Dabei nimmt der Mob nicht nur ungeliebte Politiker ins Visier.

AUTOMAT UND ANDROID

Einen speziellen Reiz haben stets jene Puppen, die scheinbar etwas aus sich heraus selbst tun. Ein Vorläufer dessen ist der sog. Püsterich im Kunsthistorischen Museum, Wien: Wahrscheinlich in Oberitalien, in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts gegossen, hat die kleine Bronzefigur die Form einer hockenden Frau. Über eine Öffnung im Nacken mit Wasser gefüllt und in die Glut gestellt, „pustete“ die Frau den sich bildenden Dampf durch Mund und Nase aus. Wahrscheinlich pfiff sie, sobald das Wasser in ihrem Inneren siedete, wie wir das von Teekesseln kennen. Die Nacktheit der Frau mag auf antike Vorbilder – vielleicht aus dem Kontext der Römischen Thermen – anspielen.

Automaten von sagenhaftem Raffinement wurden im Manierismus gebaut. Im Rahmen der Uhrenherstellung waren mittlerweile hochpräzise Mechanismen entwickelt worden. Dem Kammeruhrmacher Kaiser Karls V., Juanelo Torriano (nach 1500 – 1585), wird die sog. Cisterspielerin (Kunsthistorisches Museum, Wien) zugeschrieben. Die nur 44 cm große Figur einer jungen Frau kann sich, den Kopf hin- und herdrehend, trippelnd voran bewegen und dabei die Cister (ein Zupfinstrument aus der Familie der Kastenhalslauten) schlagen. Derartige Androiden standen im 16. Jahrhundert hoch im Kurs, weil sie die Fähigkeit des Menschen zur Nachahmung der durch den göttlichen Schöpfungsakt entstandenen Natur belegen sollten.

Die nächste Hochzeit der anthropomorphen Automaten war das 18. Jahrhundert. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Stich „La charmante catin“ von Charles-Nicolas Cochin aus dem Jahr 1731, der verdeutlicht, wie unterschiedlich damals verschiedene Gesellschaftsschichten auf solche Automaten reagierten. Wir sehen eine Abendgesellschaft, bei der sich vornehme Damen an einem im Bildvordergrund im Kerzenschein tanzenden Püppchen delektieren. Ihr Genuss speist sich wohl aus der Ambivalenz: Offenbar genießen die – gebildeten – Zuschauerinnen die Illusion; zugleich wissen sie, dass die Bewegung des Püppchens der darin verbauten unsichtbaren Feder geschuldet ist. Die – offenbar extra hereingeholte – einfache Frau, deren niederer Stand an ihrer Kleidung ablesbar ist, bricht indes vor dem Automaten wie vor einem Wunder ins Knie; sie weiß ja nichts vom versteckten Mechanismus. Und ihrer Emotion, Begeisterung und Entsetzen zugleich, lässt sie freien Lauf.

Höhepunkte der Automatenproduktion sind in der Folge Figuren, die Klavierspielen oder Malen konnten. Ein 1773 von Pierre Jacquet-Droz und Jean-Frédéric Leschot konstruierter Automat, der in einer bubenförmigen Figur verbaut war (Neuchâtel, CH, Musée d’Art et d’Histoire), konnte Sätze wie „Wir sind die Androiden“ oder „Cogito ergo sum“ schreiben, wodurch auf den auch heute noch aktuellen (Alb-)Traum von der selbstdenkenden Maschine angespielt wurde.

Ähnlich eindrucksvoll war wohl der Mechanische Trompeter, den Johann Nepomuk Mälzel konstruiert hat. Der Regensburger Erfinder, der seit 1892 in Wien ansässig war und hier zum „k. k. Hof-Kammermaschinisten“ ernannt wurde, führte seinen Trompeter unter anderem 1808 in Wien sowie in Paris vor. Ignaz Pleyel komponierte für den Automaten 1813 ein Konzertstück mit Orchesterbegleitung, zu dem angeblich auch eine sprechende Puppe mit beweglichen Augen gehörte. Der originale Mechanische Trompeter ist verloren. 2015 schuf Jakob Scheid ein remake.

ANPASSUNG

Bei der Porzellanpuppe des 19. Jahrhunderts, die nach und nach auch mit Schlafaugen ausgestattet wurde, ging es nicht um das Spielen mit der Puppe, nicht um emotionale Nähe zu ihr. Das nur bedingt bewegliche, leicht zerbrechliche, daher wohl hauptsächlich geschützt in der Vitrine sitzende Objekt fungierte indessen als Modell für die Heranwachsende hinsichtlich Haltung, Kleidung, Teint und Benehmen. Wie der „Geradehalter“ wurde die Puppe hier als Instrument ge- resp. missbraucht, um das Mädchen an die gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen.

Mitbestimmt von den politischen Mustern wurde den Mädchen in den 1930er bis 1950er Jahren verstärkt die Mutterrolle per Babypuppe aufgedrängt. Dem wollte die amerikanische Erfinderin Ruth Handler mittels Barbie entgegentreten. Der Effekt dieser bekanntesten und weltweit meistverkauften Puppe ist freilich keineswegs der intendierte: Barbie zementiert bis heute ein für die 1950er Jahre spezifisches amerikanisches Idealbild der jungen erwachsenen Frau: makellos schön, superschlank, superelegant. Das bleibt sie in jeder Rolle, die ihr durch die global vertriebenen Accessoires zugeschrieben wird. Talar und Doktorhut, die sie zur Akademikerin machen sollen, bleiben ihr ebenso fremd wie jede Berufskleidung, durch die sie als Ärztin, Pilotin etc. definiert werden soll. Die Kritik kam zurecht, und nicht nur von feministischer Seite. Um seine Marktbeherrschung zu sichern, ist es in diesem Fall der Konzern, der sich anpasst: nämlich an den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Zum Beispiel bildet er nun die ethnische Vielfalt – primär der US-Gesellschaft – im Angebot ab. Weiter wurden Berufe, die bei Frauen unterrepräsentiert sind, integriert, indem man das Accessoireangebot entsprechend erweiterte. Seit 2015 wird Barbie zusätzlich in drei neuen Körpergrößen – kurvig, groß und petit – sowie seit 2019 mit permanenter körperlicher Beeinträchtigung angeboten; es gib Barbie im Rollstuhl oder mit Beinprothese.

AUFKLÄRUNG

Jacques Offenbachs 1881 uraufgeführte Oper „Hoffmanns Erzählungen“ wirft – auf der Basis der Erzählungen E.T.A. Hoffmanns – einen Blick zurück auf die Zeit um 1800: Für seinen Schöpfer, den Physiker Spalanzani, ist der scheinbar tanzende und singende Automat „Olympia“ ein Triumph der ausgeklügelten, von ihm selbst generierten Mechanik. Hoffmann, Hauptfigur und männlicher Antiheld, von der Woge barocker Gefühlsintensität direkt in die Romantik gespült, wird im Haus des Physikers eine idealisierende Brille verpasst. So sitzt er dem dreidimensionalen Augentrug auf. Seine Liebe zu Spalanzanis vermeintlicher Tochter bringt ihn einen Schritt näher an den Abgrund.

Die Aufklärung hat die Grenze zwischen animistisch-magischem und rationalem Weltverhältnis, die bis dahin frei passierbar war, geschlossen. Überschreitbar blieb sie nur mehr für Kinder und „Narren“.

ALMA

Im Symbolismus kehrte die Puppe zurück. Eine Besonderheit sind die von der Münchner Puppenmacherin Lotte Pritzel kreierte, von Rainer Maria Rilke bewunderte langgliedrigen graziösen Dingwesen aus Draht und Wachs, Tüll und Spitze. Etwa die „Tänzerin“ oder das „Puppenpaar“ (Münchner Stadtmuseum, Depot). Mit geneigten Köpfen, halb geschlossenen Augen, Ringen an den Fingern und einem perlenbesetzten Diadem auf dem Kunsthaar, scheinen diese femmes fragiles zu träumen oder zu trauern.

Weit weniger fragil und weniger ephebisch geriet jene Puppe, welche die Münchner Puppenmacherin Hermine Moos 1918/19 – über Vermittlung von Lotte Pritzel – für Oskar Kokoschka als Ersatz für die verlorene Geliebte Alma Mahler-Schindler herstellte. Animismus blitzt auf, wenn Kokoschka die Alma-Puppe, obgleich er vom Ergebnis schwer enttäuscht war, in die Wiener Staatsoper mitnahm oder von seinem Dienstmädchen verlangte, sich ihr gegenüber so hochachtungsvoll zu verhalten, wie das der einstigen Geliebten zukäme.

Animismus klingt jüngst an, wenn die US-amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt in ihrem Roman „The Blazing World“ (2014) ihre zentrale Protagonistin, Harriet Burden, nach dem Tod ihres Gattens ihre künstlerische Laufbahn nach Jahrzehnten wieder aufnehmen lässt, indem Harriet ihren verstorbenen Mann als Puppe rekonstruiert und ihm mittels Heizdecke auch die entsprechende Körpertemperatur gibt. Dieses Feld ist groß: Hier nur der Hinweis auf die Serie „Ma Poupée“ von Jakob Lena Knebl (2018; Galerie Georg Kargl Fine Arts, Wien).

ASSISTENZ

Elektronik und AI sind die Voraussetzung für aktuelle Entwicklungen im Bereich von – anthropomorph anmutenden – Pflege- und Greetingrobotern, wobei man erstere auf alte und kranke Menschen, letztere auf Gäste in Hotels und Gastronomie loslässt. Japan ist hier Vorreiter. Restaurant- und Hotelgäste können sich über das Ausgeliefertsein an derartige effizienzsteigernde Gerätschaften beschweren (und tun es auch). Klient*innen in Alten- und Pflegeheimen haben es hier schwerer. Perfid erscheint, dass bei Letzteren mit der mangelnden Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Realität und Illusion offenbar gerechnet wird.

Angelehnt an das Michel de Montaignes zugeschriebene Dictum erhebt ganz generell sich die Frage: Spielen wir noch mit der Puppe oder spielen die Puppen (die menschliche Intelligenz und Einfühlung vorgaukelnden Automaten) mit uns? Der britische Schriftsteller Kazuo Ishiguro imaginiert in seinem dystopischen Roman „Klara and the Sun“ (2021) eine Zukunft, in der Androiden, sogenannte „künstliche Freunde“, genetisch veränderten und sozial isoliert aufwachsenden Kindern als Gefährten dienen. Hier hat bereits der humanoide Roboter die Herrschaft übernommen, insofern die Geschichte aus der Perspektive Klaras, der Androidin, erzählt wird.

AI und AUSBLICK

Längst wird, etwa von Boston Dynamics, erfolgreich an anthropomorphen Robotern gearbeitet. Angesichts der Lernfähigkeit der AI (KI) und der Zielgenauigkeit moderner Waffensysteme will man sich die Konsequenz der effektiven Anwendung derartiger Kampfmaschinen in realen kriegerischen Zusammenhängen gar nicht ausmalen.

Martina Pippal | SCIENCE: Der Geist im Objekt